Kriegen wir das wieder hin? Warum es sich lohnt, nochmal die Hand auszustrecken

6. Februar 2024 von in ,

Es war eine dieser Nächte, in denen ich aufwachte und mal wieder nicht mehr einschlafen konnte. Ich habe schon immer einen extrem leichten Schlaf, und allein das Husten des Hundes kann dazu führen, dass wir beide wach werden, aber nur einer wieder weiterschläft. Gute Nacht, lieber Hund. Was ich in solchen Nächten immer mal wieder mache? Alte Whatsapp-Chats lesen. Eintauchen in die Vergangenheit, mich erinnern und manchmal auch darüber lachen (natürlich ganz leise, damit niemand aufwacht), wie jung und dumm ich manchmal war. Etwas cringe ist es nämlich schon, wenn man 10 Jahre alte Chats liest – und weiß, das da, das war ich auch mal.

In einer dieser Nächte stolperte ich über einen Chat einer Freundin und mir. Er stoppt im Jahr 2017. Das Ende unserer Freundschaft.

Freundschaften tragen uns durchs Leben. Und trotzdem gibt es diese Freundschaften, die plötzlich enden. Weil man sich streitet und auf keinen gemeinsamen Nenner mehr kommt. Weil man aus der Stadt zieht. Weil sich Lebensumstände ändern. Weil einen nichts mehr verbindet. Weil Aussprachen scheitern. Oder weil man plötzlich eine andere Sprache spricht, obwohl die Worte immer noch gleich klingen. Und manchmal gehen Worte auch verloren. Auf Sprachlosigkeit folgt Sprachlosigkeit. Jedes Wort fühlt sich zu schwer an, leichte Worte nicht mehr passend, und jede Antwort irgendwie falsch. Und kaum versieht man sich, ziehen die Wochen, Monate und Jahre ins Land. Bis man sich irgendwann fragt: Warum sind wir eigentlich keine Freunde mehr?

Zwei Frauen mit einem gebrochenen Herzen. Tagsüber zusammen arbeiten, abends essen gehen. Oft zusammen feiern. Lieber zu zweit als allein. Vertrauen, Offenheit und das Tragen durch alle Auf und Abs. Viele neue Erlebnisse. Gemeinsam ein Stück wachsen, voneinander lernen und erwachsener werden. Viele meiner schönsten Erinnerungen als frisch gebackene Singlefrau Ende 20 verbinde ich mit dieser Freundin. Eine unvergessliche, intensive Zeit, die ich nicht missen möchte. Das erste Mal nach der Schulzeit das Gefühl, beste Freundin ist nicht nur ein Wort, sondern eine Person. Während anfangs nichts zwischen uns passte, stand irgendwann das ganze Leben zwischen uns.

Vielleicht war es jene Umbruchsphase, die unsere Freundschaft so intensiv, so lebendig und so magisch machte. Und vielleicht war es auch jene Umbruchsphase, die unsere Freundschaft auf fragilem Boden wachsen ließ. Weil jede von uns ihren ganz eigenen Weg finden musste. Wovon träume ich? Wie darf mein Weg aussehen, wenn ich gerade vor den Scherben einer anvisierten Zukunft stehe? Was will ich – und wie viel Platz ist in diesem Leben für dich, Freundin?

Wer in Deutschland Statistiken befragt, findet schnell heraus, die Gründe für das Zerbrechen von Freundschaften sind sehr vielfältig. 56 Prozent gaben im Juni 2022 Lügen und Unehrlichkeit als Grund für das Ende einer Freundschaft an. Dicht gefolgt von Lästereien, dem Gefühl ausgenutzt zu werden und dem Ausplaudern von Geheimnissen. Mehr als die Hälfte gab aber auch an, dass manchmal auch eine Freundschaft endet, weil man einfach nicht mehr auf einer Wellenlänge ist. Alles gute Gründe, um Freundschaften zu überdenken und vielleicht doch den ein oder anderen Freund loszulassen. Aber was ist mit Freundschaften, die holprig werden, in denen Missverständnisse zu Fragezeichen führen und am Ende einfach auslaufen? Eine Statistik dazu gibt es nicht, aber ich vermute, die Dunkelziffer ist hoch.

In meiner Erinnerung hatte ich das Gefühl, unsere Lebenswege waren zu unterschiedlich geworden. Gleichzeitig fühlte ich mich im Stich gelassen. Wenn mich jemand fragte, was mit uns passiert war, war meine Storyline ziemlich klar: Wir haben uns auseinander gelebt. Und irgendwie waren meine Bemühungen, diese Freundschaft zu erhalten, im Sande verlaufen. Ich hatte ja nun wirklich alles versucht. Oder etwa nicht?

Als ich eines Nachts unseren Whatsapp-Chat las, mit der nötigen Distanz, wurde mir klar: So ganz stimmte diese Geschichte nicht. Ja, wir hatten plötzlich andere Wege eingeschlagen, uns manchmal einfach nicht mehr verstanden. Vor allem aber nicht einander zugehört. Denn wir waren beide doch ganz gut mit uns selbst beschäftigt gewesen, auf dem Weg, uns wieder selbst zu finden. Und dabei vergaßen wir, dass auch die andere Seite ihre Geschichte, ihren Weg geht – und vor allem dabei versucht, ihr Bestes zu geben.

Ich ärgerte mich. Weil ich mich in vielen Chat-Momenten so unfair fand. Manchmal auch einfach nur schrecklich. Und gleichzeitig herauslas, dass ich diese Freundschaft doch eigentlich retten wollte. Nur mit den schlechtesten Worten, die man hatte wählen können. Ein „Ich verstehe dich“ an mancher Stelle wäre besser gewesen, als ein weiteres „Aber ich…“. Ich wollte meine Freundin in den Arm nehmen. Und irgendwie auch mich.

Umbruchsphasen machen fragil, verletzlich, manchmal aber auch egoistisch. Das ist wichtig und okay. Und trotzdem sind wir manchmal gerade in diesen Phasen so sehr auf uns bedacht, dass wir nicht immer fair spielen. Weil wir unsere Bedürfnisse zuerst sehen, unseren Weg als den wichtigen anerkennen und andere Wege weder für uns noch für andere akzeptieren wollen. Werden diese Wege doch gegangen, reagieren wir nicht immer verständnisvoll, sondern vielleicht grummelig, irritiert oder vor den Kopf gestoßen. Niemand hat gesagt, dass Wachstum leicht ist, nicht?

Eine Woche lang ärgerte ich mich. Dann überlegte ich, ob ich meine Gedanken teilen sollte. Ob es etwas ändern würde. Vermutlich nicht. Aber vielleicht würde meine Erkenntnis Frieden bringen. Ich wollte nichts aufwirbeln, was vielleicht ganz gut begraben liegt. Weitere Tage vergingen. Den Gedanken trug ich weiter mit mir herum. Denn gleichzeitig war es mir wichtig, der Person zu sagen, dass der Fehler nicht allein bei ihr lag. Dass auch ich unfair gehandelt hatte. Und dass es mir wichtig war, ihr das zu sagen. Weil ich nie wollte, dass diese Freundschaft so endete.

Ich streckte also meine Hand aus.

Sagte alles, was mir auf dem Herzen liegt. Vor allem aber, dass die Schuld nicht bei ihr allein gelegen hatte, dass diese tiefe Freundschaft zerbrochen war. Dass ich in vielen Momenten so mit mir beschäftigt war, dass mein Blick für sie und ihre Themen nicht mehr frei war. Und als ich wieder sehen konnte, war es zu spät gewesen. Und dass ich das damals nicht verstehen wollte, heute aber sehr wohl kann. Und dass ich wollte, dass sie weiß, dass es mir leidtut, dass es so geendet ist. Dass mir unsere Freundschaft viel bedeutet hat, und es mir wichtig war, dass sie das weiß.

Ich hielt meine Hand hin. Und bekam eine Hand zurück.

Ich habe keine Ahnung, ob wir an diese Freundschaft anknüpfen können. Sieben Jahre sind vergangen, in denen wir unsere ganz eigenen Leben geführt haben. Die Menschen, die damals so eng miteinander verwoben waren, gibt es heute nicht mehr. Wir sind gewachsen, haben ganz eigene Geschichten ohne einander geschrieben. Mit meiner Nachricht hatte ich nicht die Intention, unbedingt die Vergangenheit neu zu beleben, sondern vor allem einen großen Irrtum auszuräumen: Dass irgendwer die Schuld am Ende unserer Freundschaft trägt. Mit Abstand sieht man eben doch ein bisschen klarer. Und vor allem mit Liebe und Dankbarkeit auf diese Zeit. Auch wenn sie irgendwann geendet ist.

Wir gehen demnächst einen Kaffee trinken. Und sollten wir keinen gemeinsamen Nenner mehr finden, wäre das okay. Dann kann ich in Frieden diese Zeit als wunderschöne Erinnerung in meinem Herzen tragen. Weil ich weiß, dass sie weiß, wie dankbar ich dafür bin. Es lohnt sich, die Hand auszustrecken. Einen Versuch zu starten. Und vor allem Dinge richtig abzuschließen. Und wer weiß, vielleicht kriegen wir es eben doch hin. So als zwei erwachsene Frauen, die ihren ganz eigenen Weg gehen mussten.

 

 

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2 Antworten zu “Kriegen wir das wieder hin? Warum es sich lohnt, nochmal die Hand auszustrecken”

  1. So eine schöne Geschichte über Freundschaft, Zuhören und die Fähigkeit, die Perspektive des anderen besser zu verstehen. Hat mein Herz berührt. Ich wünsche euch ein richtig gutes Gespräch nach der langen Zeit. Liebe Grüße, Sandra

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