Kontrollverlust in der Schwangerschaft: Von Komplikationen und einer Geburt, die anders lief, als geplant
TW: Falls eines der Themen dir gerade nicht gut tut: In diesem Text geht es um traumatische Erfahrungen während der Schwangerschaft und Geburt.
Man stellt es sich oft so einfach vor: Wenn die Lebensumstände passen, man alles gerade richtig gut im Griff hat, vielleicht sowohl im Job, als auch in der Beziehung und in Bezug auf einen selbst gerade ein richtig gutes Gefühl hat, dann wäre er doch eigentlich da: der Moment, in dem das Schwangerwerden gerade richtig gut reinpassen würde. So manche, die sich ein Kind wünschen und das Thema ganz bewusst angehen wollen, sind sonst auch ganz gute Planer und haben gerne die Kontrolle über ihr Leben. Und stellen dann schnell fest: Sobald man sich dem Schwangerwerden öffnet, gibt man unter Umständen schneller die Kontroll-Zügel ab, als einem lieb ist.
Denn schon in der Phase des Kinderwunsches kann so einiges anders laufen als geplant. Eine Schwangerschaft kommt oft irgendwann, aber selten dann, wenn man sie fest einplanen will. Manchmal kommt sie auch gar nicht, und der Umgang damit ist alles andere als leicht. Wenn man nun aber doch schwanger wurde, dann erleben manche eine wunderschöne, magische Zeit – andere aber auch eine Explosion der Hormone, ein Verrücktspielen des Körpers und so manche Komplikation, mit der man nicht gerechnet hat. Tatsächlich kann der körperliche Kontrollverlust im Rahmen einer Schwangerschaft oder Geburt Ausmaße annehmen, mit denen es gar nicht so leicht ist, umzugehen. Zwei amazed-Leserinnen haben ihre ganz eigenen Kontrollverlust-Geschichten erlebt: eine Schwangerschafts-Komplikation und eine Geburt, die unerwartete Begleiterscheinungen hatte. Hier erzählen beide ihre Erfahrungen!
Theresa, 37
Ich hatte das Glück, dass ich von Beginn meiner Schwangerschaft an vollkommen zuversichtlich war, dass mit meinem Baby alles gut ist. Ich hatte durch viele Freundinnen durchaus ein realistisches Bild von Schwangerschaft und all den guten und schlechten Überraschungen, die diese mit sich bringen kann. Mir war eigentlich fast die gesamte Zeit schlecht, was bei mir in der Familie liegt. Das war natürlich nicht schön, manchmal auch sehr zermürbend, aber ich konnte mich immer damit trösten, dass Übelkeit ja auch als Zeichen für eine stabile Schwangerschaft gilt. Soweit also alles wie erwartet.
Etwa acht oder neun Wochen vor dem Geburtstermin erfuhr ich, dass mein Kind sich nicht gedreht hatte und ich mich durchaus mit dem Gedanken vertraut machen sollte, dass es bis zur Geburt in Beckenendlage bleiben könnte. Das ärgerte mich, da ich grade erst den Geburtsvorbereitungskurs absolviert hatte, mit der Vorstellung einer „natürlichen“ Geburt grade total im Reinen war, aber nun ein Kaiserschnitt wahrscheinlicher wurde. Hier war der erste Punkt in der Schwangerschaft erreicht, den ich mir so nie vorgestellt hatte. Was das betraf, half es mir, dass ich verschiedene Dinge durchprobierte, die eine Drehung des Kindes noch begünstigen konnten.
Es half zwar alles nichts, aber ich hatte zumindest das Gefühl, hier alles in meiner Macht stehende probiert zu haben.
Sieben Wochen vor dem Geburtstermin merkte ich dann plötzlich, dass meine Handflächen und Fußsohlen am Abend und vor allem in der Nacht anfingen zu kribbeln und schließlich unangenehm zu jucken. Nach wenigen Tagen befragte ich Dr. Google und musste feststellen, dass die Selbstdiagnose hier relativ eindeutig war: eine sogenannte Schwangerschaftscholestase. Noch nie gehört? Ich bis dahin auch nicht. Das ist eine Leberfunktionsstörung, die zur Folge hat, dass die Gallensäuren nicht mehr gut abgebaut werden. Warum diese durch die Schwangerschaftshormone manchmal ausgelöst wird, ist recht unklar. Es kommt auch nur bei 1-2 Frauen pro 1000 Schwangerschaften vor.
Für die Schwangere ist vor allem der Juckreiz unangenehm. Er kann extrem werden und bei manchen Frauen hilft das Medikament dagegen nicht, was dann sicher wirklich quälend ist. Außerdem kann sich bei der Schwangeren eine Gelbsucht entwickeln, die nach der Entbindung abklingt. Wenn aber die Gallensäurenkonzentration zu hoch wird, dann ist das Leben des Kindes bedroht. Zudem kann der Juckreiz in wenigen Fällen auch auf das HELLP-Syndrom, eine seltene und gefährliche Form der Schwangerschaftsvergiftung, hinweisen.
Somit wurde ich nun engmaschig überwacht. Das hieß: zweimal die Woche Blutabnahme und Abfrage nach möglichen weiteren Symptomen.
Im Wechsel bei meiner Frauenärztin und in der Klinik. Vor jedem Klinikbesuch natürlich im Jahr 2021 noch ein Corona-Schnelltest im Testzentrum. Ich war hochschwanger, es hatte ständig 30 Grad und ich bekam zweimal die Woche nicht wenig Blut abgezapft. Die vielen Termine waren richtig, richtig anstrengend. Und mein Mann war sehr verunsichert, er hatte große Sorge um mich und das Kind. Ständig beobachtete ich ängstlich, ob nicht doch noch weitere Symptome auf das HELLP-Syndrom hinwiesen. Zum Glück half mir das Medikament gegen den Juckreiz und meine Gallensäuren-Werte stiegen nur langsam. Als ich mich dann endgültig für einen Kaiserschnitt entschieden hatte, war ich sehr froh darüber. Vielleicht, weil ich hier selber entscheiden konnte und damit wenigstens etwas kontrollieren konnte. Der OP-Termin wurde dann auf zehn Tage vor dem eigentlichen ET festgelegt und ich war einfach nur erleichtert, als das Ende der Schwangerschaft absehbar war.
Tatsächlich bin ich die ganze Zeit relativ ruhig geblieben. Was mir geholfen hat, waren die Ärztinnen und Ärzte, die immer ruhig, freundlich und sachlich blieben. Meine Hebamme hatte auch immer ein offenes Ohr und gab mir Sicherheit. Und ich war einfach zuversichtlich, wie von Beginn der Schwangerschaft an.
Die vielen Termine und das Gefühl, dass ich vieles nicht kontrollieren kann, waren große Energieräuber.
Ich gönnte mir soviel Ruhe wie möglich. Wie wenig Energie ich zuletzt noch hatte, wurde mir übrigens erst nach der Geburt klar, als ich zwei Freundinnen in ihren letzten Schwangerschaftswochen noch traf und bemerkte, wie aktiv diese noch waren, im Gegensatz zu mir in dieser Zeit.
Natürlich muss man sich realistisch mit allen Risiken und Entscheidungen, die eine Komplikation in der Schwangerschaft mit sich bringen kann, auseinandersetzen. Aber wichtig war hier, denke ich, dass ich in der Lage war, alles eher sachlich zu betrachten. Mir klarzumachen, dass trotz allem die Wahrscheinlichkeit, dass dem Kind oder mir noch etwas passiert, nie extrem hoch war. Ich habe das Drama gemieden, weil ich auch das auch nicht auf mein Baby übertragen wollte. Ich wollte, dass es sich in meinem Bauch sicher und ruhig fühlen konnte. Es ist wichtig, dass man sich traut, den ÄrztInnen und Hebammen einfach alle Fragen zu stellen, die einem einfallen. Man sollte mit seinen Fragen nicht alleine bleiben und nie das Gefühl haben, eine Frage könnte „zu dumm“ sein. Wenn man mit seinen Fragen alleine bleibt, dann denkt man sich doch oft viel schlimmere Antworten aus, als man tatsächlich bekommt, wenn man die Leute fragt, die sich auskennen. Wir hatten das Glück, dass letztlich alles recht glimpflich ablief und nie eine akute Gefährdung für das Kind oder mich bestand. Aber das war eben auch erst mit der Geburt gewiss. Der Kaiserschnitt lief gut und mein Baby war gesund.
Plötzlich ein Baby zu haben, ist eine vollkommen überwältigende Erfahrung, mit positiven und negativen Aspekten.
Die ersten Monate mit Kind haben sich erst recht nach Kontrollverlust in allen Lebensbereichen angefühlt. Doch ich bin unendlich dankbar für unser kleines Mädchen, das bald zwei Jahre alt ist, und erfreue mich weiterhin am Abenteuer, Mama zu sein.
Alina, 31
Normalerweise bin ein Mensch, der gerne alles plant. Sei es den nächsten Urlaub, die eigene Geburtstagsparty oder die nächste Woche. Ich lasse Dinge ungern einfach nur geschehen. Meine Familie nennt mich auch ganz gern mal den „General“, da ich schon früher selbst beim Kochen nichts dem Zufall überlassen konnte. So begann eigentlich auch meine Schwangerschaft – bis irgendwann eben doch überhaupt nichts mehr planbar war. Natürlich ist beim Thema “Schwanger werden” eigentlich von Natur aus nichts so richtig planbar, aber trotzdem schwingen doch von Anfang an Gedanken mit wie “wenn ich jetzt schwanger werde, dann kommt das Baby im Monat x zur Welt. Da kann man dann im Frühling in der Sonne spazieren gehen“.
Als ich schwanger geworden war, hatte ich nach ein paar übelkeitsgeplagten Wochen schon eine genaue Vorstellung im Kopf, wie die nächsten Monate aussehen werden. Babyzimmer gestalten, Erstausstattung shoppen und noch mal alle Freundinnen treffen. Ich freute mich auf ein entspanntes zweites Trimester und die Leggings-Zeit im Winter, wenn der Bauch schon sehr groß ist. Das mag jetzt erstmal wenig mit einer konkreten Planung zu tun haben, aber für mich fühlte es sich gut an, zu wissen, was auf mich zukommt. Die Schwangerschaft verlief für mich auch bis auf ein paar kleine, typische Wehwehchen sehr gut. Wir wussten, es wird ein gesunder Junge und freuten uns auf die Geburt.
Ich bereitete mich mit allerlei Podcasts und positiven Geburtsstories vor und verbot meinen Freundinnen, mir traumatische Geburts-Erlebnisse zu erzählen. Als die 40. Schwangerschaftswoche anbrach, wollte und konnte ich trotzdem nicht mehr. Die Rückenschmerzen waren unerträglich. Ich wollte das kleine Wesen in mir einfach nur noch kennenlernen. Ich stieg jeden Tag Treppen, ging Spazieren, aß eine Menge Datteln und bouncte auf meinem Gymnastikball herum, damit die Geburt in Gang kommt. Am dritten Kontrolltermin über dem ET waren wieder einmal keine Wehen auf dem CTG zu sehen. Ich war enttäuscht, da ich zu Hause immer wieder starke Wehen gespürt hatte. Als ich die Praxis meiner Frauenärztin verließ, ging ich also wie immer noch einmal für die nächsten Tage einkaufen. Zwischen Käsetheke und Schlüpperabteilung, die ich mir vorsorglich noch in xxxl fürs Wochenbett besorgen wollte, merkte ich plötzlich ein starkes Ziehen, das sich aber anfühlte, wie die Wochen davor und ich somit als Übungswehe abstempelte. Nachdem ich jedoch ein paar mal stehenbleiben musste, um kurz zu atmen, begab ich mich dann doch mal auf den Heimweg. Dort angekommen, sagte ich meinem Partner direkt, dass ich nun schon stärkere Wehen hätte und die Abstände jetzt mal messen werde.
Da war es 12.30 Uhr. Danach ging alles ganz schnell.
Die Wehen waren schon im Zwei-Minuten-Abstand messbar und ich konnte plötzlich nicht mehr frei atmen, geschweige denn, mich frei bewegen. Nach einem kurzen Telefonat mit dem Krankenhaus ging ich noch in die Badewanne – ein üblicher Test, um zu sehen, ob es wirklich geburtseinleitende Wehen sind. Hier war nach einigen Minuten schon klar: die Wehen werden eher stärker. Während mein Partner schon die gepackten Taschen ins Auto schmiss, zog ich mich, schon krümmend vor Schmerzen, schnellstmöglich an und los ging die wilde Fahrt.
Ab diesem Zeitpunkt hatte ich bereits keinerlei Kontrolle mehr.
Weder über meine Wahrnehmung, noch die Wehen, die nun immer heftiger kamen. In meiner Vorbereitung hatte ich mir vorgenommen, immer an Wellen zu denken, sobald eine Wehe kommt. Nun fühlte ich mich eher, als würden diese sich vor mir aufbauen und über mich hereinbrechen. Ein Gefühl, das mir ganz und gar nicht passte. Trotz allem hielt ich mich an meine gelernten Atemtechniken und war einfach nur froh, als wir gegen 14.30 Uhr im Krankenhaus ankamen. Das Team konnte anfangs noch nicht so recht glauben, dass ich schon solch extreme Schmerzen habe und legte mir erst einmal ein CTG an. Als hier nach einigen Minuten kaum etwas zu sehen war – ich krümmte mich derweil vor Schmerz und war schon völlig im Delirium -, beschlossen wir, es mit der Badewanne zu versuchen. Meine Gedanken zu dem Zeitpunkt waren ehrlicherweise einfach nur “Wo zur Hölle soll ich hier jetzt das Kind gebären?”. Ich sehnte mich nach einer gemütlichen Matte oder einer Matratze, auf der ich mich hinknien konnte und meinen Partner nah bei mir habe. Stattdessen gab es eine harte Badewanne und ein zweiteiliges Kreißsaalbett, dass mir vorkam, als müsste ich mich auf dem Präsentierteller platzieren. Die Badewanne erschien mir in diesem Moment gemütlicher, wollte ich doch einfach nur noch knien und mich irgendwo festhalten. Ab diesem Zeitpunkt überrollten mich die Wehen nun immer heftiger. Gegen 15:3o Uhr platzte die Fruchtblase, woraufhin mein Partner die Hebamme wieder holte, die uns etwas Ruhe geben wollte, da sie immer noch davon ausging, dass das Baby erst am nächsten Tag kommt. Dazu muss man wissen, dass die durchschnittliche Eröffnungszeit bei einer Erstgeburt etwa 10 Stunden dauert. Da ich mit zwei Zentimeter Muttermundöffnung ins Krankenhaus kam, konnte man nicht davon ausgehen, dass nun alles so schnell gehen würde. Die Fruchtblase war also geplatzt und dementsprechend die Geburt auch offiziell eingeleitet. Ich krallte mich inzwischen an der Halterung der Badewanne und tönte nicht nur, ich schrie.
Kurz bevor dann noch der Oberarzt geholt wurde, um mir einen Schmerzmittelzugang zu legen, entleerte sich mein Körper endgültig in die Badewanne. Die Presswehen hatten schon eingesetzt. Selbst im größten Schmerzdelirium schämte ich mich vor meinem Partner und allen Anwesenden. Die Badewanne wurde ausgelassen, während ich zurückblieb wie ein kalbendes Walross. In einer der kurzen Wehen-Pausen half mir das Team aus der Wanne und verfrachtete mich auf den Präsentierteller aka. das Gebärbett. Ich bekam zu dem Zeitpunkt nichts mehr mit und zitterte am ganzen Leib vor Schmerzen. Während der letzten fünf Wehen riss ich meinem Partner fast die Arme aus, da er mein einziger Halt war. Ich kniete nun auf dem Bett, und auf einmal merkte ich wie der Kopf des Babys unten raushing. Während ich meine letzte Kraft sammelte, wurde hinter mir amüsiert geplauert, da ein Arm mit dem Kopf rausgeschlüpft war und das scheinbar lustig aussah. Als ich meinen Kleinen dann aber schon brabbeln hörte, war ich einfach nur erleichtert, dass es ihm gut geht. Mit dem letzten Push kam dann auch der Rest seines Körpers, und schwups war unser Sohn, mein Baby, da.
16.45 Uhr. Fast eine Sturzgeburt.
Die schlimmsten Schmerzen meines Lebens waren geschafft. Ich war einfach nur erleichtert. Doch Moment, so einfach war es leider nicht. Während der kleine Fratz auf mir lag, wurden meine Beine unten wieder hochgeschnallt: Geburtsverletzungen versorgen. Bis dahin war ich unfreiwillig ohne Schmerzmittel ausgekommen. Also nun auch nur örtliche Betäubung. Keine Ahnung, wie lang dort unten genäht wurde, mir kam es vor wie eine Ewigkeit. Im Nachgang erfuhr ich von meiner Nachsorgehebamme, dass es knapp 10 genähte Stellen waren. Was mich jedoch parallel beschäftigte, war, dass die Wehen trotz abgeschlossener Nachgeburt immer noch nicht aufgehört hatten. Zwischendurch kam zudem schwallartig Blut unten heraus. Nachdem ich schon eingepackt in frische Laken und bereit für den Umzug auf die Wochenbettstation war, wurde ich erneut auf den Untersuchungsstuhl verfrachtet. Einer der Ärztinnen kam die ganze Sache komisch vor. Der Ultraschall zeigte erst mal keine Auffälligkeiten. Ich krümmte mich erneut vor Schmerzen und wimmerte vor mich hin. Der Oberarzt wurde gerufen, und auf einmal ging alles furchtbar schnell. Mein Partner wurde mit unserem Baby aus dem Kreißsaal geholt, es kamen immer mehr Menschen und der Oberarzt wich mir nun nicht mehr von der Seite. Wortwörtlich. Ich hörte im Delirium, wie er Kommandos an das Team gab, während er von außen mit seiner Hand meine Gebärmutter “massierte”. Währenddessen kam immer wieder schwallartig Blut heraus.
Ich hatte Todesangst. Das erste Mal in meinem Leben lag ich fremden Menschen völlig ausgeliefert da und konnte mich vor Schmerzen und Kraftlosigkeit nicht wehren. Wollte ich auch gar nicht. Aber was, wenn diese Menschen nun nicht alles tun konnten? Ich stellte mir in diesem Moment vor, wie ich innerlich verblutete und wimmerte vor Angst und Panik. Nach gefühlten Stunden wurde mir für die letzten 20 Minuten der darauffolgenden Not-OP ein Opiat gegeben, wodurch ich endlich keine Schmerzen mehr hatte. Ich bekam trotzdem alles mit. Es wurde eine Ausschabung sowie weitere Kontrollen auf innere Geburtsverletzungen gemacht. Auch die Plazenta holte man aus dem Müll, um ein zweites Mal zu kontrollieren ob sie ganz sei. Parallel bekam ich Oxytocin IV, um die Gebärmutter zum Kontrahieren anzuregen. Das war nämlich das Problem: Durch die schnelle Geburt war die Gebärmutter so erschöpft, dass sie sich nicht, wie normalerweise, von alleine zusammenzog. Die offene Plazentawunde blutete also weiter vor sich hin. So wie ich es im Nachgang verstand, klappte die Gebärmutter dann auch noch nach hinten, weswegen sich das Blut ansammelte und sich immer wieder schwallartig entleerte.
Hätte die eine Ärztin nicht noch mal nachgeforscht, hätte ich innerlich verbluten können.
Die ersten Wochen nach der Geburt waren hart. Ich hatte täglich Flashbacks zur Geburt, keine Hormon-Glücksgefühl-Überschwemmung, geschweige denn die Möglichkeit, mich richtig um das kleine Wesen zu kümmern. Durch den hohen Blutverlust war mein Kreislauf komplett dahin. Ich konnte nur unter Beobachtung auf die Toilette und erst nach zwei Wochen duschen gehen.
Anfangs übernahm mein Partner das Wickeln und Tragen und ich versuchte, mit wunden Brustwarzen im Liegen zu Stillen. Auch das funktionierte nicht so wie erhofft. Der Milcheinschuss kam nach drei Tagen, jedoch nicht in der Menge, die notwendig gewesen wäre. Wir mussten ab dem zweiten Tag zufüttern, da der kleine Mann Fieber bekam. Heute bin ich froh darum, da ich seit Anfang an die Flasche geben und Stillen kann. Trotzdem fühlte ich mich oft genug unzureichend, da einem wirklich von allen Seiten suggeriert wird, dass Stillen in den ersten sechs Monaten das A und O ist. Dank meiner Hebamme und meinem tollen Partner schaffte ich es letztendlich, damit ok zu sein.
Zudem konnte ich mich nicht so kümmern, geschweige denn bonden wie gedacht. Mein Körper musste heilen. Ich musste lernen abzugeben. Ein weiterer Kontrollverlust.
Nach sechs anstrengenden Wochen stand die Abschlussuntersuchung bei der Frauenärztin an. Ich erhoffte mir zumindest den finalen Abschluss dieser traumatischen Erfahrung. Stattdessen bekam ich die Info, dass ich sofort erneut ins Krankenhaus müsse. Es befinde sich ein zwei Zentimeter großer Plazentarest in der Gebärmutter. Panisch und unter Tränen verließ ich die Praxis. Im Krankenhaus erfuhr ich, dass sich aus kleinsten Geweberesten erneut eine Plazenta aufbauen kann – Schwangerschaftshormone olé. Also wieder eine OP. Dieses Mal unter Vollnarkose. Einerseits war ich froh, dass ich mich drei Tage darauf einstellen konnte und nichts von der OP mitbekommen würde. Andererseits musste ich erneut mein Wohlbefinden in die Hände mir fremder Ärzte abgeben. Die zweite Ausschabung verlief kurz und schmerzlos, von meiner Panik kurz vor der OP mal abgesehen.
Vor drei Monaten kam also mein Baby zur Welt. Und ich habe die krasseste und zugleich beängstigendste Meisterleistung überhaupt vollbracht. Am heutigen Tag würde ich sagen, nie wieder möchte ich gebären. Ein bisschen stolz bin ich trotzdem auf mich. Jeden Tag lerne ich erneut, dass man nicht immer alles kontrollieren kann. Ich will es auch gar nicht mehr.
Trotzdem weiß ich, dass ich alles, was während und nach meiner Geburt passiert ist, noch aufarbeiten muss und will. Die ersten drei Monate war ich eher im Überlebensmodus, jetzt, nach der zweiten OP, stabilisiere ich mich so langsam, emotional wie hormonell. Und sehe ganz klar, dass ein traumatisches Geburtserlebnis etwas ist, das man nicht unter den Teppich kehren sollte, weil es einen sonst immer wieder einholen kann. Ich habe langsam nicht mehr jeden Tag Flashbacks, denke aber noch viel darüber nach und bin immer wieder emotional instabil. Ich möchte auf jeden Fall nochmal in die Tiefe gehen und mich um mich selbst kümmern, in einer Therapie oder im Austausch mit Gleichgesinnten. Und alles aufarbeiten, um diese Erfahrung nicht dauerhaft Einfluss auf mich nehmen zu lassen.
Habt ihr auch das Gefühl von Kontrollverlust im Rahmen des Schwangerwerdens, der Schwangerschaft oder der Geburt erlebt? Erzählt uns eure Erfahrungen in den Kommentaren!