Kolumne: Wir löschen unsere Privatsphäre aus

18. April 2018 von in

Ein Sonnenuntergang, eine gute Party, eine schöne Wohnung, ein begehrenswerter Lifestyle: Laut Insta Stories haben alle Menschen ein ganz schön lustiges, cooles, schönes und perfektes Leben. Das ist kein Geheimnis mehr, auf Instagram zeigen wir uns von unserer besten Seite – denn wer will sich schon von der Schlechten präsentieren? Ein bisschen schöne Fotos hier, ein bisschen Videos in Insta Stories da – alle haben ein ziemlich gutes Leben und neigen dazu, die Highlights in jenem Leben festzuhalten. Dadurch verlieren wir aber ein wertvolles und mittlerweile sehr seltenes Gut: die Privatsphäre.

Was impliziert eigentlich genau der Begriff Privatsphäre? Und wieso ist er so wichtig?

Sie beschreibt den nichtöffentlichen Raum, in dem ein Mensch sein Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit bezieht. Die Privatsphäre ist ein Teil des Menschenrechts – und doch ist sie mittlerweile nur noch sehr selten anzutreffen. Google Maps oder die App Karten trackt jeden Schritt und Tritt, den wir machen, Cookies speichern jeden Klick im Internet und Algorithmen lernen uns und unsere Vorlieben kennen. Wir wachsen so natürlich und selbstverständlich in die mangelnde Privatsphäre hinein, dass wir das Aussterben jenes Menschenrechts selbst noch weiter unterstützen, und unsere letzten privaten Momente im Internet teilen – dank Social Media.

Dort treiben wir uns als Cyber-Ich um. Unsere selbst erstellten Sims Figuren sozusagen, die uns äußerlich ähneln, doch sich am Ende elementar von unserem Realitäts-Ich unterscheidet. Das Cyber-Ich ist unser Ideal, das wir gerne wären, aber meistens eigentlich gar nicht sind. Doch obwohl unsere Sims Figuren unserem Fleisch und Blut womöglich gar nicht so ähnlich erscheinen, verraten sie doch einiges über uns auf allen Kanälen. Sie verraten, wo wir gerade sind, was wir tun und mögen, welchen Stil wir gerade befürworten und welcher Humor uns aktuell zum Lachen bringt. Sie löschen unsere Privatsphäre aus.

Denn klar, irgendwie wettern alle auf das böse Social Media und manchmal stellte ich mir auch die Frage: Jetzt mal unabhängig von „dem Prinzip“, dass ein ausgeprägtes Social Media Leben eben ungesund wäre (das haben wir ja oft genug gehört) – Was ist so schrecklich daran, wenn man sein Essen und seinen Alltag in Form von Bild und Video hochlädt? Ist das wirklich so bedrohlich, wie alle sagen? Oder einfach übertrieben? Und was genau ist eigentlich das Problem?

Für die Antwort darauf, muss man sich eine andere Frage stellen: Was macht die Privatsphäre so wertvoll?

Sie fördert die Persönlichkeitsentfaltung, die wir bei Abstinenz der Privatsphäre, verlieren. Wir teilen den Content zwar auf unseren eigenen Plattformen, aber wir richten diesen Content an unsere Follower. Streng genommen geht es also gar nicht mehr um uns. Man wird passiv.

Wer jeden Moment teilt, neigt dazu – irgendwann, ganz schleichend – das zu veröffentlichen, was laut Masse „schön“ ist. Man postet das, was gewollt wird und das, was am meisten Views, Likes, Kommentare oder Reaktionen hervorruft. Man stellt bei der Selbstdarstellung selten sich selbst in den Vordergrund, sondern eben die Hülle seiner selbst. Das persönliche Ideal, dem „Cyber-Ich“ und richtet diese Selbstdarstellung an ein Publikum. Die eigentliche Person dahinter wird passiv. Und vergisst dabei im schlimmsten Fall seine eigenen, echten Bedürfnisse. Diese Bedürfnisse kann man übrigens auch verlernen, zu spüren.

Viel zu oft wird von dem Begriff Privatsphäre gesprochen, aber als abstraktes Etwas, dessen Bedeutung irrelevant zu sein scheint. Und schon komisch, dass das Wort so oft aufpoppt in einer Zeit, in der uns jene Privatsphäre langsam aber sicher flöten geht. Und plötzlich ist dieses Menschenrecht „Privatsphäre“ ein seltenes Gut und wertvoll wie nie.

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5 Antworten zu “Kolumne: Wir löschen unsere Privatsphäre aus”

  1. Ganz toll geschrieben! Ich denke auch oft über das Konstrukt heile, perfekte Welt im Internet nach, wo jeder schöner, besser ist. Aber ich glaube einfach, dass wenn man dss ganze reflektiert betrachtet, man es auch nicht so verteufeln muss.

    Liebe Grüße,
    Anni

  2. Hallo Amelie,
    meiner Meinung nach kann die Aufgabe der Privatsphäre nicht nur negativ sein, sondern die dadurch entstehende Transparenz auch positive Effekte für die Gesellschaft haben. Deine Annahme, dass man nur in der Privatheit zu sich selbst findet, teile ich nicht.
    Dieses Thema ist sehr spannend. Ich finde es wahnsinnig interessant, was Leute in 10 oder 20 Jahren unter Privatsphäre verstehen werden.

    • Liebe Eja, deinen Ansatz finde ich auch sehr spannend und stimmt auch sicherlich zu einem gewwissen Punkt. Da lässt sich bestimmt ergiebig darüber diskutieren!

  3. Hallo Amelie,
    ein sehr spannendes Thema. Ich stehe immer noch unter Schock, seit ich in Italien studiere ist mir bewusst geworden, wie normal es in manchen Kreisen ist ungefragt Menschen für die nächste Instastory zu filmen. Ich war vor allem am Anfang völlig entsetzt, mich auf Instagram beim tanzen um 5 Uhr morgens zu sehen, ohne das ich je gefragt worden bin. Meinen Freunden habe ich hier inzwischen bewusst gemacht, dass mir das nicht passt, alle andere filmen immer noch munter vor sich hin. Das ist bei mir das größte Bauchschmerzthema, dieses Gefühl der nicht mehr vorhandenen Privatsphäre, des nicht existieren des geschützten Raumes.

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