Kolumne: Warum mich mein Coming-out als nicht-binäre Trans-Person gelehrt hat, höhere Erwartungen zu haben
„Wegen all der wahnsinnig tollen Trans-Menschen, die wir derzeit zu sehen bekommen, werden wir dazu ermutigt, unsere geschlechtsspezifischen Identitäten zu erforschen. Aber durch die vergiftete, reaktionäre Anti-Trans-Berichterstattung werden wir dazu gezwungen, unsere Sexualität wieder zu verstecken.“ Alan Paterson von Condé Nast Britain reflektiert über das komplexe Coming-out als nicht-binären Trans-Person am Arbeitsplatz – und über den langen Weg, den es erforderte, den Unterschied zwischen Akzeptanz und Erlaubnis zu verstehen.
Dieser Text von Alan Paterson erschien zuerst auf Vogue.de
Vor einigen Monaten befand ich mich plötzlich in einer Situation bei der Arbeit, in der ich mich gezwungen sah, mich gegenüber meinen Vorgesetzten als nicht-binäre Trans-Person zu outen. Geplant war dieses öffentliche Outing jedoch nicht. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte ich diesen Aspekt meiner Persönlichkeit privat gehalten und nur mit meinen Eltern, einigen engen Freunden und meinen Social-Media-Followern geteilt. Doch dann kam an meinem Arbeitsplatz ein Problem auf, zu dem ich einfach Stellung nehmen musste. Und meine emotionale Reaktion erforderte eine Begründung.
Seitdem Chefredakteur Edward Enninful die #WeWontBeErased-Kampagne für die britische Vogue veröffentlicht hat, war ich mehrfach kurz davor, mich am Arbeitsplatz zu outen. Die Kampagne, eine herausfordernde und ermutigende Befürwortung für Trans-Leben und Trans-Rechte, hat für immer verändert, wie ich mich gefühlt habe, sobald ich das VOGUE House betreten habe. In den letzten Jahren schien es mir, als würde das VOGUE House mehr denn je nach vorne blicken. Aber damals, im Jahr 2015, wurde ich davon überrascht, wie ein/e KollegIn meinte, dass das Cover der Vanity Fair mit Caitlyn Jenner ihm/ihr das Gefühl gab, sich „übergeben“ zu müssen. Dieser Kommentar (der übrigens keinesfalls repräsentativ für das Unternehmen ist) kam zu einer Zeit, als die Konversation rund um Trans-Rechte gerade erst in den Mainstream-Fokus geriet. Der Kommentar wurde ironischerweise während eines Champagner-Anstoßens ausgesprochen, bei dem wir eigentlich den Erfolg der Ausgabe feiern wollten, und hat mir gezeigt, wie Trans-Leben von einigen Menschen gesehen werden – wenn auch in diesem Fall von einer Minderheit.
Als „We Won’t Be Erased“ dann im November 2018 live ging, änderte sich meine Einstellung gegenüber meinem Arbeitsplatz. Während es eine sehr breit gefächerte Kampagne war, fühlte sie sich unglaublich persönlich an, wie ein warmes Gefühl, eine wohlige Vorahnung, die ich empfand, noch bevor ich mich irgendjemandem gegenüber als trans geoutet hatte. Sie motivierte mich und war ein willkommener Kontrast zu den Anti-Trans-Kommentaren, die sonst überall zu sehen waren. Später, als eine britische Medienpersönlichkeit (die seit jeher bekannt für ihre Hetze gegen die Trans-Community ist) in einem anderen Condé-Nast-Titel auftauchte, sagte ich meinen Chefs, dass ich trans sei und nicht an dem Projekt mitarbeiten würde.
Es lief… gut? Und ich benutze diese Satzzeichen, um zu veranschaulichen, dass es zwar gut lief, aber dass mich die ganze Sache doch verwirrte. Mein enges Team hatte nie irgendwelche Anti-Trans-Einstellungen gezeigt, ich war mir keinerlei Gründen bewusst, warum ich mich mit irgendjemandem anlegen müsste, aber ich hatte mich schon darauf vorbereitet, demoralisiert und enttäuscht zu werden.
Doch im Gegenteil: Mein/e ChefIn bot mir sogar Unterstützung an und fragte mich, welche Pronomen ich verwende und ob es angebracht wäre, eine Rundmail im Büro zu verschicken, um zu vermeiden, dass ich „misgendert“ werden würde. Ich war selbst überrascht, wie kleinlaut ich an dieser Stelle wurde, in mich zusammenschrumpfte und mir wünschte, ich hätte nichts gesagt. Ich wollte keine Umstände machen, und ich war verlegen, weil mir Unterstützung angeboten wurde.
Was mir später über diesen Austausch klar wurde, waren die unzähligen verschiedenen Emotionen, die mir durch den Kopf gingen. Peinlichkeit, Dankbarkeit, eine seltsame Traurigkeit, Scham, und wieder Dankbarkeit. Die tiefste Emotion war jedoch eine Art masochistischer Dankbarkeit und Wertlosigkeit.
Ähnlich ging es mir, als ich meinen Vater wenige Tage später auf einen Kaffee traf und wir über seine Google-Recherchen sprachen, die er über das Thema nicht-binärer Geschlechter angestellt hatte. Wir sprachen über indianische Kulturen, die eine Vielzahl unterschiedlicher Geschlechter haben, die Hijra in Südasien und die Idee, dass unser binäres Geschlechtersystem ein koloniales Konzept sei, eine ziemlich neue Idee und nicht wissenschaftlich nachweisbar. Wieder einmal war ich überwältigt und meine Reaktion unpassend. Ich war gerührt, dass mein Vater sich über etwas informiert hatte, das mein Leben beeinflusst, und ich fühlte sowohl Freude als auch ein seltsames Unbehagen.
Als ich zurück in meinem Büro war, wurde mir klar, dass sowohl mein Arbeitgeber als auch mein Vater mir Akzeptanz angeboten hatten, ich es jedoch als Erlaubnis empfunden hatte. Worin liegt der Unterschied zwischen diesen beiden? Für mich bedeutet Akzeptanz, etwas anzuerkennen, was bereits der Fall ist: „Das ist, wer ich bin, akzeptiere es“. Es ist etwas, das Vertrauen und Stärke benötigt. In diesem Fall haben mein/e ChefIn und mein Vater mir zugehört und mit „OK“ geantwortet. Erlaubnis hingegen ist etwas, das erst erteilt werden muss, bevor sich etwas verändert und so hatte ich das „OK“ als ein „wir erlauben es dir” aufgenommen.
Um ehrlich zu sein, bitten die meisten LGBTQ+-Personen, die sich outen, dabei um Erlaubnis, so sein zu dürfen, wie sie sind – und das kann sich sehr demütigend anfühlen.
Wenn ich mich als trans oder queer oute, mag es so aussehen, als ob ich um die Akzeptanz dessen bitte, wer ich bin, aber in Wahrheit bitte ich mein Gegenüber eher darum, zu sehen, wer ich bin, und sich deswegen nicht mit mir anzulegen.
Es geht darum, andere zu bitten, dich nicht zu versuchen zu ändern, dich nicht zu verletzen oder abzulehnen. Und während das Coming-out mit der Zeit leichter wird, fühlt es sich doch immer so an. Das ist das Ergebnis, das du fürchtest. Wir bitten ständig um diese Erlaubnis von den Menschen um uns herum. Wir sind definitiv das, was wir sind, und riskieren Gewalt, wenn uns jemand die Erlaubnis zum Leben verweigert. Nur zu gern würde ich mich nie wieder outen müssen, aber das liegt wirklich nicht an mir. Ich hasse, was das Coming-out mir antut, und ich hasse es, es trotzdem tun zu müssen. Was für ein seltsames Paradox, nicht um Erlaubnis bitten zu wollen, sondern es zum Überleben zu benötigen.
Trans-Personen sind dieser Tage viel präsenter. (…) Gleichzeitig ist die ungewöhnliche Faszination, die die nicht-queere Gesellschaft für uns entwickelt hat, beängstigend. Plötzlich zeigt sich überall eine ungezügelte Transphobie, anscheinend eine Reaktion auf die erhöhte Präsenz von Trans-Personen. Und der Ton, der dabei mitschwingt, ist Ärger oder Ekel. Für uns ist das verwirrend; einerseits fühlen wir uns wie befreit, andererseits hat man es mehr denn je auf uns abgesehen. Trans-Personen erhalten Auszeichnungen (MJ Rodriguez), führen Regie bei Multi-Millionen-Dollar-Produktionen (Lana Wachowski), während gleichzeitig TERFs (Trans Exclusionary Radical Feminists) Pride-Paraden angreifen, um Trans-Frauen zu degradieren und attackieren. Wir sehen Laverne Cox auf den Titelseiten von Zeitschriften, während allein in diesem Jahr in den USA 18 Trans-Frauen ermordet wurden.
Für jemanden, der noch versucht, mit seiner Trans-Identität zurechtzukommen, macht es das schwierig.
Ich fühle mich einerseits motivierter denn je, mein Leben als non-binäre Person öffentlich zu leben, andererseits werde ich mir immer bewusster darüber, dass es Menschen gibt, die Trans-Personen schaden wollen. Ich oute mich lauthals, und verziehe mich gleichzeitig wieder stillschweigend in meine Ecke zurück.
Zurzeit fühle ich mich mit der Beschreibung nicht-binär am wohlsten. Das heißt, dass ich mich weder als Mann noch als Frau identifiziere. Aber vielleicht ist dieser Status zunächst ein Ort des Verweilens auf dem Weg zu einer anderen Geschlechtsidentität.
Ich könnte die Menschen hassen, die dieses unberechenbare Klima erzeugen, aber noch mehr beginne ich das Versteckspiel zu hassen. LGBTQ+-Leute wissen, dass sie irgendwann ein Risiko eingehen müssen, um sie selbst sein zu können. Wir alle kennen das Versteckspiel, wir alle mussten auf der Suche nach Menschen, denen wir vertrauen können, Enttäuschungen wegstecken. Kein gesunder Lebensstil! Jedes Coming-out fordert seine Opfer und kann sich negativ auf unser Selbstwertgefühl und unsere Lebenseinstellung auswirken. Aber es ist ein integraler Bestandteil unseres Lebens in dieser Gesellschaft.
Irgendwie wird davon ausgegangen,
dass wir alle irgendwann heterosexuell und cisgender sind.
Und das geht über elterliche Erwartungen hinaus. Eltern können ihren Kindern gegenüber, die auf der Suche nach sich selbst sind, aufgeschlossen sein, aber das ändert nichts an der Ablehnung, der wir andernorts begegnen. Die bigotten Kommentare in den Massenmedien können so tiefschürfend sein, dass wir sie auf die Menschen übertragen, die uns nahestehen, und dann davon ausgehen, dass auch sie uns hassen.
Ich möchte, dass wir in einer Gesellschaft aufwachsen, die diese Erwartungen völlig von sich weist. Ich glaube, es ist unabdingbar für queere Personen, dass wir diese hinter uns lassen und dass wir erkennen, dass wir die junge Generation zu Geheimniskrämerei und Einsamkeit verdammen, wenn der Status quo erhalten bleibt. Binäre Geschlechter und Heterosexualität sind in unseren Leben so tief verankert, dass es schwierig ist, sich davon lösen. Aber irgendwann werden wir erkennen, wie sehr wir damit jenen unter uns schaden, die sich diesen Schwierigkeiten stellen müssen.
Ein großes Problem, und ein Problem, das keine einfache Lösung hat. So ist unsere Gesellschaft, und offensichtlich können wir uns nur schwer davon befreien. Aber um LGBTQ+- und Trans-Leuten das gleiche Maß an Unbeschwertheit und Sicherheit zu geben, müssen wir an einen Punkt gelangen, an dem das Coming-out nur eine kurze Berichtigung ist, und keine Zeremonie. Erreichen können wir das, indem wir uns von der Vorstellung lösen, dass heterosexuell und cis „normal“ sind, und indem wir uns Transphobie entgegenstellen, wo immer sie uns begegnet. Wenn wir das Konzept des „Andersseins“ beseitigen und Angriffen auf Trans-Personen Einhalt gebieten, können wir schneller unbeschwerter leben. Mit der Zeit wird trans dann ganz von allein zur Normalität. Was wir wollen, ist eine Welt, in der sich keiner „outen“ muss, sondern in der wir alle einfach sein können.
Ich habe mich über die Jahre für Verschiedenes geoutet, jedoch mit zunehmend geringerer Motivation. Und ich mache mir Sorgen, dass meine wiederholten Ankündigungen bei Freunden und Familie irgendwann nur Ermüdung führen. Das nächste Mal wird es die Namensänderung sein, aber was, wenn ich zu einem späteren Zeitpunkt merke, dass mein Geschlecht noch nicht ganz „fertig“ ist? Man könnte sagen, wir hätten unser Coming-out gehabt, um uns direkt wieder zurückzuziehen, damit der Schaden minimal bleibt. Aber es beunruhigt mich, dass andere denken, mir würde dieses Rebranding Spaß machen.
Einer meiner persönlichen Vorsätze ist es, das Versteck nicht zu verlassen, sondern es zu zerstören.
Während die gesellschaftlichen Normen ins Wanken geraten und ich mich langsam besser verstehe, bleibt es auch weiterhin eine Herausforderung, mit neuen Erkenntnissen, dem Ausprobieren, dem Hin und Her zurechtzukommen. Aber ich rufe mir immer wieder Anna Madrigal und Michael Tolliver aus Armistead Maupis Romanreihe „Stadtgeschichten“ vor Augen: Der Rat der leicht betagten Trans-Frau an den alternden homosexuellen Mann, der Schwierigkeiten hat, mit den neumodischen Geschlechtern und Sexualitäten der jungen Generation mitzuhalten, war: „Du musst nicht mithalten, du musst nur offen bleiben.“
Photocredit: © Coco Capitan / © ArtPartner via Vogue.de (im Rahmen der Vogue Community)
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