Kolumne: Von Perfektionismus und Natürlichkeit

7. August 2017 von in

Es mag am Sommer liegen, an dieser Jahreszeit, in der plötzlich niemals mehr nötig ist als luftgetrocknete Haare und sonnengeküsste Haut, selbst wenn man sich auf den Weg ins Büro macht. Vielleicht liegt es aber auch an einer inneren Stimmung, die mein Schönheitsideal plötzlich umdrehte und die angeklebten Wimpern, die mir monatelang gut gefallen hatten, plötzlich zu Fremdkörpern werden ließen. Ganz plötzlich wurde aus dem auffälligen und easy Augenaufschlag ein viel zu aufdringlicher Look für mich, und ich fing ganz schleichend an, andere für ihre natürlichen Wimpern zu beneiden. Für diesen No-Makeup-Look, der viel weniger präsent, viel subtiler schön ist.

Erstmal schlief ich drüber, denn so schnell, wie solch flüchtig sich anbahnende Sinneswandel herbeifliegen, so schnell können sie auch wieder verpuffen. Aber auch nach mehreren Tagen und Nächten blieb es dabei: Meine Wimpern waren auf einmal viel zu viel für mein Empfinden, und alles, was ich plötzlich wollte, waren meine natürlichen Augen und diese Klarheit, die ganz ungeschminkte Augen mit sich bringen. Und als ich mal wieder durch meine Wimpern kämmte, mich über ein paar aus der Reihe tanzende Härchen ärgerte und mein Spiegelbild betrachtete, wurde mir plötzlich klar, dass die Leichtigkeit, die angeklebte Wimpern am Anfang für mich verkörpert hatten – man muss nichts mehr Tuschen, nichts mehr Biegen, überhaupt nichts mehr machen, und doch sind sie immer da und sorgen für einen wachen Blick – plötzlich nicht mehr da war.

Viel mehr waren die Wimpernextensions zu etwas geworden, was einen Perfektionismus in mir hervorgerufen hatte, den ich nie wollte. Lange, präsente falsche Wimpern machen nur dann Sinn, wenn sie gut geklebt sind und nicht aus der Reihe tanzen. Weil es viel mehr auffällt als sonst, wenn sie es tun, beginnt man, sich plötzlich Gedanken darüber zu machen: Habe ich da eine Lücke? Hat sich da eine Wimper umgedreht? Kleben sie irgendwo zusammen, und sollte ich deshalb besser immer ein Bürstchen in meiner Handtasche dabeihaben?

ein Perfektionismus-Ansatz, den ich mir selbst gegenüber nicht haben möchte

Sobald die Wimpern nach ungefähr drei Wochen ausfallen, wird das Ganze noch komplizierter, denn nun finden sich tatsächlich Lücken und der nächste Auffüll-Termin muss geplant werden. Wenn dann keiner möglich ist, steht man plötzlich da, mit einem halbherzigen, künstlichen Augenaufschlag, der so gar nichts mehr mit einem easy-schönen Look zu tun hat, sondern vor allem eines hervorruft: Stress und einen Perfektionismus-Ansatz, den ich mir selbst gegenüber nicht haben möchte.

Ich fing an, mir über den Perfektionismus Gedanken zu machen, den wir an uns selbst stellen – an unser Inneres wie an unser Äußeres. Ich gehöre schon immer zu denen, die sehr streng mit sich selbst sind, wenn es um das Erledigen und Schaffen von Dingen geht. Mit meinem Äußeren war ich gleichzeitig immer sehr im Reinen, so dachte ich – bis ich plötzlich merkte, mir immer öfter Gedanken über meine stets wohlaufgereihten Wimpern zu machen.

Ja, es mag vielleicht am Sommer liegen, vielleicht ist es aber auch eine grundsätzliche Entscheidung: Möchte ich zulassen, dass Äußerlichkeiten mich so beschäftigen, dass ich mich immer wieder im Spiegel vergewissern muss, dass alles sitzt, und Termine planen muss, um nicht halbkahl dazustehen? Möchte ich hier nicht eine Grenze setzen und mich so nehmen, wie ich bin, ohne dem Optimierungswahn die Tür zu öffnen?

Und so kam es, dass ich mich von meinen falschen Wimpern verabschiedete und nach etlichen Monaten mit so vollem Augenaufschlag wie noch nie in mein ungeschminktes Spiegelbild blickte. Die Augen klar und blau wie immer, aber ganz schön extrem im Kontrast. Erstmal ziemlich ungewohnt, doch gleichzeitig so natürlich, wie es nur sein kann. Und mit jedem Zwinkern wurde ich wieder mehr zu dem, wie ich mich eigentlich fühle. Wieder mehr zu mir. Und plötzlich mag ich meine Augen so wie sie eben sind, ganz ohne besonders sichtbare oder getuschte Wimpern, am allerliebsten.

 

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6 Antworten zu “Kolumne: Von Perfektionismus und Natürlichkeit”

  1. Schöner Text! Kannst du mir außerdem sagen welchen Lippenstift du auf den Fotos trägst? Genau so ein Rot möchte ich für den Herbst haben, danke :)

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