Kolumne: Von nichts kommt nichts
An der Bettkante sitzend stelle ich den Wecker und im gleichen Atemzug den Flugmodus aus, warte wenige Sekunden, checke ein paar Whats App Nachrichten und gehe duschen. Anschließend mache ich mir Kaffee und sehe mir währenddessen die neuesten Instagramfotos an, motivierende Scheißparolen irgendwelcher Superstarblogger „Get up, stand up and never give up“ oder „Messy hair, early mornings, coffee and Vogue“ und frage mich, wieso ich mir das überhaupt ansehe.
Es ist jetzt ungefähr 7.30 und normalerweise ist das der Moment, an dem ich überlege, was ich heute anziehen könnte. Zur Zeit aber ziehe ich immer dieselbe Hose an, dieselben Schuhe und ein weißes T-Shirt, an manchen Tagen vielleicht ein schwarzes und an Wochenenden ein graues. Eigentlich habe ich Lust auf ein bisschen Farbe, aber der Lippenstift stört mich beim Essen.
Das ist die Situation, die man damals, als das Wortspiel noch Existenzberechtigung hatte, als Krea-Tief bezeichnet hätte. Mein Kopf ist leer, und während ich angestrengt durch meine Straße renne, hoffend mit den Zähnen knirsche und mich frage, ob mir die linke Straßenlaterne da, die, mit den gelben Stickern, irgendeine Erleuchtung bringt. Die Augen offen, wo zum Teufel seid ihr, ihr Ideen und wieso kommt ihr nicht, wenn ich es will. Ich möchte schreiben und jemanden zum Denken anregen, aber wie regt man jemanden zum Denken an, wenn man es selbst nicht kann?
Also keine Eingebung. Brainstorming. Die Vorweihnachtszeit ist da – denn ja verdammt, es ist schon November und ja, die Zeit vergeht schnell -, wie wäre das Thema Konsumkritik? Tausendmal gehabt und auch irgendwie schwierig, schließlich ist die Weihnachtszeit für alle die lukrativste Zeit überhaupt, und ich würde lügen, wenn ich sage, dass amazed nicht zum Konsum beiträgt. Also auch heuchlerisch und kompliziert, wie zieht man sowas schon auf. Vielleicht schreibe ich Konsumkritik in großen Lettern zu unseren Themenideen, das kann ich ja im Krea-Hoch aufgreifen, wenn man so will.
Also vielleicht doch etwas seichteres, was unterhält, aber gleichzeitig intelligent ist, oder wenigstens nicht stumpf. Ich bin nicht gerade in der Hochphase, also jetzt keinen auf „Was kostet die Welt machen“, schließlich reicht mir gerade ein „Wann ist die Welt im Wintersale“. Kein Stumpfsinn. Es muss kein intellektueller Marathon mit mir selbst sein, aber es sollte nicht dumm sein.
Typologien. Die mag ich wirklich gerne, wer liest sie nicht gerne? Und was noch schöner ist, als Typologien lesen, ist, sie zu schreiben. Welcher Taschentyp bist du, welcher Schuhtyp, welcher Herbsttyp. Alles schon gehabt. Mensch, Amelie, da muss doch irgendwas sein in deinem Hinterkopf. Manteltyp? Cocoon, Klassiker, Trench, Zweireiher? Ach, das ist doch auch dasselbe in Grün. Aber vielleicht schreibe ich es auch auch mal auf unsere Ideenliste, vielleicht fällt ja den anderen beiden etwas erfrischendes zu einer Manteltypologie ein. Und das klingt in meiner themensuchenden Trauerphase (wenigstens habe ich noch Alliterationen drauf) wie ein Widerspruch – eine erfrischende Wintermanteltypologie. Keck.
Ich durchforste meine Blogroll, die mittlerweile so klein ist, dass es schon fast euphorisch ist, den Prozess als „durchforsten“ zu bezeichnen. Da! Da war eine gute Idee, verdammt, das Thema ist so banal und so gut, wie konnte ich nicht selber darauf kommen? Coolness. Coolness ist so ein komplexes Thema und perfekt für einen Artikel. Ich könnte auch über Coolness schreiben, aber dann würde ich dasselbe schreiben, wie das, was ich gerade gelesen habe.
Hilfe, jetzt kann ich nur noch an Coolness denken. Wen finde ich cool? Meine Candy Girls zum Beispiel, ja, die sind cool, oder James Dean, der war, glaube ich, auch ziemlich cool. Ich könnte ja über Nettigkeit schreiben. Was ist schon nett? Wer ist nett? Wieso sind wir nett? Ohje, nett sind auch Meerschweinchen und unsere Nachbarn aber auch. Wieso funktioniert das Thema Nettigkeit nicht genauso gut wie Coolness? Los, Amelie, du musst sofort von diesem Thema loskommen.
Meine Gedanken machen mich müde, und ich beschließe, wieder ins Bett zu gehen, mich zu entspannen und eine Runde zu schlafen, ist ja mittlerweile auch schon 18 Uhr und man glaubt es gar nicht, wie man so viel schaffen kann, während man so viel unproduktives Zeug denkt. Und während ich in meiner abgedunkelten Wohnung liege und den Drei ??? nicht zuhöre, weil ich überhaupt keine Lust auf Die Drei ??? habe, sie aber gleichzeitig auch nicht nicht hören kann, denke ich an die tiefgründigen Worte der Hochglanzblogger: GET UP. STAND UP. AND NEVER GIVE UP., schlafe ein und beschließe am kommenden Morgen, über nichts zu schreiben.
18 Antworten zu “Kolumne: Von nichts kommt nichts”
Grade erst auf They All Hate Us gesehen: BEING NICE IS COOL – und so ist es, nett und aufmerksam gegenüber seinen Mitmenschen und seiner Umwelt zu sein ist sowas von COOL!!! http://www.bloglovin.com/frame?blog=635752&group=0&frame_type=b&frame=1&click=0&user=0
Was für ein schöner, ehrlicher Artikel. Als Designstudentin, kenn ich das Phänomen „Krea-Tief“ über das du da schreibst sehr genau. Der Gedanke, alle Freiheiten zu haben, alles denken und tun zu können ist meistens viel mehr lähmend als motivierend.
Ich bewundere es ja schon, dass du anscheinend – anders als ich – keine Sklave des Schlummermodus bist, der sich vornimmt um 8 aufzustehen und produktiv zu sein, und dann um 9:23 aus dem Bett stolpert und erstmal ausgiebig frühstückt und dann Kurs schwänzt, weil man es nicht geschafft hat produktiv zu sein. Aber weißt, dass das altbekannte Thema „Konsumkritik“ viel näher damit verknüpft ist, als man denkt? Konsumieren macht uns passiv, und haben wir es uns einmal in dieser Passivität gemütlich gemacht, kriegen wir auch nichts anderes mehr auf die Reihe, als zum 3ten Mal dasselbe Sherlock-Holmes Hörspiel zu hören oder sich banale Serien wie Gossip Girl reinzuziehen. Ich hab das ähnlich wie du, auch einfach mal zu meinen Projektthema in Grafikdesign gemacht. Konsum fernab vom bloßen Kaufen, sondern bezogen auf den unbewussten Verzicht etwas eigenständig zu tun und zu denken. So und jetzt setz ich meinem Procrationsgelaber lieber ein Ende, damit ich noch mehr Blogs lesen, staubsaugen, aufräumen, zur Post und dann vielleicht noch was für Grafikdesign machen kann.
Herzlichste Grüße,
Katharine
Liebe Amelie,
was für ein großartiger Artikel, ich habe zwischendurch sehr gelacht – sowohl über deine tollen Formulierungen als auch über mich selbst, denn ich finde mich 1:1 in diesem Post wieder.
Diese „Eigentlich… aber…“ Mentalität kenne ich nur zu gut. Eigentlich könnte man über das lange im Kopf herumspukende Thema schreiben, aber das haben ja auch schon zig andere vorgemacht. Eigentlich wollte ich bereits um 8:00 Uhr produktiv am Schreibtisch sitzen, aber dann kam alles anders als gedacht.
Du bist also ganz sicher nicht allein in deinem „Krea-Tief“ gefangen (und Wortspiele haben auch heute noch ihre Existenzberechtigung, aber sowas von!) und es tut gut und ist erfrischend anders, mal über Nichts zu lesen. :-)
Wenn du einen geeigneten Weg aus dem Tief heraus gefunden hast, abseits der demotivierenden Worte der Hochglanzblogger, lass es mich wissen!
Alles Liebe von Hamburg nach München
Nori
Liebe Nori, danke für deine erheiternden Worte und fürs Lesen. Ich hoffe auch, dass ich bald aus meinem Tief herauskommen werde – vielleicht war diese Kolumne ja der erste Schritt. Liebe Grüße!
Ach und Wortspiele im Allgemeinen liebe ich sehr – ich hasse nur den Begriff Krea-Tief :)
Die Kolumne war ganz sicher der erste Schritt und ich freu mich schon sehr auf den nächsten Teil: „Wieder mal Nichts.“ :-) Alles Liebe!
Ich glaube, ich habe zum ersten Mal einen eurer Artikel von Anfang an bis zum Schluss hin durchgelesen. Danke für die nicht-seichten Worte, du hast meinen Tag erfrischt. Weiter so Amelie!
Oh, einerseits irgendwie schade, dass das jetzt erst der Fall war, andererseits fühle ich mich natürlich sehr geehrt. Vielen Dank, Evelyn!
Amelie, das ist ein sehr, sehr schöner Krea-Hoch-Beitrag.
Und noch dazu thematisiert er ein Thema, über das ich selbst immer wieder stolpere.
Die halbe Menschheit hält nicht viel von Modebloggern und überhaupt, so ein Blog-Beitrag ist doch so furchtbar leicht konsumiert. Ich würde all den blöden Gänsen, die ab und an so gerne schimpfen gerne mal eine Frage stellen: Glaubt ihr, ihr könntet 360 Tage im Jahr neue Themen finden, mindestens drei Stück? Was ich sagen will: Ich glaube, so im Vergleich zu vielen vielen anderen, sind da ganz schön viel mehr Ideen in deinem Kopf als du selbst vielleicht vermutest.
<3
Da hast du so recht. Es ist leicht mal gesagt „Mach doch mal wieder etwas mit mehr Tiefgang“, wenn doch manchmal die Tiefe so weit weg ist. Danke für deine lieben Worte, Nike!
.. du bist momentan die einzige Schreiberin die ich lese, also lass bloss den Kopf nicht hängen, hörst du! Sonst hab ich nix mehr zum lesen! :-D
War wieder mal ein guter Text, mir gefällt wie und was du schreibst. Das würde ich auch gerne können. Ich leide zwar nicht an chronischen „Krea-Tiefs“ aber an der „Unfähigkeit Gedanken zu formulieren“. Auch ganz schlimm.
Alles Gute
Danke, Natacha!! <3
ahhh! ein sehr anschaulich be-schriebener zustand. immer wieder holt er uns ein. alle festplatten gelöscht und endlich nach langer zeit das gefühl von leere. ist doch klasse. also eigentlich. wenn man sich eigentlich nicht dazu zwingen müsste etwas mutwillig hervobringen zu müssen…
nice read auf jedenfall, denn über nichts zu lesen, hat mir noch nie soviel spaß gemacht wie jetzt gerade.
Tausend Dank! Und du hast recht, wenn der Druck nicht da wäre, etwas schaffen zu müssen, wäre diese Leere sehr schön.
ich hab keine ahnung, wie deine stimme klingt, aber während ich deine kolumne gerade las, habe ich dazu passend deine (?) stimme in meinem kopf gehört, die den text poetry slam mäßig, so richtig mit höhen und tiefe und schnell und aufgeregt und leise und langsam vorgetragen hat und wenn sich am ende der kreis schließt, weil du wieder auf flugmodus schaltest und einschläfst – das wäre bei nem slam ziemlich genau der moment, in dem tosender applaus ausbricht ;)
liebe grüße, laura
Oh, vielen Dank für die schönen und malerischen Worte!
Hallo liebe Amelie,
Dafür, dass du ein kreatives Loch hattest, war der Artikel aber sehr erfrischend! Hast du nicht früher öfter mal Gedichte geschrieben oder zumindestens welche gepostet auf deinem alten Blog (hoffe ich verwechsel ihn jetzt nicht!)? Ansonsten fänd ich es auch ganz interessant mal philosophischer an die Mode ranzugehen oder zum Beispiel von Milena mehr Einflüsse ihres Kunststudiums mitzubekommen! Bin jedenfalls ein Fan von euch und eben ganz besonders von den weniger typischen Bloggerdingen, sonder eben von Artikeln wie diesem!
Was für ein schöner Text. Man liest so selten ehrliche Alltagsbeschreibungen, die die Menschen hinter dem Blog irgendwie ein bisschen menschlicher machen – für uns LerserInnen. Ich finde, solche Texte können auch mal ganz „ziellos“ sein bzw. ist es ja auch ein Ziel, fernab von Manteltypologien oder anderen Blog-Konzepten Impressionen und Alltagserfahrungen zu beschreiben. Bitte mehr davon :)