Kolumne: Von Neuanfängen und Angstzuständen
Allem Anfang wohnt ein Zauber inne, sagt Hermann Hesse. Damit hat er verdammt recht, denn die Gefühle, die Neuanfänge in uns hervorkitzeln, haben wirklich etwas Magisches. Wir sind energiegeladener als sonst, aufgeregter und wie einmal durch den Feinwaschgang geschleudert, wenn wir auf der neuen Arbeitsstelle aufkreuzen, den neuen Studiengang beginnen oder die erste Nacht in der neuen Wohnung schlafen. Neuanfänge wecken uns aus einem Schlaf auf, den wir gar nicht bemerkt haben, blasen uns frischen Wind in die Segel – und treten uns einmal kräftig in den Hintern.
Veränderungen setzen uns unter Stress, machen uns Angst und wirbeln alle Emotionen einmal kräftig durch
Ja, so magisch Neuanfänge auch sind, so energiegeladen sie uns machen und so wunderbar wir uns fühlen – Veränderungen haben auch eine Seite, die sich wie ein richtig großer Tritt anfühlt. Veränderungen setzen uns gleichsam unter Stress, machen uns Angst und wirbeln alle Emotionen einmal kräftig durch.
So fiebere ich also gerade meinem Umzug entgegen, etwas mehr als zwei Wochen sind es jetzt noch hin, und könnte auf der einen Seite kaum glücklicher sein. Mit dem Menschen zusammenzuziehen, den ich ohne Probleme 24/7 bis zu meinem Lebensende um mich haben könnte, fühlt sich an wie eine kleine Explosion im Herzen. Ganze vier Zimmer in einer der schönsten Gegenden der Stadt zu beziehen, ist der größte Glücksfall, den ich mir hätte träumen können. Mir juckt es in jedem einzelnen Finger, wenn ich daran denke, diese Zimmer einzurichten und so dermaßen viel Platz für jegliche Einrichtungsexperimente zu haben. Und ich freue mich auf jede Kleinigkeit, die es im neuen Viertel zu entdecken gibt.
Und trotzdem, so verrückt es auch klingen mag, findet in meinem Inneren gleichzeitig ein völlig gegensätzliches Gefühl statt: Die pure Panik. Dass solch intensive und gegensätzliche Gefühle überhaupt gleichzeitig stattfinden können, war mir neu, und doch ist es möglich, wie mir eine Freundin und Psychologin neulich nahelegte. Wir können Gegensätzliches fühlen, und das ist tatsächlich normal, auch wenn es sich nun wirklich abgefahren anfühlen mag.
Geht es nicht auch anderen so, dass es ganz furchtbar traurig macht, die eigene Wohnung hinter sich zu lassen?
Die Panik ist nun also eine Panik der Veränderung, eine Angst, das Vertraute zurückzulassen, in etwas Neues, Unbekanntes zu starten, und auch ein bisschen Traurigkeit, eine ganz eigene Ära hinter sich zu lassen. In keinem Bericht des Zusammenziehens mit dem Partner habe ich jemals davon gehört, aber geht es nicht auch anderen so, dass es ganz furchtbar traurig macht, die eigene Wohnung hinter sich zu lassen? Diese ganz persönlichen vier Wände, in dem man tun und lassen konnte, was man wollte. Putzen, Schlafen, Kochen und Herumlümmeln, wann und wo man wollte, ohne Rechtfertigung und ohne Rücksicht auf irgendjemanden. In dem man alles genau so einrichten konnte, wie es einem gefiel, auch wenn das eine völlige Geschmacksverirrung bedeutete. Und in dem so viele, ganz persönliche Erinnerungen stecken.
Gigantische Vorfreude und riesige Traurigkeit, Dankbarkeit und Panik
Bei jedem Umzugskarton, den ich gerade fertig packe, knallen diese verrückten Emotionen aufeinander: Gigantische Vorfreude und riesige Traurigkeit, Dankbarkeit und Panik. Und während ich mir kaum etwas schöneres vorstellen kann, als gemeinsam in der neuen Wohnung aufzuwachen, gehe ich fast schon fest davon aus, meine alte Wohnung wirklich lange zu vermissen.
Ja, verrückter haben meine Emotionen wohl selten gespielt, und während ich erst an meinem Verstand zweifelte, bin ich jetzt zur Akzeptanz übergegangen. So wirklich viel anderes bleibt einem sowieso nicht übrig, also nehme ich diese Emotionsparty eben hin und bin gespannt, was passieren wird, ab der ersten Nacht im neuen Zuhause. Ob die Panik es sich noch ein bisschen gemütlich machen, die Traurigkeit ihr auch mal Hallo sagen wird – oder ob sich dann, ganz plötzlich, doch alles in Luft auflöst und die ganzen Emotionen sich in nur noch einer äußern: Euphorie.
11 Antworten zu “Kolumne: Von Neuanfängen und Angstzuständen”
Ich bin mit meinem Freund grad „nur“ auf Wohnungssuche (auch 1. gemeinsame Wohnung! uhhhh) und schon jetzt erkenne ich mich absolut in deinen Gedanken/Emotionen wieder. Danke für diesen wunderbaren Text! <3
<3
Es ist wirklich verrückt und aufreibend, was man da so fühlt. Aber es ist schön! :)
Ich bin vor 1,5 Jahren mit meinem Freund zusammen gezogen und hatte genau das gleiche Gefühlschaos. Seit 1 Jahr habe ich keine kleinen Tränchen mehr in den Augen wenn ich an meiner alten Wohnung vorbei fahre. Anfangs ist es ungewohnt nicht mehr alleine laut die Musik aufdrehen zu können usw, aber es ist umso schöner, nicht mehr alleine Abend zu essen und zu wissen, dass man „angekommen“ ist. Einen wunderschönen Start euch 2!:)
Oh ja, diese Tränchen werde ich bestimmt auch verdrücken! Aber das geht vorbei, und irgendwann wäre man dann wahnsinnig traurig, wenn man sich von der neuen Wohnung verabschieden müsste…
keine panik, das legt sich ganz schnell. weil es sich so selbstverständlich und gut anfühlt, mit dem richtigen zusammen zu leben. ob es passt, habe ich daran gemerkt, dass er der erste war, bei dem ich mich immer, in jeder situation wohlgefühlt habe – auch im größten stress oder wenn es mir gar nicht gut ging. er war der erste, den ich immer um mich haben konnte, ohne je von irgendwas genervt zu sein. und so ist es heute noch immer, nach viele, vielen jahren :-) also: nur mut! und einen guten neustart!
Vielen vielen Dank! In der Hinsicht geht es mir auf jeden Fall genauso und das ist zum Glück auch nichts, worüber ich mir Sorgen mache. Und wie du sagst ist das aber letztendlich die Hauptsache :)
ich kann dich gut verstehen… abschied nehmen schmerzt immer etwas.
aber freue dich auf das neue :)
Ich kann das zu 100 % verstehen! Dieses Vorfreudepanikding hat mich auch die ganze Zeit vorm Zusammenziehen begleitet. Jetzt wohnen wir seit zwei Jahren in unserer gemeinsamen Wohnung und es könnte nicht schöner und besser laufen. Aber es ist halt anders. Ein paar Sachen kann ich einfach nicht mehr machen und das fehlt mir auch ein bisschen. Wenn der Herr dann mal übers Wochenende weg ist, ist es für mich das Größte Sturmfrei zu haben. Meine Musik aufzudrehen, meinen kompletten Kleiderschrank einmal anzuprobieren und dabei völlig bescheuert vor dem Spiegel zu tanzen und die ganze Wohnung im Choas versinken zu lassen. Noch schöner isses dann aber, wenn er wieder nach Hause kommt <3
ein ganz großartiger authentischer text! liebe grüße
[…] weiß, seit Wochen habe ich gefühlt nur von meinem bevorstehenden Umzug gesprochen, mich gefreut, Angst bekommen und versucht, mich so gut wie möglich auf diese Veränderung vorzubereiten. Auch, wenn ich es […]
[…] und dem Tunnelblick, der sich seit der Reise nach Aruba über mir ausgebreitet hat. Wie ich euch hier schon erzählt habe, hat mich diese ganze Umzugsthematik in ziemliche Angstzustände und […]