Kolumne: Vom Dating, der Hoffnung und Enttäuschung

20. November 2023 von in

Dr. Hanna Kuschel ist 34 und lebt in München. Sie ist Psychologin und angehende Paar- und Familientherapeutin. Getreu der Positiven Psychologie interessiert sie sich vor allem dafür, was uns im Leben stark macht. Für sie ist das: Klarheit über die eigenen Prägungen der Herkunft(-sfamilie), Klarheit über die eigenen Werte, Humor, Kreativität und Vertrauen. Und funktionierende Beziehungen, süße Tiere und schöne Klamotten. Mehr zu Hanna findet ihr auf Instagram unter @kuschelhanna.

In den vergangenen drei Jahren habe ich rund 50 Männer kennengelernt. Für ein zweites Date hat es selten gereicht, noch seltener für ein drittes. Ist die Hürde von Date 3 aber genommen, dann startet das richtige Kennenlernen. Dann tastet man sich Schritt für Schritt vor. Lotet Gemeinsamkeiten aus und Unterschiede. Wie lebst du, was ist dir wichtig, was ist deine Love Language, und überhaupt: Pommes mit Ketchup oder mit Mayo?

Es fühlt sich an, als würde man in einem Computerspiel Level für Level vorwärts rücken. Ist ein Level geschafft, wurden also die Prüfungsaufgaben des Levels bewältigt und als positiv beschieden, so zieht man ins Nächste weiter. Und wie bei Donkey Kong wird’s mit jedem Level schwerer, denn irgendwann kommen Gefühle dazu – und dann wird’s kompliziert.

Meine vollkommen subjektiven Levels im Dating-Game mit den jeweiligen Prüfungsaufgaben, die es zu bewältigen gilt, sehen so aus:

Level 1: das Einstiegslevel, Date 1: ansprechendes Äußeres, gepflegte Zähne, kompatibler Körpergeruch, stellt interessierte Fragen
Level 2: Einstieg Plus, Date 2: funktionierende schriftliche Kommunikation, ähnliche Interessen, anregende Gespräche
Level 3: Intermediate, Date 3 und folgende: ähnliche Werte, Anerkennung dessen, dass Frauen heutzutage noch nicht gleichgestellt sind, das System jahrhundertelang von Männern gemacht wurde und Männer daher Privilegien genießen, Sex
Level 4: der Endgegner, ab Date X?: emotionale Verfügbarkeit, beidseitige Bindungsfähigkeit, ein Paar werden, gegebenenfalls Heirat

Wobei, ein Level habe ich vergessen. Nennen wir es Level Hoffnung. Das Besondere an diesem Level ist: Es läuft bei jedem Level mit und steigt kontinuierlich an.

Level Hoffnung läuft immer mit und steigt kontinuierlich an.

Level Hoffnung beinhaltet: Hoffnung auf ein Leben zu zweit, auf einen Partner in Crime, einen Seelenverwandten, dem ich nur einen Blick zuwerfen muss, um zu wissen, was er denkt. Hoffnung auf gemeinsam in den Urlaub fahren, genau dahin und auf die Art, wie ich es mag – weil wir eh immer Ähnliches wollen. Hoffnung auf: Mal endlich nicht alle Regale selbst tragen zu müssen, mal ein Essen gekocht zu bekommen, Alltagsmomente nicht mehr im Familienchat teilen zu müssen. Hoffnung darauf, von jemandem auserwählt zu werden, für jemanden die Nummer eins zu sein, zu wissen, er würde MIR schreiben, wenn sein Flugzeug gerade abstürzt. Hoffnung auf: endlich mal weich sein zu dürfen. Endlich mal verletzlich sein zu dürfen. Jemandem mal was mitzubringen, ohne dass ich gleich needy daherkomme. Abends „Schlaf schön, ich denk an dich 😘“ zu schreiben. Endlich mal wieder ein positives Lebensereignis zu haben, ein neuer Freund, yeay, das wär doch cool.

Irgendwann kommt man beim Dating an einen Punkt, da wird Level Hoffnung zerstört.

Irgendwann kommt man beim Dating an einen Punkt – meistens zwischen Level Intermediate und Level Endgegner – da wird Level Hoffnung zerstört. Da geht es nicht weiter. Da zerbröckelt all das, was ich mir heimlich ausgemalt habe. Aus unterschiedlichen Gründen: Weil man mit dem näheren Kennenlernen merkt, dass es doch nicht passt. Oder weil der Andere doch noch nicht emotional verfügbar ist. Dating ist immer auch eine Frage des richtigen Timings. Und dann tut das weh. Persönlicher als „Nein, ich will dich als Mensch nicht an meiner Seite“ kann eine Absage nicht werden. Auch, wenn Dating-Gurus predigen, diese Ablehnung als Freiheitsschlag zu sehen – dann war es eben nicht „deine Person“. Und es tut auch weh, wenn ich selbst die Partei bin, die das Ende ausruft.

Und ich behaupte mal, dieser Moment, in dem klar wird „Hier geht’s nicht weiter“, der tut für einen kurzen Moment sogar mehr weh, als wenn eine Beziehung nach Jahren in die Brüche geht. Da hat man es ja wenigstens probiert, da kannte man die Unarten des Partners. Aber beim Dating liebäugelt man ja auch mit der Illusion eines Menschen: Das ist jetzt vielleicht der, der mir all meine Träume erfüllt. Mit einem potenziellen Partner kommt auch eine potenzielle Zukunft: so könnte unser gemeinsames Leben aussehen. Eine Idealisierung – und im Moment der Enttäuschung kracht’s im Herzchen.

Zurückgeworfen aufs Single-Dasein: zurück zu 1000 Möglichkeiten bei null Bock

Dann wird man zurückgeworfen aufs Single-Dasein. Zurück auf Level Einstieg Minus: Alles auf Anfang, zurück zum Swipen, zurück zu 1000 Möglichkeiten bei null Bock, zurück zu „Und was machst du beruflich?“. Dabei hatte ich mich doch grad ein bisschen an jemanden gewöhnt.
Dazu kommt die Scham. Die Scham darüber, dass ich mir so sehr einen Partner wünsche, es aber schon wieder nicht geklappt hat. Die Scham darüber, dass ich schon wieder nicht richtig einschätzen konnte, ob es sich lohnt, in eine Person zu investieren oder nicht. Dass ich falsche Hoffnungen hatte. Dass ich es zu viel will. Oder zu wenig. Oder zu hohe Ansprüche habe. Oder beim letzten sogar Kompromisse eingegangen bin, und es trotzdem nicht gereicht hat. Oder die Scham, dass ich es überhaupt noch probiere und mich nicht einfach mit einem partnerlosen Leben settle, ein hyper-unabhängiges Leben aufbaue, auf Männer scheiße und ein Start-up hochziehe. Das scheint heutzutage der einzige, gesellschaftlich akzeptierte Lebensentwurf für Single-Frauen Mitte dreißig zu sein: keine Kinder und Familie? Dann eben vollen Fokus auf Karriere. Dabei empfinde ich einen Partner als eine Bereicherung. Es muss halt der richtige sein.

„Boah, ich könnte das ja nicht mehr, dieses Dating“

„Boah, ich könnte das ja nicht mehr, dieses Dating“, sagen mir manchmal Leute in langjährigen Beziehungen. Als wäre man jetzt Ware auf einem Ramschmarkt, der wirklich nur noch verabscheuungswürdig ist. Tatsächlich formulierte es ein Bekannter letztens: Ü30-Dating sei ein „Gebrauchtwarenmarkt mit Produkten von zweifelhafter Qualität“. Was ich solchen Leuten an den Kopf werfen will: „Wann habt ihr denn das letzte Mal mit Zunge geknutscht? Oder ein Gespräch geführt, in dem es um mehr ging als um Organisatorisches? Schlimmer als Single zu sein finde ich, in einer unglücklichen Beziehung zu sein. Und: Beziehungen können auseinander gehen! Steig‘ also von deinem hohen Ross und schau lieber, wie du dir deine Eigenständigkeit bewahrst, damit du nicht kaputtgehst, solltest du irgendwann mal wieder Single sein“. Aber die Ramschware hält lieber ihren Mund.

Eine mächtige Frau ist eine, die keine Emotionen zulässt

Ich habe aufgehört, meinen Freundinnen Details über meine Dates zu erzählen. Sie wissen, dass ich Dates hatte und wie mein Fazit danach ist, aber kleine Anekdötchen über ihn, was er zu mir sagt oder über mich gesagt hat, Eigenheiten, die ich beobachtet habe, was in seiner Wohnung steht – sowas teile ich nicht mehr. Den Fokus daraufzulegen, was mir an ihm gefällt, das mache ich nicht mehr. Das ist schließlich ein Anfängerfehler. Jetzt bin ich fortgeschritten, jetzt suche ich FEHLER. Meine kleine Seele findet eben Wege, wie sie sich schützen kann. Ein mächtiger Mann ist einer, der keine Emotionen zulässt. Eine NOCH MÄCHTIGERE Frau ist eine, die erst recht keine Emotionen zulässt. Da guckste blöd, Björn, muhaha.

Was meine persönliche Schutzstrategie im Dating-Wirrwarr bewirkt, das habe ich kürzlich gespiegelt bekommen

Was meine persönliche Schutzstrategie im Dating-Wirrwarr bewirkt, das habe ich kürzlich gespiegelt bekommen. „Ich beobachte da schon eine gewisse Bindungsunsicherheit bei dir“, hat mir ein Psychotherapeut zurückgemeldet, den ich gedatet habe. „WIE KANN MAN NACH 3 JAHREN DATING IN DER HEUTIGEN ZEIT DENN KEINE BINDUNGSSTÖRUNG HABEN?“, platzte es aus mir heraus. „Wo Kontakte einfach so abgebrochen werden und es keine Verlässlichkeit mehr gibt, wo es erst heißt: ‚Lass uns gemeinsam in den Urlaub fahren‘ und zwei Wochen später hat man ‘alles überinterpretiert und es wäre besser, wenn wir uns nicht mehr sehen‘.“
Und auch mein Bruder hat mir mein Verhalten unbewusst gespiegelt. „Ist das der, der so komisch lacht, oder der, der so trantütig ist?“, fragte er ganz nebenbei, um meine Dates einzuordnen. Das hat mich schockiert. Heiliger Bimbam, dachte ich, so rede ich über Menschen? So will ich nicht sein. Ich will offen für Bindung sein. Ich will positiv über Menschen reden. Ich will Hoffnung haben. Aber Single zu sein ist halt manchmal einfach nur verdammt schwer.

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