Kolumne: Überarbeitung, Stress, Termine – War das schon immer so?

25. Januar 2019 von in

Illustration: @traitspourtraits

Neulich stellte ich, wenige Wochen vor Weihnachten, Milena die Frage, ob das schon immer so war. Ob ein Großteil meines unmittelbaren Umfelds schon immer reihenweise Nervenzusammenbrüche erleidet und mit nicht enden wollenden Krankheiten kämpft – ob es an unserem Zeitalter liegt, oder gar an dem ganz normalen Alter.

Sozial sein aus schlechtem Gewissen

„Vorweihnachtszeit, du kennst das ja“, erzählte man sich dann im Dezember über einem schnellen Glas Weißwein an einem Mittwochabend. Es ist 20 Uhr, und gerade würde man lieber zu Hause Friends gucken, doch man entscheidet sich für das Restaurant um die Ecke der eigenen Wohnung aus dem schlechtem Gewissen heraus, seine Freunde zu vernachlässigen. Die gegenüber sitzende Person nickt verständnisvoll: „Ja, diese verflixte Vorweihnachtszeit“, und ist gedanklich bei der Wäsche, die sich zu Hause häuft, und sie fragt sich, wann sie denn endlich mal wieder zum Yoga kann. Was nämlich beide Parteien bei diesem schnellen Glas Weißwein an einem Mittwochabend nicht wissen ist, dass beide gerade aus schlechtem Gewissen des jeweils anderen da sind. Denn beide haben einen Arsch voll Arbeit, der bei der echten Arbeit anfängt und bei Wäsche, Steuer und Yoga aufhört. Beide kriegen den Gedanken nicht aus ihren Köpfen, dass sie ihren Aufgaben in der Masse nicht gewachsen sind und beide sind gar nicht wirklich da, bei ihrem Feierabendweißwein. Sie sind eine sich sorgende Hülle ihrer selbst, die ihren Aufgaben hinterher hechelt, und für die das einst nette Treffen mit den besten Freunden zu einem weiteren Termin in ihrem überfüllten Kalender geworden ist.

Wohin ist die gute, alte Zeit?

Eine Stunde und fünfzehn Minuten sitzen sie sich gegenüber und erzählen sich gegenseitig, wie schlecht es ihnen geht, und als sie sich im Anschluss nach Hause bewegen, wollen sie sich gegenseitig am liebsten eine Nachricht schreiben, in der steht, dass es ihnen leid täte. Und damit meinen sie ihren gesamten Auftritt, der so freudlos war wie lange nicht mehr. Das schlechte Gewissen ist nach dem Treffen immerhin so weit besänftigt, dass sie sich nun wieder ihren anderen Aufgaben widmen können, doch befriedigend ist irgendwie trotzdem etwas anderes. Die Frustration übermannt Person B, die nun endlich ihre weiße Wäsche anstellt und sich fragt, wo die gute, alte Zeit geblieben ist, in der sie ellenlange Abende mit ihren Freundinnen hatte und über die Liebe und das Leben so lange philosophierte, bis sie aus dem Lokal geworfen wurden. Dann atmet sie tief durch und redet sich ein, dass das gerade am Winter läge und dass die Welt im Sommer ganz anders aussähe, doch was sie sich gerade noch nicht eingesteht ist, dass das nur zu einem kleinen Teil stimmt.

War es schon immer so, dass arbeitende Menschen ab dem Alter von ungefähr 25 Jahren anfangen, burnout’sche Anflüge zu erleiden, die teilweise sogar so schlimm sind, dass sie sich krank schreiben lassen müssen? Und zwar nicht so, wie ich mich damals als Schulkind halbherzig hüstelnd bei meiner Hausärztin habe krank schreiben lassen, um einen sinnlosen Schultag zum Wochenende hin zu überbrücken. Sondern die sich ernsthaft und aufrichtig zu einem Arzt oder Ärztin schleppen und vor deren Augen in Tränen ausbrechen: „Ich habe noch nie vor einem Arzt geheult“, erzählte mir im Anschluss eine gute Freundin, die jüngst mit ähnlichen Problemen zu kämpfen hatte. Sie bewegt sich dabei in keiner gut bezahlten Manager- oder Chefposition, sondern in einem Angestelltenverhältnis. Dabei ist die oben beschriebene Situation, in der ich mich auch schon des Öfteren befunden habe, zwar noch kein Burnout, aber ein zielstrebiger Weg direkt dorthin.

Zeit ist Geld

Meine Entscheidung, das Arbeitspensum herunter zu schrauben, ist dabei eine Luxusentscheidung, da ich nicht wie beispielsweise eine schwer arbeitende, taxifahrende Arbeitskraft keine andere Wahl habe, als mich halb kaputt zu arbeiten. Ich habe die Wahl, mich konstant zu überarbeiten oder mit weniger Geld und mehr Freizeit ausreichend viel zu arbeiten. Ich entscheide mich für die zweite Variante und bin es leid, mich bei meinen Freunden für meinen lächerlichen Auftritt zu entschuldigen. Ich will mich freuen können über die Nachrichten meiner Freunde, ich will Zeit mit meinem Freund haben, ich will meine Eltern in München besuchen können und ich will meine Yogabesuche und meine Zeit für mich wahrnehmen, weil ich es will und nicht, weil es mal wieder an der Zeit wäre und ich mal irgendwo gelesen habe, dass Yoga und Quality Time gut tun. Es stellt sich nämlich heraus: Yoga tut nur dann gut, wenn man Zeit für Yoga hat. Und jetzt verstehe ich auch, was es mit dem merkwürdigen Spruch „Zeit ist Geld“ auf sich hat. Denn je älter ich werde, umso teurer wird meine Freizeit. Ich habe keine Lust mehr, mich darüber zu definieren, wie viel ich doch arbeite, und was mich am allermeisten ankotzt, ist, dass viel arbeiten sexy ist. „Work hard, play hard“, „Work hard and be nice to people“, #nevernotworking. Alle sind auf Social Media und im oberflächlichen Small Talk so wahnsinnig wichtig, doch in der Realität so maßlos überfordert. Und die Frage bleibt: War das schon immer so?

Zeit ist schön

Ich habe keine Lust mehr, mich ausschließlich über meine Produktivität zu definieren. Mein Selbstwert stützt sich langsam aber sicher auch auf anderen Standbeinen, die mich (hoffentlich) nachhaltiger halten werden. Veränderungen brauchen Mut und Zeit und so auch diese, doch Zeit habe ich ja jetzt glücklicherweise. Und ich sage euch eins: Das ist richtig schön.

 

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7 Antworten zu “Kolumne: Überarbeitung, Stress, Termine – War das schon immer so?”

  1. Liebe Amelie,
    der Beitrag hat mich echt abgeholt und das obwohl ich noch gar nicht angefangen habe zu arbeiten, sondern noch studiere. Mir gruselt es vor dem Berufseinstieg, weil sich in mir zwei Geister streiten. Der eine poltert ziemlich laut rum und ruft mir zu, dass ich unbedingt viel anstreben, Karriere machen soll, während der andere mich von innen in den Arm nimmt und mir zuflüstert, dass ich eigentlich genau weiß, dass das nicht das Wichtigste für mich ist im Leben. Dass ich zwar einen Job haben möchte, der mir Spaß macht und in dem ich das Gefühl habe was sinnvolles zu tun, der mir aber gleichzeitig auch Spielraum für all die anderen schönen Dinge in meinem Leben lässt. Nur irgendwie spüre ich einen hohen Druck von außen, dass die Berufswahl das wichtigste ist worüber ich mich zu definieren habe. Mal schauen wo das hinführt.
    Es freut mich auf jeden Fall zu hören, dass du dir jetzt mehr Zeit für andere neben der Arbeit nimmst. Genieß es.
    Liebe Grüße!

    • Liebe Lea, danke für deinen Kommentar. Ich kenne das Gefühl nur allzu gut und habe leider selbst auch keine absolute Lösung. Man will ja auch nicht gar nicht arbeiten, und es ist auch echt schön, sich über seine Arbeit zu einem gewissen Teil definieren zu können. Da geht es um die Balance, aber die zu finden, ist echt schwer. Viel Erfolg noch bei der Suche <3

  2. Es erstaunt mich immerwieder, wie ihr zu genau den richtigen Zeitpunkten, genau die richtigen Artikel schreibt, um mich abzuholen. Und ich bin mir sicher, das empfinde ich nicht allein so. Vielen Dank dafür ihr Drei. Liebe Grüße aus Hamburg, Lena

  3. Kann mich den anderen beiden Kommentaren nur anschließen: Habe mich total abgeholt gefühlt. Es stimmt leider, dass gefühlt jeder Termin unter der Woche Stress auslöst, selbst die Freundin, die man nur alle 2-3 Monate sieht. Und dann streicht man sich manchmal den Sport raus, weil man den Terminkalender ein bisschen entlasten will und ist am anderen Tag wieder genervt, dass man ja so wenig Sport macht.
    Auch ich merke immer mehr, dass Zeit Geld ist und versuche dieses Jahr mit mehr Gelassenheit und bewusstem Einteilen meiner Zeit mehr Platz für mich, meine Hobbies & meine Lieben zu finden. Klar müssen wir alle arbeiten, um unser Leben zu finanzieren, aber zu wichtig sollte man das trotzdem nicht nehmen und ich persönlich habe Leute, die ständig nur erzählen wie busy sie sind und das geil finden, auch aus meinem Freundeskreis gestrichen – weil es einfach nicht mehr passt und auch nicht zu mir passen soll.

  4. Gute Gedanken, genau zur richtigen Zeit, liebe Amelie :) Viele meiner Freunde befinden sich in ähnlichen Situationen, im Zwiespalt zwischen „Mir macht die Arbeit so viel Spaß“ und „Ich arbeite so viel, ich kann aber eigentlich nicht mehr“. Dazu kommt, dass sich viele im Alter zwischen 25-28 noch als Berufsanfänger definieren, vielleicht gerade ein, zwei Jahre im Job sind und der Druck, sich beweisen zu müssen enorm hoch ist. Nebenbei wird noch die Masterarbeit geschrieben oder die Selbstständigkeit geplant, Überstunden auf der Arbeit werden vielleicht aufgeschrieben, aber nie abgefeiert. Et Voila, nach einiger Zeit steht der erste kleine Zusammenbruch vor der Tür. Leider – und ich glaube das ist die Gefahr, kommt der erste mentale Break-Down auch oft mit dem Gefühl und dem Zuspruch: Wow, ich habe ja richtig viel geschafft, habe parallel meinen Uniabschluss/ Prüfung / Projekt erarbeitet und viel Lob und Anerkennung von außen bekommen. Dieses Gefühl vom Stolz, alles erledigt zu haben, auch wenn man monatelang kaum Freizeit und Erholung hatte, überwiegt schnell und lässt das Gefühl des „Ausgebrannt“-Seins am Ende wieder in Vergessenheit geraten. Bis es ein paar Wochen später wieder von vorne anfängt. Vielleicht ist es sogar bei Einigen schon zu einer kleinen Sucht geworden, die einen nicht mehr loslässt. Kein Wunder, denn die Arbeit/Freunde Treffen/Yoga usw. macht ja Spaß, warum sollte man dann freiwillig darauf verzichten? Ich glaube, es ist ein längerer Weg, den jeder gehen muss, um am Ende die richtige Balance zu finden :)

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