Kolumne: Tausche einmal Angst gegen Mut, bitteschön
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Angst, Schmangst. Ein abstrakter Begriff, dieser. Er beschreibt ein menschliches Gefühl, das vor Risiken schützt, zur Flucht einlädt und in Extremsituationen zu besonders starken Fähigkeiten führt. Klingt eigentlich nach einer tollen Emotion und einem praktischen, gar lebensrettenden Gefühl und doch scheint mir, die Angst vieler wohl behüteter Personen wie mich, ist manchmal wie die Polizei in München: Sie hat wenig zu tun und kümmert sich deshalb übermotiviert um Nichtigkeiten, um sich bei Laune zu halten. Angst kann nicht nur in ungünstigen Situationen für Darmprobleme sorgen, sie kann lähmen und das über Jahre hinweg. Sie ist ohne Zweifel wichtig und ja, gar lebensrettend, doch sie ist genauso oft irrational. Sie lebt isoliert von anderen Gefühlen wie Adrenalin oder Euphorie, und geht Hand in Hand mit Sicherheit. Auch diese ist in gewissem Maße wichtig, doch häufig eine Fantasie, die aus Motivation der Angst heraus geboren wird.
Manchmal wünschte ich mir, man könnte ein paar Emotionen und Gefühlen ein Tauschgeschäft anbieten. 1/3 der Angst abgeben für 1/3 mehr Mut, zum Beispiel. Zwar geht es in der Praxis nicht so einfach wie bei diesen Tauschkisten, die herum stehen und aus denen Menschen sich ein Buch nehmen und mit einem Feuerzeug eintauschen, aber wer unter keiner extremen Angststörung leidet, sondern einfach nur unter ihrem Schatten – auch bekannt als „Schutz“ – lebt, der kann sich von ihr lösen und sich ihr zum Teil entledigen.
Nach dem Bewusstmachen ihrer Existenz kann man sich die Frage stellen: Warum habe ich gerade Angst? Wieso ist sie da? Und wenn einem kein rationaler und logischer Grund einfällt, ist es an der Zeit, das kleine bisschen Mut in einem zusammen zu nehmen, und sich von ihr zu verabschieden. „Wenn es Tausende Menschen vor mir geschafft haben, wieso sollte ich es nicht schaffen?“, dieser Gedanke überzeugt mich manchmal, Dinge zu tun, vor denen ich einen Heidenresepekt habe. Wieso können diese Menschen bestimmte Dinge tun, vor denen ich mich fürchte? Ist die Angst überhaupt gerechtfertigt?
Ein weiterer theatralischer Gedanke hilft mir manchmal, diese Angst zu überwinden, die mich manchmal auf völlig irrationale Art und Weise lähmt: „An was denkst du zurück, wenn du am Sterbebett liegst?“, dabei stelle ich mir vor, dass ich alt und weise vom Leben geprägt in einem Bett liege und mein Leben in den letzten Minuten Revue passieren lasse. An was würde ich denken?
Vielleicht nicht unbedingt an das eine Mal, als ich vom Achtmeter-Brett gesprungen bin, obwohl ich eine Scheißangst davor hatte, aber vielleicht an genau den Sommer, als ich es getan habe. Als ich beschlossen habe, Ängste zu überwinden. Damals, als ich mich verliebt habe und meine Bindungsängste und meine Angst davor, dass alles in kürzester Zeit ruiniert sein wird, überwunden habe. Als ich mich auf jemanden eingelassen habe, ohne den Notausgang bereits auswendig gelernt zu haben und deshalb zum ersten Mal glücklich verliebt war. Vielleicht erinnere ich mich an die Zeit, als ich meinen festangestellten Job geschmissen habe, in dem ich jahrelang unzufrieden war und stattdessen das gemacht habe, was ich wirklich tun wollte, obwohl es mit weitaus weniger Sicherheit, Geld und Zukunftschancen verbunden war. Vielleicht erinnere ich mich an eine lange Reise, die ich angetreten habe, obwohl ich nicht wusste, was mich erwarten würde.
Mut lässt uns Dinge schaffen und erleben. Sie lässt uns kreativ sein und etwas wagen. Sie lässt uns verrückt sein und diese Emotionen spüren, die deutlich seltener zu spüren sind als andere: Euphorie. Endorphine. Adrenalin. Und das ist den Tausch auf alle Fälle wert.
Angst soll uns in gewissem Maße schützen, aber sie kann schnell über uns Überhand gewinnen und uns statt vor der Gefahr vor uns selbst und vor unserem Leben schützen. Sie kann die Hubschraubereltern sein, die ihre Kinder nicht ausgelassen spielen lassen, weil sie sich weh tun könnten. Wer die Angst mit Mut eintauscht, kann etwas schaffen. Im Großen wie im Kleinen, denn wer mutig ist, fällt zwar öfter hin, aber wird auch höher springen können als die anderen. Wer nicht wagt, der nicht gewinnt, heißt es doch und es ist erschreckend, wie oft diese Redewendungen recht behalten.