Kolumne: Selbstbewusstsein kann man sich nicht anziehen

2. Februar 2014 von in

Und schon wieder ist es passiert. Während ich Freitagabend bei Milena an einem Glas Weißwein nippe und wir über den weiteren Verlauf des Abends sprechen (der Teil des Abends, an dem man tatsächlich noch versucht, irgendetwas zu planen), verschwindet eine andere Freundin in einem schlichten, schwarzen Kleid auf die Toilette. Sie taucht wieder auf und huch, plötzlich sind da ein Minirock und ein ziemlich tiefer Ausschnitt, die Haare sind geöffnet und die Augen stark geschminkt.

Ich erlebe mich auch dabei, wie ich, das Wochenende in greifbarer Nähe, vor meinem Kleiderschrank stehe und absolut nichts zum Anziehen habe. Oder vielleicht schon, eine Bluse und einen Bleistiftrock zum Beispiel, aber nichts, was man in Clubs anzieht. Das, was sexy aussieht und nach „Seht mich an!“ schreit. Denn die eigentliche Frage, die ich mir dann stelle, ist „Was schreit überhaupt nach irgendwas“? Wer eine frische Trennung hinter sich hat oder unerfüllt in einen Jungen verliebt ist, der mit hoher Wahrscheinlichkeit gar nicht so toll aussieht, wie man denkt und gar nicht so klug ist, wie man sich es vorstellt und der einen vermutlich weniger zum Lachen bringt, als die besten Freunde, hat das Bedürfnis nach Aufmerksamkeit. Das sind die Momente, in denen meine Freundin um alles in der Welt sexy sein möchte und in denen auch ich irgendwann mal um alles in der Welt sexy sein wollte. Irgendwie bilden wir uns ein, dass sich unsere Geilheit verzehnfacht, wenn wir 10 cm größer sind.

Und dann zwängen wir uns in ein Bodycon-Dress vom H&M Sale für 10 Euro (wer will schon mehr ausgeben für ein eigentlich hässliches Kleid, das für einen Abend seine Aufgabe erfüllen soll?), plustern die Haare auf und ziehen die höchsten Boots an, die wir besitzen und dementsprechend irgendwo bei 5 cm liegen. Ein paar skeptische Blicke in den Spiegel geworfen: „Bin das wirklich ich?“ oder auch „Naja, eine Megan Fox ist’s nicht, aber vielleicht eine billige Seifenoper-Version von ihr“. Und auf geht’s, wir werden zu einem Sexy-Mutant 2.0, und unwohler können wir uns überhaupt nicht fühlen.

Als wir den Club erreichen, funktioniert der Mutant bei meiner Freundin sehr offensichtlich. Männer starren sie an, tanzen mit ihr, geben ihr Drinks aus und beschließen, mit dem Rauchen anzufangen, nur damit sie sie nach Feuer fragen können. Während ich die absurde Situation beobachte, bekomme ich beim gemeinsamen Toilettengang allerdings Dinge von ihr zu hören, mit denen ich nicht gerechnet hatte. Keiner will mich, alle sind uninteressant, wieso ruft er eigentlich nicht an, wieso sieht mich genau dieser Typ nicht an, wie kann er nur mit diesem Mädchen herum knutschen und sieht nicht, wie heiß ich heute aussehe. Bla bla bla.

Und während dieses Gesprächs wird mir wieder einmal klar, dass Kleidung sowas von der Spiegel unserer Selbst ist. Sowohl im Club, als auch in der Arbeit oder beim Kaffeetrinken mit der besten Freundin. Immer wird gepredigt „Fühle dich wohl in deinem Outfit!“ und tatsächlich habe ich für schwache Aussagen wie diese nur ein müdes Lächeln übrig. Denn manchmal verlieren wir unser Selbstbewusstsein. Und wir malen uns das Loch an Würde in Form von Kajal auf die Augen und auf die Lippen. Wir ziehen uns das Selbstbewusstsein an. Billige Kleider, sowohl im Preis, der Qualität als auch im Aussehen – weil wir diese Person nicht sind, an der solch ein Kleid vielleicht tatsächlich sexy aussieht. Und das Ergebnis ist schockierend, denn Selbstbewusstsein kann man sich nicht anziehen.

Wenn ihr verletzt wurdet, wenn ihr unglücklich verliebt seid oder wenn ihr euch getrennt habt und darunter leidet, dann reißt euch zusammen und holt euch das Selbstbewusstsein nicht beim H&M Sale, sondern bei Freunden, Ausstellungen und guten Filmen. Meidet die Orte, an denen er ist und dann, das verspreche ich, müsst ihr euch irgendwann nicht mehr verkleiden. Und das wird vielleicht nicht jeder erkennen, aber der wichtigste Mensch in eurem Leben wird es: ihr selbst. Ihr werdet wieder die Teile anziehen, die euch tatsächlich gefallen und die 5 cm Boots werden plötzlich auch wieder zu euch passen. Denn verdammt noch mal, der abgedroschene Spruch hat recht. Wer sich wohl fühlt, sieht gut aus und wer Selbstbewusstsein hat, hat plötzlich wieder relativ viele Kleider im Schrank. Bei denen man sich fragt „Wo waren die ganzen wunderschönen Stücke nur vor ein paar Wochen?“

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44 Antworten zu “Kolumne: Selbstbewusstsein kann man sich nicht anziehen”

  1. Beim dritten Absatz musste ich schmunzeln – wirklich treffend formuliert, Amelie.
    Ein selbstbewusstes Auftreten gepaart mit einem Lächeln ist doch immer noch das schönste Accessoire.
    In dem Zusammenhang kommt mir in den Sinn:
    „I’d rather be hated for who I am than loved for who I am not.“

  2. irgendwie tut mir die freundin leid, die hier beschrieben ist. ich hoffe sie ist fiktiv. sollte sie es nicht sein, wird es ihr durch diesen (sehr gut geschriebenen post) kaum besser gehen.

    • Genau so ist nichts davon jemals passiert. Ich spreche keine bestimmte Freundin damit an – dieser Text ist eher eine Zusammenfassung aller Mädchen, bei denen ich sowas mit bekommen habe. Mich eingeschlossen.

      • Dann ist der text „most wonderful“ entschuldige, ich glaube ich bin von der allgemeinen leicht gemeinen (pseudo-) „authenzität“ etwas geschädigt.

    • Auch dir kann ich sagen: Es geht um keine spezifische Freundin. Keine Freundin wird sich zu 100% angesprochen fühlen. Es sind viele Situationen, die in dem Text vermischt wurden und dadurch bleibt der Text zwar wahr, aber dennoch fiktiv.

  3. Ein richtig schöner Eintrag mit so viel Wahrheit.
    Viel zu oft versuchen wir uns doch hinter einer Maske aus Make-Up und einem Kostüm zu verstecken. Dabei wollen wir doch eigentlich, dass man uns so nimmt, wie wir sind. Das passt einfach nicht zusammen..

    Es ist schön, dass ihr mit euerm Blog öfter auf solche Themen aufmerksam macht!

    Alles Liebe,
    Marlene

  4. TOLL geschrieben – deswegen ist euer Blog auch was besonderes, da es über „OOTD“ hinausgeht ;)

    War letztens feiern und da liefen tausend Mädels in sexy Klamotten rum – aufgefallen ist mir aber nur die, mit der schwarzen Röhre, schwarzem Trägeroberteil, Sneakers und einem Dutt – die hat sich nämlich richtig wohl gefühlt!

  5. Danke für diesen Satz: „Wer eine frische Trennung hinter sich hat oder unerfüllt in einen Jungen verliebt ist, der mit hoher Wahrscheinlichkeit gar nicht so toll aussieht, wie man denkt und gar nicht so klug ist, wie man sich es vorstellt und der einen vermutlich weniger zum Lachen bringt, als die besten Freunde …“ – :)

  6. „Meidet die Orte, an denen er ist und dann, das verspreche ich, müsst ihr euch irgendwann nicht mehr verkleiden. Und das wird vielleicht nicht jeder erkennen, aber der wichtigste Mensch in eurem Leben wird es: ihr selbst.“ Sehr schön! Ist in der Situation natürlich immer leichter gesagt als getan, aber wahr ist es trotzdem :)

  7. Sehr treffend beschrieben und ich denke, mit dem ‚Alter‘ kommt auch die nötige Reife, um über solche Dinge drüber zu stehen und sich nicht über das Dekoltee zu definieren! :)

  8. Sehr schöner Text. Vor allem musste ich an dieses eine Mal im Club denken, wo ich ein Mädchen sah, die in Jeans, Top und Sneakers, besser getanzt hat und mehr Spaß hatte als alle anderen im Raum. Seit dem gehe ich immer in bequemen und „meinen“ Sachen in den Club. Schließlich ist man doch eig. da um zu tanzen und nicht um sich selbst möglichst vorteilhaft darzustellen.
    Viele liebe Grüße an euch!

  9. iHallo,

    ich verstehe die Überheblichkeit nicht, mit der auf diesem Blog oftmals über günstige Kleidung geschrieben wird. Manche Menschen haben schlichtweg nicht genügend Geld für teure Designerkleidung – das mit ihrem Selbstbewusstsein in Verbindung zu bringen, ist völlig unangebracht und anmaßend.

    • Liebe Agnes, in dem Text geht es definitiv nicht darum, dass günstige Kleidung gleich fehlendes Selbstbewusstsein bedeutet. Überhaupt kein bisschen – es geht darum, etwas zu tragen, worin man sich nicht wohl fühlt, in der Hoffnung, anderen zu gefallen. Ich selbst trage auch nicht ausschließlich Designerkleidung. Liebe Grüße!

      • Liebe Amelie, danke für Deine Antwort. Leider wird im Text nicht sehr deutlich, dass Du diesen Zusammenhang nicht aufmachen möchtest, da mehrmals der Preis bzw. die ‚Billigkeit‘ der Kleidung erwähnt wird. Auch wenn Du es nicht so gemeint hast, hat die Aussage etwas „Geschmäckle“. Ich finde es toll, wenn Ihr auf diesem Blog auf soziale Verantwortung in Bezug auf Kleidungskauf verweist und darauf aufmerksam macht, dass die Unterstützung von bestimmten Ketten mit der Ausbeutung anderer Menschen zusammenhängt. Aber im Zuge dessen herablassend über andere zu sprechen, die es sicht einfach nicht leisten können, ihr Konsumverhalten nach solchen Maßstäben zu überprüfen, ist auch keine Lösung. Vielleicht könntet Ihr einmal über diesen Zwiespalt schreiben und die politische Komponente (die Mode nun einfach mal hat und die man nicht ignorieren kann) mehr Beachtung schenken. Liebe Grüße!

        • Ich spreche in meinem Text von dem H&M Sale, da man nicht mehr Geld als 10 Euro für ein Kleid ausgeben möchte, das man nur einen Abend trägt, in der Hoffnung, es würde einer anderen Person gefallen. Ich spreche, wie gesagt, in keinster Weise herablassend über Personen, die nicht mehr Geld für ein Kleid ausgeben können und spreche in diesem Beitrag auch nicht das Konsumthema an – das ist ein komplett anderes paar Schuhe.

          Wir werden aber bestimmt mal wieder über Konsum schreiben und versuchen, deine Ideen mit einfließen zu lassen!

  10. Tolle Kolumne. Ja, dieser Typ von Mädchen begegnet einem sehr oft in Clubs. Ich finde deine Ansichten sehr ehrlich und vor allem auch wahr. Eure Kolumnen sind aber finde ich eh mit das beste an Amazed und machen euer Blogazine so einzigartig!
    Ich freue mich schon auf die nächste Kolumne!

  11. Wow, wie war und wie gut geschrieben Amelie!
    Ich erwische mich zu oft dabei, mir ebendieses falsche Selbst-
    bewusstsein aufzuschminken, oder eben anzuziehen.
    Dabei muss es nichtmal um einen Kerl gehen,
    oftmals ist es auch nur das Gefühl mal jemand anders seien
    zu wollen. Verkleiden kann beides sein, Spaß machen und Verstecken.

  12. schon mal darüber nachgedacht, dass sich Frauen sich nicht sexy anziehen und schminken, um Kerlen oder irgendwem sonst zu gefallen, sondern weil sich sich gern sexy und umwerfend fühlen? Viele Frauen fühlen sich wohl und ziehen sich gern so an und dürfen das auch!

    • Ja, darüber habe ich nachgedacht. Siehe: „Billige Kleider, sowohl im Preis, der Qualität als auch im Aussehen – weil wir diese Person nicht sind, an der solch ein Kleid vielleicht tatsächlich sexy aussieht.“

      Es geht darum, etwas anzuziehen, worin man sich nicht wohl fühlt. An manchen sieht der Sexy-Look gut aus und überzeugend. An mir und an vielen anderen eben nicht, das ist alles.

  13. Letztendlich wohl fühlen tut man sich doch nur in den Kleidungsstücken, die man eh mag und die einem an sich selber gefallen. Dem entsprechend würde ich mir ein einem „billig“ aufreizenden Outfit so oder so nicht wohl fühlen, auch wenn ich mich schon oft ertappt habe, wie ich derlei Zeug, was ich ja nicht mal brauche, kaufen wollte.
    Aber es stimmt, so viele junge Mädchen, die sich offensichtlich-aufdringlich gewollt sexy und verführerisch kleiden, und doch merkt man doch, wenn man drüber nach denkt, dass sie wahrscheinlich nur wahnsinnig unsicher ist.

  14. ,,Irgendwie bilden wir uns ein, dass sich unsere Geilheit verzehnfacht, wenn wir 10 cm größer sind.“
    Nur ein Satz von vielen bei denen ich gedacht habe, dass das vielleicht mein liebster Artikel auf amazed wird und da hast hier große Konkurrenz, denn ihr alle drei schreibt wahnsinnig gut.
    Nur trifft mich dieser hier besonders, weil denke ich jeder das Gefühl kennt, unbedingt was beweisen zu müssen.

  15. Hm, etwas verwirrend geschrieben, aber ich verstehe was du damit sagen willst und Oh Gott, du hast Recht. Nur funktioniert das Hirn nicht immer so logisch und viel zu oft habe ich beobachtet wie billig gut funktioniert, auch wenn ich mir dann immer sage: Ne so was machst Du nicht. Du hast zu viel Stil. Trotzdem kommen einem die Zweifel. Aber wie du sagst, alles Phasenweiße. Manchmal funktionieren wir nicht geradlinig.

  16. Soviele wahre Worte! Ich hab mich auch schon des öfteren bei solchen Gedanken ertappt. „Wenn ich das nächste Mal so und so aussehe, dann…“ Tolle Kolumne!

  17. Ich liebe eure Kolumnen. So ehrlich und gut geschrieben.
    Ihr findet immer die richtigen Worte und habt euren eigenen Stil, das mag ich an diesem Blog sehr!
    Bleibt bitte so, wie ihr seid und hört niemals auf zu schreiben, denn damit inspiriert ihr sicher nicht nur mich! :-)

    Liebe Grüße
    Anna

  18. Ein schöner Beitrag mit vielen wahren Worten. Danke!
    Es kann jedoch, je nach Gemütslage und Charakter, auch total aufregend und lässig aussehen, wenn eine Frau Minirock und Auschnitt trägt. Klar, wer mit hohen Schuhen weggeht hat vermutlich irgendwie den Sinn von Tanzengehen nicht verstanden (Achtung, Spoiler: Es geht ums Tanzen), aber wenn man nunmal einen großen Busen hat und ihn zeigen will – gern! Wie du selbst andeutest: wenn es mit der inneren Haltung und Ausstrahlung einher geht, dann sieht auch das Klasse aus! Frauenkörper sind super, ob bedeckt oder teilentblößt. Und ja, Verkleiden kann auch einfach Spaß machen und muss nicht immer Verstecken heißen.

  19. Das mit den Absätzen finde ich besonders „wahr“. Es ist doch irgendwie wirklich schade dass Frauen denken sie müssen Schmerzen aushalten um gut auszusehen. Dieser Zwang hohe Schuhe zu tragen gibt Frauen meiner Meinung nach immer irgendwie das Gefühl sie seien nicht groß genug, haben zu kurze Beine. Oder andersherum: sind Frauen an sich schon groß geben die Schuhe einem ein Gefühl von „du bist zu groß, deswegen kannst du keine hohen Schuhe tragen und das ist unweiblich!“. Auf diesem Gebiet müssen wir Frauen uns wohl noch das Recht erkämpfen nicht immer super aussehen zu müssen. Wenn dieser Druck nicht irgendwo da wäre würde das auch nicht in schlechten Momenten an unserem Selbstbewusstsein kratzen und uns dazu verleiten uns so zu verkleiden.

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