Kolumne: Munich, it’s a love story

24. Oktober 2018 von in

Die bunt gefärbten Blätter fallen bereits von den Bäumen, als Philipp und ich im Oktober 2008 im Münchner Osten eine Wohnung besichtigen. Mein Cousin und ich ziehen nach München, wollen es zumindest und es ist die zweite Wohnung, die wir ansehen. Altbau, Dielenboden, günstig. Glück muss man ja auch mal haben, denke ich damals naiv, gleichzeitig ist der Münchner Wohnungsmarkt noch lange nicht so angespannt wie heute. Wenige Wochen später blicke ich den wenigen verbliebenen Blättern an den Bäumen aus meiner Küche beim Hinwegwehen zu. Wir haben die Wohnung bekommen, das erste Mal alleine leben, gemeinsam mit einem Familienteil, aber doch selbstständig.

Bis heute kann ich mich in genau jene Stimmung hineinversetzen. Alles war so neu, aufregend, jeder Tag spannend. An dem einen Tag koche ich mit Philipp und scheitere beim Installieren des Herds, am anderen Tag lerne ich Nils und meine neuen Freunde an der Uni kennen. Baue mit neuen Freunden mein Bett auf, blicke in der Herbststimmung auf den Odeonsplatz und fühle mich so klein in jener neuen Stadt. Raus vom Land in die Großstadt. Wie schnell München mein eigenes Dorf werden würde, ahnte ich da noch nicht.

Die ersten Wochen bin ich jedes Wochenende heimgefahren, irgendwann nur noch alle paar Wochen. Heute besucht mich meist meine Familie, das Land sieht mich nur bewusst und an ausgewählten Tagen, Heimat ist ein Begriff, den ich heute anders deute. Auf all jenen Fahrten nach Hause begleitete mich damals Clueso. Kein anderer Künstler versetzt mich so schnell zehn Jahre zurück. Aufbruchstimmung, das Wandeln zwischen den Welten.

Ich sitz einfach hier ohne einen leisen Hauch zu wissen, was passiert.
Und ich schreibe dir.
Ich denke mir nichts aus nur nach, wie ich es formulier‘.
aus „Schreib‘ dir“ von Clueso

In München bin ich das zweite Mal groß geworden. Hier habe ich mein erwachsenes Ich kreiiert und kreiieren lassen. Die Stadt hat mich geprägt, verändert und vieles reflektieren lassen. Hier habe ich viele Menschen in mein Leben gelassen, ausgewählt, bewusst, anders als im Dorf, an jenem Ort, an dem Freundschaften durch Örtlichkeiten entstehen, aus Zwangsgemeinschaften in der Schule Wegbegleiter werden. Hier habe ich das erste Mal meine vier Wände mit Freunden und einem Mann geteilt. Bin umgezogen, habe meinen Ort in München gefunden. Habe Menschen verabschiedet, Trennungen durchlebt, Abschiede gefeiert und Neuanfänge begossen. Meinen eigenen Freundeskreis aufgebaut, die besten Freunde gefunden, erwachsene Entscheidungen getroffen und manchmal auch das Kind heraushängen lassen. Hier saß ich mehr als glücklich an der Isar, manchmal auch mit Tränen in den Augen. Hier habe ich meine Passion zum Beruf gemacht, bin als Journalistin gewachsen und darf weiterhin an meiner Karriere arbeiten.

München hat mich mehr als gut empfangen. Schnell hat sich diese kleine große Stadt wie ein Zuhause angefühlt.

Für ein Landkind wie mich ist diese Stadt wohl ein Glücksfall. Tradition trifft auf Moderne, und das ist nicht nur ein dummer Werbeslogan, sondern stimmt tatsächlich so. Dann, wenn du am Chinesischen Turm vorbei radelst und die Blaskapelle spielt. Dann hüpft mein Herz, wie das eines Touristen, obwohl ich längst hier angekommen bin. Der Dorfcharakter dieser Stadt war zu Beginn der Fluch – fast meine ganze Schule hat in München studiert. Doch heute liebe ich die zufällige Kleinstadt-Note. Wenn die Bäckersfrau dich in deinem Viertel grüßt. Du dein letztes Date zufällig in der Bar triffst, die du eigentlich nie ansteuerst. Und alte Schulfreunde nach 12 Jahren an der Kasse erkennst. Der Postbote fragt, wo du warst, wenn er dich länger nicht gesehen hat. Oder die Nachbarin doch bei Krankheit einen Tee vorbeibringt.

Wer Anonymität sucht, findet sie sicher in dieser 1,4-Millionen-Einwohner-Stadt. Ich habe aber immer ein Zuhause gesucht. Eines, wo ich mich wohl fühle. Wo die Menschen um mich herum stimmen, ich mit einem Lächeln durch die Straße gehe. München ist mein Zuhause geworden, in den letzten zehn Jahren. Jeden Tag ein bisschen mehr.

Was ich gelernt habe: Das Gefühl von Zuhause ist ganz individuell. Manch einer findet innerhalb von Stunden ein Zuhause, andere sehen nur ihr Nest als das wahre Zuhause. Für mich ist mein Zuhause der Ort, an dem die Menschen sind, die mich begleiten, mich spiegeln und mir Wärme schenken. All jene habe ich nicht an der Uni gefunden, sondern irgendwo dazwischen. In München.

Philipp hat es irgendwann zurück aufs Land und dann nach Berlin gezogen. Mein München hat er leider so nie kennengelernt. Ich bin geblieben. Wirklich weg wollte ich nie. München hat mein Herz gewonnen, diese Liebe fühlt sich auch nach zehn Jahren noch immer extrem gut an. Die Schmetterlinge am Anfang sind verflogen, dafür ist es eine tiefe Verbindung. Sollte ich eines Tages gehen, dann nur weil mich eine andere Liebe ziehen lässt – die zu einem Menschen. Aber erstmal bleib ich hier.

Photocredit: Kara Eads, Markus Spiske

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3 Antworten zu “Kolumne: Munich, it’s a love story”

  1. Was für ein schöner Text, Antonia! Ich bin 2007 nach München gezogen und habe ganz ähnliche Erfahrungen gemacht wie du. Bin auch auf dem Dorf aufgewachsen :) LG *thea

  2. Wunderschön. Hab Gänsehaut.
    War noch nie in München, aber in den nächsten Monaten sollte ich es wohl wagen. Tatsächlich lässt mich euer Blog immer darüber nachdenken, ob München nicht vielleicht die Stadt für den Master wäre. Mal sehen, denn wie du auch schreibst: Zuhause ist sehr individuell.
    LG Ana http://www.disasterdiary.de

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