Kolumne: Keine Angst

12. Januar 2016 von in

Zeichnung: Wishesalbum via Pinterest

Es ist der 3. Januar 2016. Die Terrorwarnungen aus der Silvesternacht in München liegen nur Tage zurück. Ich bin auf dem Weg zur U-Bahn, als ich merke, wie sie mir folgt. Noch ist sie weit weg, doch ich höre sie hinter mir her hasten. Als ich die Treppen der Rolltreppe hinabhüpfe, holt sie mich auf. Als die U-Bahn am Bahnsteig einfährt, steige ich in den ersten Waggon. Auch sie folgt mir. Die Türen schließen, wir fahren los. Da tippt sie mir auf die Schulter. Die Angst. „Bist du hier noch wirklich sicher?“, fragt sie mich. Ich drehe mich um, entsetzt und erschrocken über so eine dreiste Frage. „Natürlich bin ich das“, schreie ich sie an. Sie weicht zurück. Als wir den nächsten U-Bahnhof erreichen, ist die Angst längst ausgestiegen. Irgendwo unter der Erde.

Anschläge in Paris. Terrorwarnungen in München. Schreckliche Missbrauchsfälle in Köln. Und der heutige vermutliche Selbstmordanschlag inmitten des Touristenzentrums in Istanbul. Noch nie waren Bedrohungen dieser Art so nah. Der Terror ist in unsere Wohnzimmer gezogen. Durch das Internet, durch Liveticker, aber auch durch Vorkommnisse vor unserer Haustür. Aufgewachsen in einer sicheren westlichen Welt sind Terror und Krieg jetzt so nah wie nie. Und noch nie hatte die Bedrohung so sehr ein Gesicht. Ein Gesicht, das sich „Flüchtlinge“ nennt. Menschen, die genau vor solchen Bedrohungen geflohen sind, die hier zum Großteil Schutz und Frieden suchen, sind plötzlich das Gesicht dieses Krieges.

Je mehr Raum wir unseren Ängsten geben, umso größer werden sie.

Tatsächlich bin ich an jenem 3. Januar mit kurzen Zweifeln in die öffentlichen Verkehrsmittel gestiegen. Um mir dann zu sagen: „Ich möchte keine Angst haben. Ich möchte alle Plätze, alle Städte, alle Konzerte und andere Veranstaltungen besuchen, ohne Angst zu haben. Ich möchte weiterhin all jenen Menschen, die geflohen sind, offen begegnen. Sie integrieren, ein Miteinander schaffen. Ihre Kultur kennenlernen, ihnen meine näher bringen und eine bunte Gesellschaft entstehen lassen, die uns alle bereichert. Angst steht da im Weg. In jeder Hinsicht.“

Die Vorfälle in Köln waren schrecklich. Sie waren grauenvoll, ekelhaft und verstoßen komplett gegen mein und unser Wertesystem. Aber sie waren die Taten Einzelner. Täter, die zweifelsfrei verurteilt und bestraft werden müssen. Aber die Pauschalisierung und unreflektierte Hetze, die nicht nur in den sozialen Netzwerken, sondern auch von deutschen Medien, für dich ich selbst arbeite, betrieben worden ist, macht mich wütend. Es ist der völlig falsche Ansatz – und doch fruchtet er bereits.

Sätze wie „Ich habe Angst um meine Kinder“, „Ich fühle mich nicht mehr sicher“ oder „Was soll nur aus unserem Land werden“ sind nicht zwingend ausländerfeindlich, aber tendenziös. Und Gift, Gift für eine Gesellschaft, in der Integration stattfinden muss. In der unsere Politik gefordert ist, Ghettoisierung zu verhindern, Menschen zu fördern und Ängste zu nehmen. Und wer glaubt, dass diese Sätze nur von Pegida-Anhängern fallen, irrt. Diese Ängste ziehen sich nun durch alle Alters- und Gesellschaftsschichten. Sie enden in skeptischen Blicken auf Flüchtlingsfamilien am Hauptbahnhof. Sie hinterlassen ein schlechtes Gefühl, wenn man in die U-Bahn steigt und jemand seinen Rucksack auf den Boden stellt. Sie hinterlassen eine Masse an Menschen, die sich einander nicht mehr traut. Die das Böse hinter jeder Ecke vermutet.

Angst beginnt immer im Kopf.

Insofern machen mich die Vorfälle in Köln nicht nur als Straftat mehr als wütend. Auch nicht nur als Frau. Sondern auch als Signal für unsere Gesellschaft. Diese einzelnen Täter haben ein fatales Signal gesendet. Integrationspolitik wird es künftig noch schwerer haben. „Sie muss trotzdem und gerade deswegen mit aller Kraft intensiviert werden; das ist die politische Antwort auf die Ausschreitungen“, schreibt Heribert Prantl von der Süddeutschen Zeitung. Und ja, das ist die politische Aufgabe. Genauso wie eine absolute Strafverfolgung, die außer Frage steht.

Unsere Aufgabe ist es jedoch: Reflektieren. Hinterfragen. Keine Pauschalisierungen hinterherplappern. Eigene Erfahrungen machen. In der Flüchtlingsarbeit. Wir als Bewohner dieses Landes müssen auf die Neuankömmlinge zugehen. Sie einbinden in unser soziales Leben, unsere Kultur und offen sein für deren Kultur. Wir dürfen uns nicht auf die Politik verlassen, sondern müssen selbst aktiv werden. Statt Abschottung muss es ein gemeinsames Leben geben. Damit die Angst, die sich ausbreitet, wieder eliminiert wird.

Und ja, wer immer noch meint, wir hier in München wohnen sicher und haben keine Ahnung, ich habe im vergangenen Jahr drei Monate in der Flüchtlingsarbeit gearbeitet, nur positive Erfahrungen gesammelt. Und wir von amazed werden das im besten Falle gemeinsam in München ausbauen. Denn es ist – neben Artikeln über Mode, Beauty und Lifestyle, unsere verdammte Aufgabe, Offenheit zu zeigen. Unsere Reichweite als Medium zu nutzen, um zu zeigen, Angst ist der völlig falsche Motor. Für die Flüchtlingsarbeit, aber auch für unsere Gesellschaft. Jetzt noch mehr als zuvor.

Wir wollen keine Chancen verpassen, aufgrund von Angst. Nennt es Gutmensch-Sein, vielleicht Naivität, aber statt zu sagen „Ich möchte keine Kinder in dieser Welt aufziehen“ möchte ich eine Welt schaffen, in der es funktioniert. Für alle.

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13 Antworten zu “Kolumne: Keine Angst”

  1. vielen Dank! einer der wenigen Texte dieser Tage, die ich genauso unterschreiben würde. Die Angst ist das Gift. Wir müssen mit der Situation umgehen – so oder so – aber lasst uns so damit umgehen, dass wir uns danach noch ins Gesicht schauen können.

  2. Liebe Antonia,

    vielen Dank für den tollen Beitrag. Der Artikel spiegelt meine Meinung zu 100 Prozent wider!
    Ich möchte einfach nur ein riesengroß Lob für euren Blog aussprechen. Er ist mit großem Abstand mein Allerliebster, weil ihr eben nicht nur über Mode und Co. schreibt, sondern eben auch über wirklich wichtige Zeitgeschehnisse. ich finde es so toll, wie ihr mit eurer Reichweite umgeht.
    Ihr leistet wunderbare Arbeit!!

    Liebst
    Sophie

  3. Gutmensch wurde gerade zum Unwort des Jahres gewählt – dabei finde ich es gar nicht negativ behaftet!
    ich finde eure Einstellung und diesen Beitrag ganz fantastisch! Ausländerhass ode auch Angst verteilen sich im Moment wie Regen über das Land, dabei vergiften sie unsere ganze Gesellschaft!
    Wir müssen zusammen halten, dürfen nicht unseren Kopf benebeln lassen durch die falschen Medien, Hetze im Internet oder Social Media!

    Liebe Grüße
    jenny

  4. „Ausländerhass oder auch Angst verteilen sich im Moment wie Regen über das Land, dabei vergiften sie unsere ganze Gesellschaft!“

    Woher weisst Du das so genau? Bist Du durch das Land gereist und hast mit tausenden Menschen gesprochen? Ach nein, der Fernseher und die Zeitung haben es Dir gesagt.

    In solchen Aussagen sehe ich eine große Problematik. Ich bezweifle, dass dies die reale Situatuion in unserem Land darstellt. Meinungsmache ist heutzutage leider ein gewaltiges Problem. Was die Medien in großen Blockbuchstaben titeln, das wird adaptiert. Wenn ich einzelne Menschen im Fernsehen oder durch andere Medien sehe/höre, die aussagen, dass Sie Angst haben oder grundsätzlich gegen Ausländer eingestellt seien, dann kann ich nicht davon ausgehen, dass dies „die eine Realität unsere Landes sei“. In meinem realen Leben kenne ich niemanden, der solch eine Gemütsverfassung teilt. In meiner Stadt herrscht ein sehr großes Engagement für Flüchtlinge und hier hat niemand, den ich kenne, „Angst vor Ausländern“. Ich will einfach darauf hinweisen, dass das Thema Medien/Meinungsmache/Angstschürung sehr sehr sehr stark durch die Medien geformt wird. Bitte hinterfragt diese Medien und macht euch klar, warum welche Reaktionen in euch hervorgerufen werden (sollen). Danke.

    • Liebe Larissa, genau das ist ja das Problem. Viele Menschen fangen an, die Hetze der Medien anzunehmen und es breitet sich in ihnen Angst aus. Angst davor, vergewaltigt zu werden. Angst, dass Chaos ausbricht und alles anders sein wird. Dass es aber auch Menschen gibt, die sich einsetzen, Vertrauen haben und etwas tun, um die Lage zu verbessern, ist ohne Zweifel Fakt – Gott sei Dank!!!

      • Ähm. Also hetzen tun nun wirklich nicht die Medien. Ich finde die aktuelle Berichterstattung sogar vergleichsweise reflektiert – und auch diskussionsfreudig. Für die Hetze sind ja wohl eher Pegida und Gesinnungsgenossen verantwortlich.

        • Wenn ich mir das Cover vom Spiegel ansehe und tausende Beiträge zu den Ereignissen, dann doch. Die Medien hetzen. Pegida natürlich auch, aber das gefährliche sind die Medien, die den Menschen, die eigentlich keine rechte Einstellung haben, aus Angst eine bekommen. Keine radikale wie Pegida, aber Menschen bekommen vermehrt eine Abwerhaltung, was ausschließlich gewissen Medien zu verdanken ist.

  5. Ja, es ist wirklich traurig, wie ein paar hundert Leute aus einer Minderheit das Klima vergiften können. Und die mittlerweile fast täglichen Anschläge machen es natürlich nicht besser. Vor allem die islamistischen Anschläge auf die jüdische Gemeinde in Paris finde ich unerträglich, wenn ich an unsere historische Verantwortung denke.
    Angst ist keine Lösung, aber man muss auch akzeptieren, wenn Menschen das alles beängstigend finden. Dieses keine Angst ist mittlerweile zu einem Mantra geworden, aber es wird leider jeden Tag ein bisschen ad absurdum geführt. Aber was soll man sonst machen, als sich einreden, dass es an einem selbst vorbei geht. Zumindest der Wahrscheinlichkeit nach wird es das ja. Ist halt nur die Frage, ob es das besser macht, wobei man es ja nicht ändern kann.

  6. Es waren aber nicht Einzelne in Köln, das macht es ja so schrecklich und beängstigend. Wir, die Frauen, und auch die anwesenden Polizisten hatten keine Chance gegen die Täter.

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