Kolumne: Ich will mit mir selbst zusammen sein
Rückblickend war meine bisherige Datingkarriere ganz schön unspektakulär. Ich weiß nicht mehr genau, warum ich mich damals für die Menschen entschieden habe, für die ich mich entschieden habe. Ich glaube, oft war es einfach Zufall und es gab zu wenige Auswahlmöglichkeiten. Wenn ich auf die letzten zehn Jahre zurückblicke, war die Auswahl an Menschen, mit denen ich etwas hatte, unglaublich random. Es existiert überhaupt kein roter Faden. Völlig wahllos ist die Liste an Personen, die absolut nichts miteinander gemein haben, außer mich. Genau das gefiel mir auch lange Zeit. Ich habe es geliebt, Menschen in mein Leben zu lassen, die meiner Realität so fern waren wie nur ging.
Das hatte ja auch seinen Reiz. Je unterschiedlicher die Menschen, desto spannender der Austausch – oder? Reibungen entstanden, Diskussionen, Streitgespräche, und Euphoriegefühle breiteten sich im ganzen Körper aus, wenn man sich mal ausnahmsweise einig war. Ich bildete mir ein, mehr Leidenschaft bei Menschen zu spüren, die sich von mir unterschieden. Vielleicht, weil sich ein Kuss mit einer komplett anderen Person überhaupt nicht vertraut anfühlt, sondern verboten. Wie eben etwas, was absolut keinen Sinn ergab und vielleicht ein großer Fehler wäre, aber was sich in diesem einen Moment gerade deshalb gut anfühlte. Wie ein Urlaubsflirt, der schon bald vorbei sein würde.
Je unterschiedlicher die Menschen, desto spannender der Austausch – oder?
Es gibt diese eine Folge in der Serie Broad City, in der Ilana eine Frau kennenlernt, in die sie sich abgöttisch verliebt. Sie haben den vielleicht besten Sex ihres Lebens und sprühen vor Leidenschaft. Ilana ist hin und weg. Was sie zwischen all der Schwärmerei nicht sieht, ist, dass ihr Gegenüber ihr Ebenbild ist. Sie sieht nicht nur genauso aus wie Ilana, sie verhält sich auch so. Die sowieso schon maßlos egozentrische Ilana verliebt sich also buchstäblich in sich selbst – und ist begeistert. Zwar habe ich bisher noch kein Verhältnis mit meinem Ebenbild angefangen, aber ich habe den Gedanken dahinter mehr als nur verstehen können. Ich liebe Gemeinsamkeiten! Denn so spannend sich damals all diese wirren Beziehungen voller Unstimmigkeiten anfühlten, so sehr turnen sie mich heute ab. Je älter ich werde, umso mehr will ich mit mir selbst zusammen sein. Mich mit Menschen unterhalten, die sich für „meine“ Themen interessieren, deren Gedankengänge ich nachvollziehen kann, deren Humor ich teile. Ich will mit einem Menschen zusammen sein, der mir ähnelt.
Mit Zwanzig wusste ich weder wer ich war, noch, was ich wollte. Ich änderte mich und meine Identität alle zwei Wochen und schwankte unwissend von hier nach da. Das ist auch wichtig und normal, denn wie soll man sich sonst kennenlernen, wenn nicht durchs Ausprobieren? Dieses Ausprobieren bezog sich auch auf die PartnerInnenwahl, die ich eher auf mich zukommen ließ, als aktiv eine Entscheidung zu treffen. Ich stolperte in die Beziehungen hinein. Je mehr schlechte Erfahrungen ich machte, umso mehr kristallisierte sich heraus, was ich wollte – und vor allem, was nicht.
Durch Reibung, Diskussion und Streit lernt man sich selbst ziemlich intensiv kennen. Ich lernte, Grenzen zu setzen, meine Bedürfnisse zu kommunizieren und durchzusetzen. So blöde manche Beziehungserfahrungen mit Menschen waren, die mich eher herausforderten als mir ein gutes Gefühl zu geben, so dankbar bin ich ihnen heute. Wie hätte ich sonst herausfinden können, was ich vom Leben und von einer Beziehung wollte, wenn nicht durch’s Ausschlussverfahren?
Konflikte sind ungemütlich, doch ich weiß, dass es wichtig ist, Menschen im Leben zu haben, die kein Ebenbild seiner selbst sind. Um an sich selbst und über sich selbst hinaus zu wachsen. Doch vor allem aber, um andere Perspektiven aufs Leben zu bekommen und seine eigenen Einstellungen zu reflektieren. Es gibt nicht immer nur die richtige und falsche Wahrheit, weshalb es wichtig ist, so viele Blickwinkel wie möglich einzuholen, um sich ein möglich ganzheitliches Bild von sich selbst und der ganzen Welt zu machen. Doch will ich diese ganz anderen Blickwinkel und Lebensweisen in meiner Beziehung?
Gegensätze ziehen sich an, Gemeinsamkeiten ziehen sich aus.
Nein, nein, nein. Bitte nicht mehr! Ich will einen Menschen an meiner Seite, der gottverdammt so ist wie ich. Der in den meisten Dingen meiner Meinung ist und versteht, wie ich fühle. Ich habe keine Lust mehr, jede kleine Gefühlsregung auseinander zu nehmen, weil mein Gegenüber absolut keine Ahnung davon hat, wie ich bin. Wie schön ist es bitte gleicher Meinung zu sein? Die Harmonie, die wie eine frische Brise durchs Haar weht, rüttelt vielleicht nicht so existenziell an meiner Persönlichkeit, aber das muss sie auch gar nicht. Ich mag meine Persönlichkeit ziemlich gerne und genieße die lauwarme Brise. Und mit der Einstellung stehe ich nicht alleine da. Je älter ich werde, umso mehr Menschen teilen meine Einstellung, dass Gemeinsamkeiten in einer Beziehung wichtig sind. Und sich Gegensätze meist nur für kurze Zeit anziehen.
Die Reibung, den Konflikt und die Herausforderungen will ich in meinem Leben nicht ausklammern, sondern ausgewogen in mein Leben lassen. Denn es gibt genügend Formen und Möglichkeiten, sich zu entwickeln. Ich glaube, rückblickend war der Gedanke ziemlich toxisch, die reine Entwicklung in dysfunktionalen Beziehungen zu sehen. Seit ich diese Harmonie in mir zulasse, fühle ich mich befreiter und entspannter denn je. Es ist, als hätte ich „Ja“ zu mir selbst gesagt.
Zwischenmenschliche Unterschiede sind herausfordernd, horizonterweiternd und spannend. Ich will die Menschen nicht missen, die ein anderes Leben als ich selbst führe und andere Sichtweisen haben. Sie sind existenziell wichtig für mich und mein Leben. Doch mindestens genauso wichtig sind die harmonischen Beziehungen, die fast schon blind funktionieren. Die Balance lässt mich wachsen, und zwar viel stetiger und konsequenter, als damals. Je abwechslungsreicher die Beziehungen, umso stärker die Persönlichkeit.