Kolumne: Ich habe keine beste Freundin & das ist okay
Den ersten Aufruf von Ije ignorierte ich stumm und heimlich. Auch beim zweiten Hinweis machte ich mich ganz klein in der Hoffnung, unbemerkt durchs Raster zu rutschen (klappt als Freelancer oft ganz gut). Beim dritten Hinweis war ich dann allerdings fällig – und musste mich der Tatsache stellen: Ich habe weder eine beste Freundin, noch habe ich einen besten Freund.
Das klingt sehr dramatisch, wenn man sich das mal laut vorsagt. So á la Selbsthilfegruppe: „Hallo, mein Name ist Lisa und ich habe keine Busenfreundin” – „Hallo, Lisa”, erwidert die Runde im Chor.
Und ein wenig schämte ich mich auch, denn eine Person, die keine bessere Hälfte hat, mit der muss doch irgendetwas nicht stimmen, oder? Die Gedanken ratterten also durch meinen Kopf und ich begann nach dem Zeitpunkt zu suchen, an dem die Räder meines Lebens die ganze „Best Friends“-Geschichte zu zerreiben begannen.
In der Schule hatte ich immer eine beste Freundin – bis ich erwachsen wurde
Meine beste Freundin in der Grundschule hieß Alexandra. Sie teilte meine Liebe zur Punkband „Die Ärzte“ und nerdigen Fernsehsendungen wie „Xenia“ und „X-Factor“. Mit zehn Jahren lernte ich Eva kennen. Eva ging eigentlich in die Klasse meines älteren Bruders und war drei Jahre älter als ich, was für eine Zehnjährige einem Altersunterschied von zirka 100 Jahren entspricht. Ich fand Eva toll, erwachsen und verbrachte gefühlt jede freie Minute mit ihr. Wir gründeten eine „Spice Girls“-Coverband, schauten den ganzen Tag entweder Clarissa auf Nickeloden, Mola Adebisi auf Viva oder alles auf MTV. Wir bastelten Roller aus Skateboards, hörten noch immer Die Ärzte und nun auch die Backstreet Boys. Wir machten Skiurlaub in Österreich und Sommerurlaub auf Mallorca – und plötzlich war Eva 15 Jahre alt und fand Jungs und Erwachsenenkram interessanter als mich.
Ich kam 1998 aufs Gymnasium und traf dort Louisa – es war Liebe auf den ersten Blick. Lisa und Louisa – das Chaosduo. Der erste Freund, der erste Joint, der erste Vollrausch. Herzschmerz, Shoppen, Schule scheiße finden und auf Hip-Hop-Konzerte gehen. Wir machten das gemeinsam. Wir gaben uns gegenseitig Alibis, teilten ALLE Geheimnisse und konnten stundenlang nebeneinander auf dem Bett liegen und 2raumwohnung hören, ohne miteinander zu sprechen. Über Louisa traf ich dann 2001 die zweite beste Freundin meiner späten Jugend: Silan. Silan und ich, auch das war Liebe auf den ersten Blick.
Uns einte unsere extrem nervige und zynische Art. Wir terrorisierten unser Umfeld mit Insiderwitzen, über die nur wir lachten. Wir machten die Nacht zum Tag, teilten unsere Kleiderschränke, verarschten unsere Eltern und fanden uns so viel cooler als unsere Altersgenossen. Im Bett liegen und Coldplay hören, den Eltern sagen, sie sollen sich verpissen. Zu wahren Musik-Nerds mutieren und nur noch auf Konzerte gehen. Aus dem gemeinsamen Filmwissenschafts-Studium in Berlin wurde leider nichts, aber immerhin ich habe mir den Traum von der Hauptstadt erfüllt.
Sowieso, Studium. Nach dem Abi ging es im Herbst 2006 ab nach Düsseldorf und hier traf ich Anna.
Wir hätten unterschiedlicher nicht sein können, aber vermutlich war es genau das, was uns so zusammenschweißte.
Ich, die dauerfeiernde, linke Krawallbürste und Anna, immer makellos gekleidet und sich des Zeitpunktes bewusst, an dem man lieber auf Wasser wechselt. Ich glaube, ich habe sie ein wenig locker gemacht und sie mich ein bisschen an die Leine genommen. Hat uns beiden in jedem Fall gut getan.
Nun, und dann Berlin. Nach dem Studium die einzig logische Konsequenz von allem. Eine Stadt voller toller Menschen – wie soll man da entscheiden, wer der oder die Tollste ist? Alte Freundschaften schliefen ein oder wurden zu Gelegenheiten, neue Freundschaften wurden demokratischer. Es war einfach mehr Platz in unseren Herzen, vielleicht lernt man das, je älter man wird?
Und die Zeiten haben sich geändert. Als ich jung war – und ich meine mit „jung” bis zu meinem Abitur – gab es kein Facebook, keine Smartphones und kein Easyjet. Der Horizont war nicht so weit, und ich glaube, damit einher ging auch eine gewisse Loyalität und mentale Sesshaftigkeit. Klar, Menschen sind schon immer in die weite Welt gezogen, aber die Wurzeln waren dicker und saßen tiefer. Das Internet macht das Vernetzen leichter, aber auch das Ausbrechen.
Ich liebe meine Heimatstadt Mainz und ich fühle mich ihr und all den Erinnerungen verbunden, aber ich sehe mich eher als Weltenbürgerin. Ich bin überall zu Hause, wo ich mich wohl fühle. Heimweh kenne ich nicht, Fernweh umso mehr. Ebenso liebe ich alle meine Freunde und Freundinnen gleichermaßen. Ich habe mir eine Crew an Menschen zusammengesucht, die ich niemals im Leben eintauschen würde – und die alle nicht auf ein Foto passen.
Natürlich komme ich dennoch manchmal ins Grübeln, wenn Unterhaltungen in gewisse Richtungen abdriften. Wen würde ich zum Beispiel als meine*n Trauzeug*in auswählen? Wen rufe ich an, wenn es mir sehr schlecht geht? Mit wem plane ich meinen Sommerurlaub? Und mit wem begrüße ich das neue Jahr? Dann denke ich kurz nach und bin erleichtert. Von Kirche und Gesellschaft vorgegebene Verhaltenskodizes sind mir schnuppe. Wenn es mir schlecht geht, finde ich immer jemanden, um meine Wut und Trauer zu ertrinken. In den Urlaub fahre ich, mit wem immer es mir gefällt, und Silvester gilt die goldene Regel: Hauptsache nicht in Berlin. Der Rest ist mir wumpe.
Ich habe ein solides Sicherheits- und Auffangnetz bestehend aus den coolsten Menschen, die ich mir vorstellen kann.
Für mich war Erwachsenwerden vergleichbar mit einer Dekade Knüpfarbeit, in deren Folge mein Charakter und eben dieses Netz Form angenommen haben. Ich bin niemand, der gerne Menschen ausschließt und Exklusivität ist mir zuwider. Mein Herz ist groß genug für jede*n.
Mein Foto für unsere Best-Friends-Storys bei Instagram zeigt meinen Freund und mich. Das ist kitschig, aber für mich ist er neben all meinen Herzensmenschen eben die Person, die meinem Herzen jeden Tag am nächsten ist. Er ist der dicke Fisch in dem Freundschaftsnetz, dessen Knoten durch all‘ meine Freunde in meiner Jugend und in Berlin geknüpft wurden. Wodurch jede Freundschaft in meinem Leben ihren Teil dazu beigetragen hat, dass mein Freund mir vor vier Jahren nicht durch ein Loch im Netz gerutscht ist. Weil jede*r meiner Freund*innen mich zu der Person gemacht hat, die ich bin.
Zum Schluss noch ein Song, der mich immer begleitet hat für jemanden, der es schon checken wird. Und jetzt: Kitsch-Modus off!
Eine Antwort zu “Kolumne: Ich habe keine beste Freundin & das ist okay”
Mein bester Freund alias meine beste Freundin ist mein Mann. Da kommt einfach keine(r) ran! :D