Kolumne: Ich bin gerade eine schlechte Freundin

11. Mai 2022 von in

10 unbeantwortete Whatsapp-Nachrichten, mindestens zwei Anrufe, die ich längst beantwortet haben sollte. Und dann diese eine Sprachnachricht, die ich doch irgendwann anhöre: „Wenn ich ehrlich bin, denke ich, dir ist unsere Freundschaft nicht wichtig.“ Bäm. Erschrocken höre ich die Sprachnachricht nochmal. Ich schlucke, Tränen schießen mir in die Augen. Ich hatte es geahnt. Gewusst, dass ich gerade nicht die beste Freundin bin. Und doch gehofft, dass mein Struggle sichtbar sei.

Spoiler: Das war er nicht. Und seitdem frage ich mich: Bin ich eine schlechte Freundin? Die Antwort lautet: ja – zumindest im Moment.

Ich bin mal wieder in die Falle getappt. Die berühmt-berüchtigte Freelancer:innen-Falle. Wenn keine Arbeit da ist, wird man unruhig. Brauche ich vielleicht noch mehr Jobs? Irgendwann ist dann wieder genügend Arbeit da, so viel sogar, dass man sich freut – und vor allem eines tut: arbeiten. Aufgefallen ist mir das erstmal nicht. Kein Wunder, in einer Pandemie, in der das Sozialleben nicht so richtig en vogue ist, hat man plötzlich viel Zeit. Fehlende Abendpläne erlauben es, an der freiberuflichen Karriere zu feilen. Doch mit jeder digitalen Konversation im beruflichen Kontext stellte sich auch eines ein: eine digitale Müdigkeit. Die richtigen Gespräche fehlten, für die digitalen ging mir irgendwann die Energie aus. Kein Wunder, nach täglichen Meetings-Calls auf Teams.

Für meine Freund:innen ein ungewohntes Bild. Ich, die daueronline und immer erreichbar ist sowie eher eine Stunde zu viel auf Social Media abhängt, als zu wenig, schafft es plötzlich nicht mehr Whatsapp-Nachrichten zu beantworten, really? Ja. Mein Kraftlevel für digitale Konversationen war erschöpft.

Nach Feierabend brauchte ich vor allem eines: Ruhe. Natur. Frische Luft. Bloß nicht mehr aufs Telefon schauen. Einfach nur sein.

Andere Menschen brauchen Action und Trubel, ich jedoch tanke Energie und regenerie, wenn ich mit mir alleine bin.

In der Stille. Bewusst spazieren gehen mit Freund und Hund. Bewusst gesund essen. Vielleicht noch eine Runde Sport. Kurz berieseln lassen von der neusten Netflix-Serie. Und dann ab ins Bett, schlafen, ausruhen.

Ich habe die vergangenen Monate zu viel gearbeitet. Erst aufgrund der Pandemie und dem fehlenden Sozialleben, später dann aufgrund unerwarteter Projekte und einem neuen, festeren Job. In dem Moment, in dem das soziale Leben wieder aufflammte und ich zurück in meine wöchentlichen Freund:innen-Treffen wollte, musste ich kapitulieren. Ein hoher Workload, eine Beziehung, ein Hund, der ausgelastet werden will. Und Freund:innen, die ich unbedingt sehen will. Ich musste mir eingestehen: Es geht nicht alles auf einmal.

Mein Anspruch klopfte mir fast täglich auf die Schulter: „Toni, Freundschaften sind wichtig, du musst sie pflegen.“ „Ich weiß, lieber Anspruch, das versuche ich.“ Und ich versuchte es. Zwischen dem Jonglieren meiner Jobs, dem Pflegen meiner Beziehung und Pepe versuchte ich auch noch Zeit für meine geliebten Freund:innen zu finden. Mal klappte das fantastisch, dann wiederum nicht. Mal verging nur eine Woche zwischen Treffen, mal fast zwei Monate. Mal meldete ich mich regelmäßig, mal vergaß ich, dass da überhaupt Whatsapp-Nachrichten zu beantworten waren. Und mittendrin waren mein Anspruch und ich, die regelmäßig stritten. „Du musst dich jetzt echt mal wieder melden.“ „Ich weiß, aber grad habe ich keine Zeit und Energie.“ „Dann mach was aus.“ „Noch ein Termin in dieser vollgepackten Woche, und ich drehe durch.“ Irgendwann kapitulierte sogar der Anspruch. „Na gut, dann krieg erstmal deine Shizzle zusammen.“

Wie schaffen das Menschen, die erst frisch gebackene Eltern geworden sind? Menschen, die einen viel starreren Joballtag haben als ich? Oder auch Menschen, die mehrere Jobs jonglieren? Meine Antwort: wahrscheinlich gar nicht.

Kein Wunder: Es ist nicht nur der Arbeitsstress. Auch eine Beziehung erfordert Achtsamkeit, das Dasein im Moment, volle Konzentration und schöne Erlebnisse. Der Hund lässt sich nicht abspeisen mit einer Mini-Runde um den Block. Auch er muss beschäftigt, ausgelastet und geliebt werden. Und dann ist da noch die Me-Time, die mir so wichtig ist und mich erholen lässt. Meine Freund:innen, die vermisse ich. Zu jeder Zeit. Aber auch für sie will ich Energie und Kraft haben, will mir Zeit nehmen und im Jetzt sein. Ihnen Aufmerksamkeit schenken, und nicht im Hintergrund getrieben sein. Von To-Dos, Deadlines und Abgaben.

Irgendwann in diesem Frühling beschloss ich, so kann’s nicht weitergehen. Jobs sagte ich rigoros ab, beendete Projekte und zog Grenzen in dem festen Job. Wieder mehr Zeit für mich war das erste Ziel. Das zweite: wieder mehr Zeit und Energie für mein Sozialleben. Freude statt Stress empfinden, wenn im Kalender ein privater Termin steht. Keine Termine mehr schieben, sondern bewusst Zeit nehmen, weil Zeit endlich wieder verfügbar ist.

Das klappt – zumindest langsam. Ich bin noch immer eine schlechte Freundin.  Aber ich habe einen besseren Weg gefunden, damit umzugehen. Auch für meine Freund:innen.

Mein Konfirmationsspruch – und Himmel, das ist lange her, aber das Einzige, was mir geblieben ist – lautet: „Liebe nicht mit Worten, sondern mit der Tat und der Wahrheit.“ Das tat ich zuerst. Nach wochenlangen Kämpfen mit meinem Anspruch sprach ich irgendwann die Wahrheit aus. „Unsere Freundschaft ist mir immens wichtig, aber ich will ehrlich sein, gerade schaffe ich es nicht, eine gute Freundin zu sein. Gib mir bitte noch die Zeit.“ Mit dem Versprechen an uns, Taten folgen zu lassen. Wieder da zu sein. Mit ganzem Herzen.

Wie schafft ihr es in stressigen Zeiten Freundschaften zu pflegen?

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