Vor Kurzem kündigte ein Freund mir an, dass er mich bald in München besuchen will. Und obwohl ich ihn echt gern hab, machte sich erst mal keine Freude in mir breit, sondern eine ziemlich fiese Wut. Die hatte nichts mit ihm zu tun, sondern mit seiner Entscheidung, wie er von Berlin nach München reisen will: nämlich mit einem gottverdammten Kurzstreckenflug. Bei einer Strecke, die man in derselben Zeit mit einem ICE zurücklegen kann. Ohne dabei CO2-Ausgleich zu zahlen. Einfach so, weil es günstiger und einfacher ist. Uff.
Ich wusste gar nicht, wohin mit mir und meinem Groll. Denn, klar: Es macht einen sauer. Wenn man selbst alles mögliche tut, um unnötige Emissionen zu vermeiden, seit Jahren nur noch Second-Hand-Klamotten kauft, sogar die gottverdammte Hafermilch selbst herstellt und sich nur äußerst selten heimlich und beschämt einen Döner reinpfeift, dann macht es einen sauer. Denn all die Einschränkungen, die ich mir in den letzten Jahren selbst im Namen der Weltrettung auferlegt hatte, wirkten plötzlich so nichtig und irrelevant. In diesem Moment war ich einfach nur müde.
Eine unbequeme Wahrheit
Dass ich ihm dann das brutalste Flugshaming um die Ohren haute, das ich auf Lager hatte, bescherte mir allerdings keinen inneren Frieden. Das Thema ließ mich nicht mehr los. Also ging ich der Sache mental auf den Grund, sprach mit ein paar weisen Freundinnen und mir wurde klar: Ich bin nicht sauer auf seine Entscheidung, zu fliegen, sondern ich bin sauer, weil er mir damit eine simple Wahrheit vor Augen geführt hat. Eine Wahrheit, die ich mir nicht sonderlich gerne eingestehe: Unser individuelles Konsumverhalten ändert so gut wie nichts. Ob er fliegt oder Zug fährt, ob ich Döner esse oder nicht – es ist faktisch egal.
Das ist keine neue Information. Schon seit Jahren ist bekannt, dass nur 100 Firmen für knapp 70 Prozent aller Emissionen verantwortlich sind. Heißt auf gutdeutsch: Selbst wenn wir alle ab morgen früh unser Konsumverhalten komplett umkrempeln, reißen wir das Ruder damit nicht rum. So lange politisch und wirtschaftlich nicht so schnell wie möglich komplett umgedacht wird, können wir noch so eco-conscious leben – es nützt wenig. Das ist die traurige Wahrheit, mit der wir uns offensichtlich ziemlich schwer tun; denn logisch: Wer gesteht sich schon gerne seine eigene Hilflosigkeit ein? Aber es liegt nicht nur daran, sondern auch an dem Fakt, dass sich grüner Kapitalismus sehr gut verkauft. Nachhaltigkeit ist inzwischen auch ein Lifestyle geworden, der eine sehr starke moralische Färbung hat: Wer nachhaltig konsumiert, dem gebührt Anerkennung und Respekt. Wer es nicht tut, der gilt als nachlässig, faul und ignorant. Das Problem dabei ist, dass die Option, nachhaltig zu konsumieren, stark vom Gehalt abhängt, denn nachhaltige Kleidung, Bionahrung und ICE-Fahrten sind teuer. Die Agenturchefin kann sich den Lifestyle leisten, die Krankenschwester nicht. Die eine kann sich als Teil einer vermeintlichen Lösung zur Rettung des Planeten fühlen, die andere nicht. Eine weitere Ungerechtigkeit, auf die man politische Antworten finden muss.
Wer profitiert vom Flugshaming? Unser Planet ist es nicht
Wer profitiert also wirklich davon, wenn ich mich mit meinen engsten Freund*innen zerstreite, weil sie Kurzstreckenflüge buchen? Wer profitiert davon, wenn wir gegenseitig mit Fingern aufeinander zeigen und ausdiskutieren, wer eigentlich die größte Umweltsau unter uns ist? Und dabei noch diejenigen am meisten shamen, die sowieso schon am wenigsten Ressourcen und Privilegien haben? Genau: Die eigentlichen Verursacher der Klimakrise. Denn solange wir damit beschäftigt sind, uns miteinander zu streiten, fehlt uns die Energie, das Problem bei der Wurzel zu packen: Und uns politisch zu organisieren, Veränderungen zu fordern und auf die Straße zu gehen. Natürlich ist es ein sehr viel ambitionierteres Vorhaben, das System zu ändern, statt einfach sein eigenes Konsumverhalten zu überdenken. Aber es ist – rein faktisch gesehen – das einzig Zielführende. Denn gerade die Fokussierung auf individuelles Verhalten führt dazu, dass Firmen-CEOs, die die allergrößte Verantwortung tragen, nie weitreichend zum Handeln aufgefordert werden, weil wir zu beschäftigt damit sind, erschöpft unsere ökologischen Fußabdrücke zu vergleichen.
Das bedeutet nicht, dass wir nun alle schamlos jedes Wochenende innerhalb Deutschlands hin- und herfliegen sollten, uns bei Primark eindecken und uns täglich die billigsten Chicken-Wings von Aldi hereinfahren sollten, solange wir regelmäßig auf Klimademos gehen – das wäre Doppelmoral. Gerade die, die es sich wirklich leisten können, sollten mit gutem Vorbild voran gehen und vorleben, dass ein nachhaltiger Lifestyle – zumindest für Privilegierte – jetzt schon möglich ist. Nur so wird die Schwere der Krise ersichtlich, in der wir uns befinden. Ich werde weiterhin auf Fast Fashion, Fleisch und Kurzstreckenflüge verzichten. Aber ich werde aufhören, mir dabei vorzumachen, dass ich so die Welt rette. Vor allem werde ich aufhören, diejenigen zu verurteilen, für die ein nachhaltiger Lifestyle schlicht nicht bezahlbar ist. Nachhaltiger Konsum sollte nicht funktionieren wie ein Ablassbrief, denn dann kaufen sich die Reichen frei und die Armen tragen alle Schuld allein. Er sollte stattdessen zu echtem Engagement motivieren. Und wenn Klimaschutz in Selbstgeißelung und gegenseitige Schwanzvergleiche mündet, dann spielt er denen in die Hand, auf deren Schultern diese Krise wirklich lastet.
Choose your battles
Ich werde also nicht mehr flugshamen. Ich werde meine Freund*innen nicht mehr angewidert anschauen, wenn sie eine Salami-Tiefkühlpizza essen und ich werde keine Diskussionen mehr vom Zaun brechen, wenn jemand mal bei H&M bestellt. Stattdessen werde ich versuchen, meine Energie weise einzusetzen: Und so gut es geht politischen Druck auszuüben, aufzuklären und meine Kritik gegen die zu richten, die wirklich schuld sind. Wird das den Klimawandel stoppen? Vielleicht, aber vermutlich nicht. Aber so können wir uns wenigstens auf dem Weg dorthin geschlossen und unverblendet dem wahren Problem widmen, ohne dass Freundschaften darunter leiden und wir nonstop mit Fingern aufeinander zeigen.
Bildcredits: Unsplash
3 Antworten zu “Kolumne: Flugshaming ist Selbstbetrug”
Hmmm, das mit dem Unsinn des aggressiven Fingerzeigens und Angreifens unterschreibe ich sofort (ich setzte da auf Inspiration und Information). Vieles andere aber nicht. Es muss beides passieren: Individuen müssen ihren Lebensstil ändern und von oben müssen Änderungen sinnvoll für Individuen und Unternehmen vorgeschrieben werden. Letztere haben einen größeren, schnelleten und unglaublich wichtigen Impact. Aber wenn sehr viele einzelne Schritte in Sachen Nachhaltigkeit unternehmen, bringt das auf jeden Fall was. Wir werden darum sowieso nicht herumkommen. Und es ist auf keinen Fall nur für Besserverdiener möglich, nachhaltiger zu leben: Auch Leute mit nicht viel Geld können Plastik reduzieren, auf Fleisch verzichten, ohne Flüge urlauben, saisonal einkaufen, Second Hand Klamotten shoppen etc. Ja, es gibt teure Ökoadressen, aber auf die ist man beim nachhaltigen Leben bei weitem nicht ausschließlich angewiesen. Und politisch aktiv werden können und sollen wir völlig unabhängig davon sein. Je mehr mitdemonstrieren, desto besser. Nächste Woche zum Beispiel am Freitag ?
Liebe Grüße, Katharina
Ich stimme definitiv zu, dass Standpauken und aggressives Fingerzeigen ihre Wirkung verfehlen, aber leider hört sich der Text tatsächlich nach resignieren und „müde sein“ an. Mit unserem Konsumverhalten können wir als Verbraucher auch in die richtige Richtung lenken. Ja, eine Person mehr oder weniger hält den Klimawandel nicht auf, wenn 70% der Emissionen auf andere Weise geschehen, aber wir können uns zumindest beteiligen am Einlenken der Konzerne. Nachhaltig sein und das Klima schonen funktioniert definitiv auch für weniger Privilegierte. Gerade wenn es darum geht saisonal und regional zu kaufen, weniger Fleisch zu essen, Second-Hand Klamotten oder gebrauchte Möbel zu kaufen, statt zum Discounter zu rennen. Man sollte vielleicht überdenken, dass es nicht immer NEUE nachhaltig produzierte Kleidung oder die teuerste Biomarke sein muss, um dem Klimawandel entgegen zu wirken. Man muss nicht unfehlbar sein, jede Verhaltensänderung in Richtung Nachhaltigkeit ist positiv. Dann kann man vielleicht auch anderen Personen verzeihen, wenn der Geldbeutel die Entscheidung Richtung Kurzstreckenflug trifft – in der Hoffnung, dass die Politik diesen Preisunterschied künftig nicht mehr möglich macht.
Da muss ich meinen beiden Vorschreiberinnen definitv zustimmen. Den Finger gegen Leute erheben und „Whataboutism“ sind wirklich kontraproduktiv und eigentlich nur nervig, dennoch haben auch die Handlungen von uns Normalsterblichen (nicht nur von Riesenkonzernen) eine Auswirkung auf das Klima – das sei bitte nicht zu unterschätzen. Wir müssen alle unseren Lebensstil anpassen, jede*r kann etwas tun und dazu gehört eben auch auf Inlandsflüge zu verzichten. Und dazu gehört vielleicht auch, darauf hinzuweisen, an welcher Stelle unsere Freunde oder direkte Mitmenschen etwas bewegen können. Nicht durch „flugshamen“ oder mit dem bösen Zeigefinger, ich habe gemerkt, dass es schon zu Denkanstößen führt, wenn man von eigenen Zielen für den Klimaschutz berichtet oder, wenn man einfach froh davon erzählt, was man geändert hat und sich vorgenommen hat. Darauf darf einfach nicht verzichtet werden!