Kolumne: Ein Hoch auf die kleinen Abenteuer im Leben
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Raus mit dir. Challenge dich. Immer wieder. Führe ja keine Routine!
Eine Weile lang war es für mich wichtig, mich permanent zu herauszufordern. Immer Neues entdecken, das Abenteuer überall suchen. Um dann sowieso abgeschlagen hinten weg zu bleiben. Denn während ich nie länger als für einen Urlaub im Ausland war, reisen manche gerade zum dritten Mal um die Welt. Zeitweise habe ich mich sogar schlecht gefühlt, weil ich einen vierwöchigen Backpack-Trip für mich persönlich weniger reizvoll fand, als mit der Familie an den Gardasee zu fahren. Die Konsequenz: Irgendwann war es nicht mehr das Kribbeln der Aufregung, das mich zum Abenteuer herauslockte, sondern viel mehr der Zwang. Bloß nicht spießig sein.
Bis ich bemerkte: Mein Bedürfnis ist einfach ganz ein anderes.
Sicher, es gibt sie, jene Menschen, die die Herausforderung brauchen. Die nicht eine Sekunde still sitzen können, sondern immer wieder ausbrechen müssen, um sich lebendig zu fühlen. Jene, die neue Länder bereisen wollen, je weiter umso besser, je fremder, umso aufregender. Die keinesfalls jeden Tag den selben Job erledigen wollen, sondern frei sein wollen wie ein Vogel. Die zu ersticken drohen, wenn sie einen Abend nur allein zu Hause sind, ohne sozialen Austausch in einem neuen angesagten Club.
Aber es gibt auch Menschen wie mich. Die Stabilität und Ruhe für sich schätzen. Die nicht permanent weit reisen müssen, um sich noch besser kennenzulernen. Die das Leben so schon lehrt. Die, die Komfortzone immer wieder Schritt für Schritt erweitern, um sich wohlzufühlen, statt ständig mit dem Vorschlaghammer aus dem Kreis auszubrechen und das Abenteuer suchen. Die, die Wochenende gerne frei planen statt für Wochen voraus an fremden Orten verplant zu sein. Die lieber in ihr Zuhause investieren oder in kleinere Trips. Die einen Abend mit Freunden jeder Hostel-Bekanntschaft am Meer vorziehen. Weil sie ihre kleine Bubble lieben, mit ganzem Herzen.
Und ich weiß, ich lehne mich weit aus dem Fenster: Aber ich glaube fast, die meisten von uns fühlen sich in ihrer Komfortzone sehr wohl. Die meisten von uns brechen nur selten aus. Dann, wenn es so richtig kribbelt und die Sehnsucht aus einem herausspricht. Und wisst ihr was? Das ist völlig okay.
Anders als es möglicherweise Instagram und die neue Welt der digitalen Nomaden uns vermittelt, liegt das Glück nicht zwingend im Abenteuer, sondern irgendwo dazwischen. Wir Menschen sind alle unterschiedlich, Pauschalisierungen das Gift. Sprüche wie „Life begins at the end of your comfortzone“ oder „Das ist doch so spießig!“ machen Druck, schlechtes Gewissen und schaffen Zweifel. Selbst wenn da eigentlich keine sind.
Wer sich nicht fordert, wer nicht permanent aus seiner Routine ausbricht, ja, dem wird schnell suggeriert, er lebe nicht richtig. Was für den einen der Bungee Jumping Sprung ist, ist für den anderen jedoch schon die Fahrt zur Arbeit. Strebt der eine nach Abwechslung, geht der andere in der Routine auf. Braucht der eine den Kick, sehnt sich der andere nach Stabilität und Vorhersehbarkeit. Für manche bietet das vermeintlich routinierte Leben bereits schon viel Vielfalt und Aufregung, andere suchen den Kick in der Unbeständigkeit.
Manch einer hasst das Spießerleben, der andere findet sein Glück in der liebgewonnenen Routine.
Manch einer träumt von Pferden und Weide, der andere von Achterbahnfahrten und wilden Festen im Big Apple. Und manch ein anderer von beidem. Es gibt kein Schwarz und Weiß, sondern immer nur ein Grau. Nur weil der eine Ruhe vorzieht, größere Vorhersehbarkeit lebt, heißt es nicht, dessen Horizont ist begrenzt. Im Gegenteil. Bildung und Intellekt sind keine Prämisse, die der Mutige für sich gepachtet hat, sondern einzig individuelle Entscheidung. Mut ist individuell – genauso wie die Perspektive. Vielleicht weiß jener Mensch, der seit Jahren in der Sozialstation des Hospiz arbeitet, der über seine Sorgen mit seinem Therapeuten reflektiert oder mit seinen Kollegen im Büro das tägliche Leben analysiert mehr als jener Mensch, der als Einzelkämpfer durch den Urwald zieht oder alle zwei Jahre freudestrahlend den Wohnort wechselt. Vielleicht. Vielleicht auch nicht.
Wichtig war für mich irgendwann zu erkennen: Ein bisschen spießig sein ist schon okay. Meine Komfortzone erweitert sich ständig, in verschiedenste Richtungen. Mit Bedachtheit, mit Ruhe und nur mir als Regisseur. Ich zwinge mich nicht mehr etwas zu tun, was ich nicht brauche – oder suche. Egal, was der Rest der Welt einem suggeriert. Mein einziger Indikator: meine Intuition sowie mein Glück. Die Magie der Dinge liegt für mich im Kleinen – und vor allem in einer gewissen Stabilität. Bin ich glücklich und zufrieden, dann ist es okay. Für den Moment ist das absolut genug. Und ansonsten schlägt die Sehnsucht schon zu. Meine Neugierde und die Lust auf Neues zeigen mir den Weg und lassen mich wachsen.
The choices you make are far more powerful than what you say you desire.
Choice determines path, and path determines who you’ll meet.
You must become what you seek.
Mark Groves
Während ich im Beruflichen immer mehr als mutig den Weg des Freelancers gegangen und Unsicherheiten eingegangen bin, ist mein persönliches Glück eng an Konstanten geknüpft. Lieber ein festes Zuhause als das Nomadenleben durch die Metropolen dieser Welt. Nah bei der Familie und Freunden. In meinem geliebten Alltag. Verpasst man was? Vielleicht. Aber solange man seinen Bedürfnissen nachgeht, gibt es kein Bereuen. Vielleicht war die Zeit nicht reif, vielleicht ist sie es nie. Das Leben bahnt sich seine Wege.
Jaqueline von Minusgold schrieb letztens: „Je mehr sich das Gelebte mit den eigentlichen Bedürfnissen deckt, desto besser können wir Beziehungen, Freundschaften und am wichtigsten – eine gesunde Balance mit uns führen.“ Und ich unterschreibe diesen Satz so sehr. Wer bei sich ist, bleibt bei seinen Bedürfnissen, trifft Entscheidungen, die den richtigen Weg zeigen und dieser führt einen am Ende schon ins Glück.
Niemand muss permanent ausbrechen, aber jeder kann. Hört auf euer Bedürfnis. Egal, was andere sagen.
Angst, Liebe, Traurigkeit, Freude, Glück. All das liegt in jedem von uns. All das erwartet uns. Das Abenteuer ist das Leben selbst. Dann, wenn wir vor Herausforderungen stehen, die uns keine Reise bietet, dann, wenn es die Lebensreise ist, die uns atemlos zurücklässt,uns Unsicherheiten beschert, uns in tiefe Täler stürzt, und doch den Horizont erkennen lässt. Und dann ist es egal, wo wir gerade sind.
Am Strand von Bali, in Kleinbuxtehude, im 24/7 Party-Modus oder im 9to5-Job im Finanzamt.
2 Antworten zu “Kolumne: Ein Hoch auf die kleinen Abenteuer im Leben”
Die digitale Welt suggeriert uns diese mutig sein, wäre das neue lass mal rauchen. Schneller, weiter, höher. Aber nicht in dem jeweils eigenen Tempo, sondern so schnell wie Masse oder noch besser, noch schneller. Ich für mich hab schon entschieden, dass Mut mir gut tut, aber das ich gewisse Routinen brauche. Und suche ich Inspiration kämpfe ich mich kurz frei davon. Kann aber danach dahin zurückkehren.
Das unterschreibe ich genau so :)
Mut ist wichtig und gut, aber im eigenen Tempo und wann es für einen selbst, sich richtig anfühlt.