Kolumne: Don’t grab them by the balls
Männliche Trolle wehrt man am Effektivsten ab, wenn man ihre Männlichkeit angreift: „Schlappschwanz“, „Muttersöhnchen“, „Heulsuse“, „Pussy“. Trotzdem solltest du diese Wörter sofort aus deinem Wortschatz streichen. Wieso? Tu es für den Feminismus.
Es fühlt sich ein bisschen falsch an, wenn man als gestandene Feministin das Thema Männlichkeit anspricht: Schließlich haben Männer – sofern sie weiß und hetero sind – die meisten Privilegien in unserer Welt. Allerdings wird gerne vergessen, dass das ganze Konzept der „Männlichkeit“ an sehr abstrusen Eigenschaften festgemacht wird, die bei Weitem nicht jeder Mann erfüllen kann. Also: Wann ist der Mann eigentlich ein Mann?
Der gruselige, alte Grönemeyer-Song bringt das ganze Konzept der toxischen Männlichkeit ziemlich gut auf den Punkt: Männer sind stark und knallhart, sie baggern, lügen. Und das Allerwichtigste: Sie weinen heimlich. Boys don’t cry. Und das macht krank. Und führt manchmal bis zum Tod. Wusstet ihr, dass es in Großbritannien eineinhalb mal so wahrscheinlich ist, dass ein Mann vor seinem 50. Lebensjahr stirbt als eine Frau? Das hat verschiedene Ursachen: Krankheiten, Unfälle, Krebs und Selbstmord. Obwohl Frauen statistisch öfter unter Depressionen leiden, begehen dreimal so viele Männer Suizid – und hinterlassen oftmals ratlose Familien und Freunde. Dass das Geschlecht bei dieser Statistik eine Rolle spielt, liegt auf der Hand. Dass Männer so viel wahrscheinlicher jung sterben liegt zum Teil daran, dass sie weniger oft bereit sind, sich Hilfe zu holen – ob das nun ein Gang zur Vorsorgeuntersuchung ist oder schlicht ein Gespräch mit eine*r Freund*in, in dem man zugibt, dass es einem gerade scheiße geht.
Männern ist das Bewahren ihrer Männlichkeit oftmals nicht nur heiliger als ihre eigene Gesundheit, es beeinträchtigt auch ihre Beziehungen. Wer von euch kennt es von eigenen Liebesbeziehungen oder denen eurer Freund*innen, dass die Männer entweder gar nicht über Emotionen sprechen können oder dass sie es ausschließlich mit dem*der Partner*in können, sodass diese*r dann zu einer Art emotionalen Müllhalde wird und unter der Verantwortung zusammensackt? Ist euch schon mal aufgefallen, dass Männerfreundschaften manchmal merkwürdig oberflächlich bleiben, obwohl sie teilweise schon Jahrzehnte bestehen? Guess what: Das hat nichts mit dem biologischen Geschlecht zu tun, sondern mit dem anerzogenen Bild von Männlichkeit und der Message: Jungs jammern nicht. Man up! Stell dich nicht so an. Was bist du für ein Weichei? Schluck‘ den Frust runter wie ein Mann!
Es gibt eine endlos lange Liste mit anderen gesellschaftlichen Problemen, unter denen nicht nur die Männer selbst, sondern auch alle anderen leiden und die sich einfach mit toxischer Männlichkeit in Verbindung bringen lassen – wie häusliche Gewalt oder die gesamte Rape Culture. Und sie sorgt auch dafür, dass all das mit einem einfachen „Boys will be Boys“ abgetan wird. Aber Männer sind nicht „eben“ so – sie werden dazu erzogen und darin bestärkt. Und wenn man aus dem Klischee fällt und Schwäche eingesteht, wird man dafür oftmals noch gesellschaftlich geächtet.
Wir würden alle unglaublich davon profitieren, wenn wir dieses toxische Männlichkeitsbild loswerden könnten. Mal ganz abgesehen davon, wie gut es jedem Mann tun würde, der endlich offen über seine Probleme sprechen könnte, sich Schwäche eingestehen und Hilfe suchen könnte – stellt euch das mal vor: Eine Welt, in der Machos überall nur noch Witzfiguren wären. Glory Hallelujah!
Wenn man also Männer in ihrer Männlichkeit angreift, dann reproduziert man ein binäres Geschlechterbild, in dem Männer immer stark, tough, potent und emotionslos sein müssen. Dass es so verdammt effektiv ist, wenn man Männer als unmännlich bezeichnet, zeigt nur umso deutlicher, wie viel Macht dieses absolut schädliche Rollenbild des „harten, toughen Kerls“ noch hat. Dieses toxische Bild abzuschaffen gehört dringend auf die To-Do-List des Feminismus, denn es zieht einen Rattenschwanz an Problemen mit sich, unter denen jede*r leidet.
Wenn wir also wollen, dass Männlichkeit in Zukunft nicht mehr das Wichtigste im Leben von Männern ist, dann müssen wir konsequent sein und dafür sorgen, dass sich toxische Männlichkeit nicht mehr weiter fortsetzt. Das bedeutet auch: (Fehlende) Männlichkeit nicht mehr als Grundlage für Beleidigungen nutzen. Seid konsequent! Don’t grab them by the balls.
Wenn ihr gerne mehr über toxische Männlichkeit erfahren wollt, dann lege ich euch das Buch des Journalisten Jack Urwin, „Boys don’t cry“, wärmstens ans Herz. Der Vice-Autor aus Großbritannien hat jung seinen Vater verloren, weil dieser aus Stolz nicht bereit war, einen Arzt aufzusuchen und an einem Herzinfarkt starb, der hätte verhindert werden können. Hier könnt ihr den Artikel lesen, auf dem das Buch basiert.
5 Antworten zu “Kolumne: Don’t grab them by the balls”
Finde ich gut!
Lebe sowieso schon immer nach der Maxime – jeder macht das, was er am besten kann.
Bin auch dafür „Frauenversteher“ von der Liste zu nehmen :)
Ich mag Frauenversteher nämlich.
LG Ava
Danke für den Reminder!
Ich dachte erst, es geht um Franz Ferdinand als ich das Titelbild gesehen hab.
Interessante Geedanken aber, auch wenn man sie selber schon mal alle in der einen oder anderen Situation hatte.
Komm aus deiner Blase raus und denk mochmal über das Lied nach, was du hier als gruselig bezeichnest. Vielleicht verstehst du dann ja, dass sein Autor ebenfalls das von dir bemängelte Männerbild bemängelt. Ironie und Sprachwitz ist nicht jeder*frau (?) Sache, aber hier ist es so offensichtlich, come on.
Absolut gut dieser Artikel :) Wird auch Zeit, dass die sexistische Columne „grab them by the balls“ auf Yahoo und anderswo endlich gesperrt wird. Zwischen „grab them by the pussy“ und „grab them by the balls“ ist kein Unterschied in der Verwerflichkeit. Wer eines von beiden als weniger schlimm ansieht, unterliegt einer Doppelmoral und hat Gleichberechtigung nicht verstanden.