Kolumne: Die Vorteile einer Trennung
Foto: @eatyrheartsout
Eine Trennung ist der Schubs ins kalte Wasser, der uns vor das erbarmunglose Ultimatum stellt, zu schwimmen oder zu ertrinken – und das kann verdammt aufregend sein. Denn neben dem Verlust eines wichtigen Menschen kann man viel gewinnen.
Wir haben Angst vor Trennungen. Angst davor, heute wieder das zu spüren, was wir damals gespürt haben, als es schon mal passiert ist. Denn egal ob man verlassen wurde oder verlässt, das schmerzliche Problem bleibt: Man verliert einen Menschen. Einen Menschen, dem man alles anvertraut hat. Für den man die eigene Seele auf den Tisch geknallt hat wie einen Geldschein auf den Bartresen: Hier, nimm.
Der Partner, der mit uns am Bartresen saß, ist plötzlich weg. Der Mensch, der einem versprochen hat, immer im eigenen Leben zu bleiben – komme was wolle. Trennungen können unterschiedliche Gründe haben, aber eine Sache haben sie gleich: Sie fühlen sich schlecht an. So schlecht, dass man womöglich die Lebenslust verliert. Dass man nicht essen und nicht schlafen kann, und nichts, absolut nichts hilft, außer Zeit. Das ist wie bei einer hartnäckigen Grippe. Irgendwann liegt man am Boden und wartet darauf, dass man wieder aufstehen kann.
Wir verschweigen Trennungen. Sie sind ein Tabu-Thema und sollen möglichst vermieden werden. Wer eine Beziehung eingeht, denkt nicht daran, dass diese Beziehung irgendwann zu Ende gehen könnte. Schon rein statistisch gesehen. Wer sich mit der Realität des Ablaufdatums einer Beziehung auseinandersetzt, glaubt nicht an die Liebe und ist beziehungsunfähig. Stempel drauf, Schublade zu. Trennungen machen keinen Spaß, aber sie passieren und wenn sie passieren, haben wir keine andere Wahl, als sie anzunehmen. Und da wird es spannend, denn wir haben es selbst in der Hand, was wir mit dieser Trennung machen. Eine Trennung ist der Schubs ins kalte Wasser, der uns vor das erbarmunglose Ultimatum stellt, zu schwimmen oder zu ertrinken – und das kann verdammt aufregend sein.
Die Trennungsphase ist eine der emotionalsten Phasen, die ein Mensch durchlaufen kann, doch neben dem Verlust eines Menschen, kann man unheimlich viel gewinnen. Sie ist besonders in den ersten Wochen, die einen in seiner Existenz vollkommen lähmt, erschütternd grauenvoll. Man ist passiv und hilflos. Doch sie lässt in Schritt zwei den Endorphinen freien Lauf. Nach der Selbstmitleid-Phase wird man früher oder später an den Punkt kommen, an dem man sich nicht mehr aushält. Man verabschiedet sich von seiner armseligen und passiven Karikatur und erreicht Level 2 des absurden Spiels, das keiner spielen will. Die aktive Ja-Phase. Die Gefühle feiern eine Sturmfrei-Party und man findet seine Kraft, Entscheidungen für sich zu treffen, zurück.
Man ist bei allem dabei. Es ist einem alles egal. Feiern? Ja. Kaffee? Ja. Urlaub? Ja. Tinder? Ja. Dates? Ja. Mit wildfremden Menschen ein Wochenende verbringen? Ja. Hochzeiten crashen? Ja. Pferde stehlen? Ja. Man hat sich zwar von einem Stück Seele – der Komfortzone – verabschiedet, doch gerade in diesem Moment schafft man sich etwas Neues, ohne es zu merken. Die neue Lebenssituation, nach der man nie gebeten hat, lässt einen wachsen und verändern. Die alte Komfortzone verstaubt. Kissenbezüge, Kerzen, Kuschelsocken, liegen unberührt herum und fühlen sich falsch an. Da drüben im anderen Extrem, in der Schattenseite, ist es zwar ungemütlich, aber aufregend! Hier erlebst du Sachen, von denen du bis vor Kurzem nicht mal wusstest, dass sie existieren. Hier überwindest du Hemmungen und Ängste. Hier merkst du, dass du der Mensch bist, der dich glücklich machen kann und auf den du dich verlassen kannst. Dass du für dich und deine Zukunft selbst verantwortlich bist. Dass du es dir schuldig bist, dir eine gute Zukunft zu bescheren, auch wenn das in der Gegenwart erstmal Anstrengung bedeutet. Die Phase wird sich wie eine Ewigkeit anfühlen, doch auch sie wird sich verabschieden. Denn so spannend und aufregend das Ja-Sagen auch sein mag, es zehrt an den Kräften.
Der Körper und Geist brauchen eine Pause und tasten sich erschöpft zurück in die Komfortzone von damals. Man sieht sich die Einrichtung seiner Seele an und ist schockiert. Wie konnte ich das jemals gut finden? Man setzt sich vorsichtig auf die rosafarbene Couch mit den Plüsch-Kissen. Die großen Pastelltassen und die Kuschelsocken stehen immer noch da, als wäre nichts gewesen. Der Raum in der eigenen Seele, in dem man sich einst so wohl gefühlt hat, ist ein letzter Wink aus der Vergangenheit. Time to say goodbye. Langsam räumt man die Tassen weg, wirft die Kissen und Bilderrahmen in den Müll und ersetzt die Couch von damals mit etwas Neuem – etwas passenderem. Vielleicht mit neuen Freundschaften aus der letzten Zeit oder alten Freunden, zu denen man zurückgefunden hat. Mit neuen Lebensentwürfen, mehr Selbstbewusstsein, mehr Empathie für sein Umfeld und Erkenntnissen über sich selbst. Und nach und nach schafft man sich in Level 3 des Spiels, das keiner spielen will, einen neuen Ort zum Durchatmen. Atmen. Das klappt plötzlich wieder ganz gut. Und Ruhe auch.
10 Antworten zu “Kolumne: Die Vorteile einer Trennung”
Wow, mir fehlen die Worte. Aber ich muss auch nichts dazu sagen, weil du alles perfekt getroffen hast.
Meine Trennung liegt zwar schon eine Zeit zurück aber trotzdem ist es wie einen Spiegel vorgehalten zu bekommen.
Und das hier ist der beste Satz: „Mit neuen Lebensentwürfen, mehr Selbstbewusstsein, mehr Empathie für sein Umfeld und Erkenntnissen über sich selbst.“.
Danke! :-)
<3
Danke für den tollen Text. Ich stecke gerade noch in Level 1 und muss mich jeden Tag aufs neue aufraffen halbwegs motiviert und mit einer Maske auf dem Gesicht in den Arbeitsalltag zu starten. Am Abend bin ich immer wieder froh, wenn ich nach Hause komme – hinter mir die Tür schließen kann und von nichts und niemanden etwas höre. Aber ich bin zuversichtlich bald in das Level 2 zu starten … dein Text jedenfalls hat mich heute Morgen motiviert und mir seit langem mal wieder ein lächeln und vor allem Hoffnung zu schenken. DANKE! Alles Liebe :)
Wie wunderbar, das freut mich extrem!
Danke für den tollen Artikel! Sehr gut geschrieben und so wahr. Meine letzte Trennung war schlimm, aber letztendlich habe ich irgendwann die Kraft gefunden mein Leben komplett umzukrempeln. Das ging nur mit professioneller psychologischer Hilfe, aber jetzt bin ich an einem anderen Ort und auf dem Weg zu meinem Traumjob. Vielleicht wäre das ohne die Trennung nie passiert…
Ein sehr, sehr wahrer und wunderschön geschriebener Text. Danke dafür!
Vielen Dank!
Danke dir, liebe Amelie, für diese wunderbaren Worte! Ich bin und genieße Level 2 – meine Trennung letzten Herbst war die beste Entscheidung, die ich seit langem getroffen habe. Sicher macht es einen großen Unterschied, ob man selbst verlassen wird oder jemanden verlässt, aber hart ist es so oder so. Aber auf einmal öffnen sich neue Welten…
LG
Lena
Einfach nur Danke! Und liebe Grüße aus dem verwirrenden Übergang zwischen Level eins und zwei.
Danke für diese tollen Worte – bin gerade in Woche 3 von Phase 1 und kann gar nicht mehr denken. Ich werde das öfters lesen und hoffen das ich mal unter der Decke auf dem Sofa hervorschauen kann…