Kolumne: Die Abwesenheit von fomo
„Keine fomo zu haben tut mir richtig gut. Also ich glaub so richtig, mental-health-mäßig“, stellte eine Freundin vor Kurzem im Videocall fest. So wirklicher Fan von diesen Gruppengesprächen, in denen alle miteinander, aber irgendwie auch niemand so richtig zum Reden kommt, bin ich nicht, aber ein bisschen wie sonst ist es eben schon, alle versammelt vor sich zu haben, miteinander rumzuhängen und ein paar Dinge in die Runde zu fragen. Wie es denn nun allen eigentlich so geht, zum Beispiel, nach den Quarantäne-Wochen, die man schon gar nicht mehr zählen kann, weil die Zeit so zäh und unbedeutend wird.
Wir reden von Türstehern, die plötzlich vor dem Alnatura stehen und einem stumm zunicken, wenn man dann reindarf, von braven Abstands-Schlangen und Polizisten mit Megafonen, von Kurzarbeit, Videocalls und provisorischen Homeoffice-Schreibtischen, von der Unmöglichkeit, gerade Wandfarbe oder Hefe zu bekommen und vor allem von der Frage, wie es uns denn nun eigentlich mit allem geht. Vor ein paar Wochen waren die Antworten darauf: Absurd, ängstlich, vielleicht sogar panisch und voller Existenzängste. Seit einiger Zeit fällt die Antwort aber immer öfter ganz anders aus, egal wen ich so frage:
„Du, ja, langsam stellt sich glaub ich echt diese Entschleunigung ein, und irgendwas davon scheint mir echt gut zu tun.“
Ganz klar, die Corona-Krise ist vielschichtig und alles andere als ein Segen. Wir alle haben uns das Jahr anders vorgestellt, hatten Pläne, Wünsche und Ziele, die gerade quälend im Sand verlaufen, abgeblasen müssen oder feststecken. Wir alle können nicht wissen, welche Formen das noch annehmen wird und was die wirtschaftlichen Folgen für uns, für das Klima in der Gesellschaft und für die Situation jedes Einzelnen bedeuten werden. Und trotzdem sind wir nun seit Wochen mit der neuen Situation konfrontiert und wissen, ändern können wir daran nichts.
Das Einzige, das wir wie immer in Krisen tun können, ist, die Situation anzunehmen. Nicht davor wegzulaufen, sondern uns damit auseinanderzusetzen und uns damit zu konfrontieren. Das hilft bei Liebeskummer, bei einem Job-Verlust, bei Trauer und persönlichen Krisen und im Grunde tatsächlich bei allem Großen und Kleinen, das man nicht ändern kann.
Und wenn wir uns aufhören zu wehren, aufhören, die Dinge schnell hinter uns bringen zu wollen, und uns auf Situationen einlassen, so unangenehm sie auch sein mögen, dann passiert etwas Interessantes: Neue Perspektiven tun sich auf.
Diese Erfahrung mache ich immer wieder, egal mit welcher Schwierigkeit ich konfrontiert bin. Auch die Corona-Situation, so komplex, absurd und schwierig sie auch sein mag, hat gute Seiten. Oder zumindest Dinge daran, die wir für uns zum Positiven ummodeln können. Die ziemlich umfassende und ungewohnte Abwesenheit von fomo, zum Beispiel, keine Möglichkeit, langfristige Pläne und machen und der Zwang zur stückweiten Entschleunigung, die jedem Einzelnen in gewisser Weise gut tut.
Jetzt gerade ist der völlig neue und ungewohnte Zustand, in dem wir weder die besten Parties, noch die schönsten Reisen verpassen, während normalerweise alle anderen gefühlt genau das am laufenden Band erleben. Instagram und Co. geben uns, auch wenn wir uns dessen bewusst sind, jeden Tag den Eindruck, unseren Tag auf zig Millionen andere, bessere Weisen füllen zu können, und nur so richtig zufrieden zu sein, wenn wir alles unterkriegen: Eine Woche voller Produktivität, genug Sport, spannender Menschen, einer perfekten Beziehung oder umwerfender Liebesabenteuer, voller Erlebnisse, Parties, Ausflüge und Events, überall möchte man dabei sein und sich selbst dabei ständig optimieren, und für alles genug Zeit haben. Und während man in Insta-Stories am laufenden Band reingeballert bekommt, wer mit wem gerade wieder wo auch immer ist, schwebt man irgendwo zwischen Sunday Scaries und Saturday Spirals und fragt sich, wieso der eigene Samstag eigentlich so schnell verfliegt und man doch überhaupt nichts gemacht hat, und wie die Wochenenden von anderen eigentlich immer so voller Wahnsinnserlebnisse sein können.
Auch die Corona-Zeit beinhaltet neue fomo-Formen, von Bananen- und Sauerteigbrot über die sonnigsten Spaziergänge, die aufgeräumtesten Wohnungen, die blühendsten Balkone, die aktivsten Sport-Routinen und die besten Quarantäne-Buddies. Und doch passiert bei uns allen zwangsweise etwas, das im Alltag oft so schwer hinzukriegen ist: Wir alle fahren ein Stück weit runter, unser Radius und unsere Gestaltungsmöglichkeiten sind zwangsweise eingeschränkt, und selbst wenn wir wie sonst in Arbeit schwimmen, können wir zumindest einige Dinge nicht auch noch in unsere Tage quetschen: Essen gehen, feiern gehen, ins Fitnessstudio gehen, große Pläne machen, von Termin zu Termin hetzen oder ins nächste Flugzeug steigen.
Wenn ich aufhöre, weit in die Zukunft zu planen, werde ich innerlich ruhiger. Wenn ich meine Wochenenden nicht schon im Voraus mit vielen Plänen fülle, sondern mich spontan danach richte, wie ich mich fühle, geht es mir insgesamt besser. Und wenn ich unaufgeregte Tage mit Spazierengehen, Yoga, Kochen oder Brettspielen verbringe, stellt sich in mir Ruhe ein, die mir Kraft für meine Arbeit und andere Dinge gibt.
Entschleunigung tut gut, egal ob man vor einem Burnout steht, unter einer Angsterkrankung leidet, oder sich einfach nur gestresst fühlt. Wer sich mit mentaler Gesundheit beschäftigt, stößt als allererstes auf dieses Thema und den Ratschlag, einen Gang runter zu schalten. Stress und unnötige Aufgaben zu reduzieren, achtsam mit sich selbst umzugehen und auf die Bremse zu drücken. Nicht nach links und rechts zu schauen, sondern seinen Alltag so zu gestalten, wie er einem selbst gut tut. Und damit aufzuhören, sich mit anderen zu vergleichen und alles, was nur irgendwie möglich ist, in die eigenen Tage zu stopfen.
Und plötzlich stehen wir nun da, nach Wochen, die wir kaum noch zählen können, weil die Zeit plötzlich zäh und unbedeutender geworden ist, und stellen fest: Irgendwas hat sich da wirklich getan und tut sich immer noch, in dieser seltsamen Zeit. Irgendwo taucht da gerade diese Entschleunigung auf, von der immer alle sprechen, und vielleicht wird ein Teil von uns gerade wirklich ruhiger.
Denn wir haben gerade äußerlich weniger Möglichkeiten als sonst – aber dafür eine Zeit lang ganz besonders viele Möglichkeiten, unsere Inneres genauer zu betrachten.
5 Antworten zu “Kolumne: Die Abwesenheit von fomo”
Word! Uns ist allen klar wie desaströs Corona für viele Menschen, ihre Gesundheit in allen Formen und die Wirtschaft ist. Das gesagt finde ich es eine wunderbare Zeit sich auf seine wahren Bedürfnisse zu fokussieren und wie früher meine Bücher zu lesen und spazieren zu gehen & derweil zu telefonieren oder auch einfach nur podcast hören oder auch nichts. Und nicht das Gefühl zu haben ich muss was aus meinem Leben machen und dauernd auf Achse sein und was zu erleben, sonst verpasse ich was & alle haben Spaß und ich nicht (und ich habe nicht mal Instagram)
[…] anderen, das ist uns allen klar. Die Idee, diesen Sommer einfach gar nirgends hinreisen zu können, hatte fast etwas Beruhigendes, denn aus Abwesenheit von Alternativen macht man plötzlich aus sehr wenig das Beste – und […]
[…] zu denken. Ein großer Faktor dieser inneren Ruhe ist das fehlende Fomo-Gefühl, über das ich hier geschrieben […]
[…] fomo zu haben tut gut. So richtig gut, mental-health-mäßig. Genau das stellte ich in diesem Text fest, als vor eineinhalb Jahren das Lockdown-Leben so langsam zur Realität wurde. Ohne überhaupt […]
[…] Momente zu erleben. Diese Menschen berichten während der Ausgangssperre sogar von einem angenehmen Ausbleiben von FOMO: Sie können endlich schamlos zu Hause bleiben, so lange sie wollen – und werden dafür sogar […]