Kolumne: Der Mut, nicht mitzulachen
TW: Dieser Artikel zitiert sexistische Aussagen
Was tun wir nicht alles, um dazuzugehören! Es fängt im Kindergarten an und zieht sich oftmals durch das gesamte Leben: Wir verbiegen uns – aus Angst, ausgeschlossen zu werden. Manchmal ist es ziemlich harmlos – wie damals, als ich mit 14 so getan habe, als würde ich Hardcore Punk richtig abfeiern, aber heimlich immer nur Green Day und Blink-182 gehört habe. Und manchmal ist es Selbstboykott. Wie damals, als ich über Serdar Somuncu gelacht habe.
„Spaß verstehen“
Wenn Frauen über sexistische Witze lachen, andere Frauen niedermachen und misogynen Männern Recht geben, dann spreche ich immer gerne von einer Art von Stockholm Syndrom. Das ist das psychologische Phänomen, ein positives Verhältnis zu seinen Unterdrückern – in diesem Fall einem sexistischen System – aufzubauen und sich mit ihnen gut zu stellen. Und so die Situation irgendwie erträglicher zu machen. So lange, bis man zur Komplizin seiner eigenen Unterdrückung wird. Ich weiß, wovon ich rede, denn ich war einmal genau so.
Ich habe auf Parties sexistische Songs gegröhlt,
habe andere Frauen niedergemacht und alles dafür getan,
damit ich „eine von den Jungs“ werde.
Das bedeutet: Eine Frau, der Männer ein bisschen mehr Respekt entgegenbringen (das heißt: Sie halbwegs als ebenbürtig behandeln), weil sie „Spaß versteht“ (Das heißt: Weil man in ihrer Gegenwart diskriminierende Dinge sagen kann und sie einfach mitlacht). Eben keine Spaßbremse, eben „not that kind of girl“.
Dass Somuncu solche Dinge sagt, ist allerdings nichts Neues. Ein Großteil seiner Karriere basiert auf der schamlosen Beleidigung von diskriminierten Gruppen, frei nach dem Motto „jeder hat das Recht, diskriminiert zu werden“. Ich weiß das, weil ich lange Zeit ein großer Fan von Somuncu war. Ich hielt ihn – wie viele Menschen heute noch – für einen schlauen Satiriker, der uns „den Spiegel vorhält“ und deswegen jede noch so abartige Unmenschlichkeit laut aussprechen darf. Wenn ich ehrlich zu mir war, fand ich es auch schon damals irgendwie verletzend und hasserfüllt. Und hatte ein bisschen das Gefühl, er sorgt so dafür, dass Menschen sich sicherer darin fühlen, rassistische und sexistische Dinge laut zu sagen. Satire darf ja schließlich alles! Damit tat er aber auch schon damals eigentlich vor allem denen einen Gefallen, die ein Ventil für ihren Hass suchten. Damals habe ich trotzdem gelacht. Aber die Zeiten haben sich geändert.
Deutsche Satire 2020.
Aus aktuellem Anlass.#Somuncu #Cancelculture #Satire pic.twitter.com/URxVxDa19s— Jo Lott (@JoLottIllu) September 15, 2020
Die Verweigerung, mitzulachen
Es hat Mut erfordert, nicht mehr mitzulachen. Das gilt nicht nur für die diskriminierenden Witze von Satirikern wie Serdar Somuncu, sondern auch für die meiner Freunde, Familienmitglieder oder Arbeitskollegen.
Allein durch die Verweigerung, mitzulachen, wird man in der Wahrnehmung vieler Menschen nämlich blitzschnell zur wandelnden Spaßbremse.
Was ist eurer Liebster Satire Moment Wenn ihr auf der Straße fotze genannt werdet oder im Podcast?
— Susi ↯ Bumms (@susibumms) September 15, 2020
Wenn man aufhört, mitzulachen, dann kündigt man seine Komplizenschaft. Man stellt seine eigene Würde über das Wohlbehagen des Anderen. Das kann unangenehm sein und erfordert Mut. Aber es ist ein emanzipatorischer Akt.
Bildcredits: Wikimedia
2 Antworten zu “Kolumne: Der Mut, nicht mitzulachen”
GRANDIOS! Danke!
Korrigiere mich, aber genau auf solche Aussagen (Satire oder nicht) springen doch die meisten Männer an. Und ein Teil davon steigert sich rein, meldet sich in Incelforen an und missbraucht die erste Frau.
Und der Untergang des Patriarchats? Es gibt Anzeichen, dass wir dabei sind Rückschritte zu machen. Leider.