Kolumne: All you need is less – oder etwa doch nicht?

10. März 2017 von in

Ausmisten. Eine meiner liebsten Beschäftigungen. Zuviele Dinge erdrücken mich, Ordnung beruhigt und ich bilde mir ein, sie ist auch immer ein Spiegel meiner Seele. Je unaufgeräumter meine Wohnung, umso größer das Chaos im Kopf. Das war schon immer so. Als kleines Kind gab es Momente, in denen mich mein eigenes Chaos rasend machte. Bis ich mich beruhigte, aufräumte und wieder fröhlich war. Ich bin weit entfernt von einem Putzfimmel, aber tatsächlich ertrage ich nur schwer zu viele Sachen.

Während andere oftmals aus ihrem Kleiderschrank ein Teil von vor zehn Jahren rausziehen, schüttle ich nur mit dem Kopf: DAS kann mir nicht passieren. Einziges modisches Erinnerungsstück in meinem Kleiderschrank: mein Abiballkleid. Und just in dem Moment, wo ich es schreibe, frage ich mich: warum?
Ich hänge nicht an Sachen. Schon gar nicht an Kleidungsstücken. Klar, ich liebe meine Taschen beispielsweise. Aber würde heute meine Wohnung abfackeln, würde der Verlust kurzfristig schmerzen, langfristig würde ich mich schon davon erholen. Das glaube ich zumindest.

Und so passiert es, dass ich – der Minimalismus-Bewegung sei Dank – seit einigen Jahren wirklich regelmäßig ausmiste. Was nicht getragen wird, kommt weg und bereitet jemand anderem Freude. Was in der Küche nicht mehr genutzt wird, darf ebenfalls gehen. Bilder hängen kaum an meiner Wand, ich mag es eher clean. Auch farbige Wände, viel Dekozeug und ChiChi sucht man vergeblich bei mir. Ich lebe den Minimalismus – und trotzdem finde ich immer noch, steht hier mega mäßig viel rum. Schließlich sind die Mieten in München teuer – und der Traum von einer leeren Fünf-Meter-Wand und nur einem Sofa daran stehend wahrscheinlich für immer ziemlich weit weg.

Ein wahrer Minimalist würde in meiner Wohnung höchstwahrscheinlich also erschlagen umfallen. Denn irgendwie steht dann doch noch ziemlich viel Kram rum. Bücher beispielsweise – jede Menge. Magazine, die ich lese und aufhebe. Eine Yogamatte im Eck, Schuhe überall. Nicht nur zur Deko, sondern weil ich wirklich verdammt viele Sneaker besitze. Brauchen tut man dann ja doch eigentlich nur ein, vielleicht zwei Paar. Und während ich noch überlege, was ich denn als nächstes Ausmisten kann, stolpere ich über einen Artikel der Zeit zum Thema Minimalismus.

„Besitz belastet, sagen die neuen Minimalisten. Sie wollen alles wegtauschen, verkaufen, loswerden. Was für ein Unsinn!“

Ehm doch, möchte ich dem Autor dieses Artikels entgegenschreien. Genauso ist es. Das war nicht immer so, aber seitdem Mode auch mein Beruf ist, passiert es immer wieder, dass ein neues Beautyteil eher schwer als leicht in meiner Wohnung wiegt.

Tatsächlich aber beleuchtet der Artikel einmal die andere Seite – die, der Nicht-Minimalisten. Denn seien wir mal ehrlich, so ein bisschen Minimalismus-Wut kam alle über uns in den vergangenen Jahren. Minimalismus hier, 5 Pieces Wardrobe hier, Magic Cleaning dort und am Ende der Verzicht. Wer nichts besitzt, ist reicher, weil er sich mit sich selbst auseinandersetzt. Weil er flexibel ist und seinen ganzen Hausstand in einem Koffer zusammenpacken und ans andere Ende der Welt reisen kann.

Das funktioniert bei mir tatsächlich nicht – und nach der Lektüre des Artikels leuchtete mir auch ein, dass das okay ist. Dass es sogar schön ist. Denn meine vier Wände, meine Wohnung machen mich auch ein bisschen aus. Jeder, der mich besucht, bekommt einen Hauch Antonia zu spüren. Und wie soll das funktionieren, wenn nichts persönliches drin steht. Kein Buch, kein Magazin, keine Tasche.

In Krisenzeiten neige ich dazu, noch mehr Minimalist zu sein. Ich möchte alles wegschmeißen, um mich zu befreien, von schlechten Gefühlen, Erinnerungen und oberflächlichem Materialismus. Aber wie sagte meine Mama so schön: „Alles wegzuwerfen bringt nichts, denn die Dinge, auch wenn es nur Dinge sind, machen dich auch ein bisschen aus. Sie sind nicht der Spiegel zur Seele, aber sie gehören zu dir. Mode ist eben deine Leidenschaft.“

Tatsächlich: Dinge sind nur Dinge. Aber sie lösen oder haben irgendwann irgendetwas in einem ausgelöst. So sehr, dass man es haben musste. Manche mehr, manche weniger. Die Dinge, die einem nicht so sehr am Herzen liegen, von denen trennt man sich. Die gemeinsame Zeit ist dann zu Ende. Manche lässt man vielleicht zu schnell rein, manche kommen langsamer an, manche sind da und werden erst später geliebt. Wichtig ist, dass man sich nicht über diese Dinge identifiziert. Aber das ist ja wie in allen guten Beziehungen – man sollte nicht über den Partner existieren, sondern mit ihm – unabhängig Seite an Seite.

„Aus der Bindungsforschung ist bekannt, wie wichtig dauerhafte und enge Beziehungen für ein glückliches Leben sind.“ – Aus dem Minimalismus-Artikel aus der ZEIT

Und so ist es völlig okay, ob als Minimalist oder Nicht-Minimalist Dinge zu besitzen. Sie zu begehren, sie zu zelebrieren. Wahrscheinlich gilt es hier wie immer und überall im Leben: Mittelmaß ist der richtige Weg. Wer sich jeglichen Konsum verbietet und dafür in geistige Sphären flüchtet oder den Konsum der perfekten Designerlampe zur Marathon-Suche macht, lebt eben auch nicht das Mittelmaß.

Also miste ich weiter fleißig aus – doch das Abiballkleid darf bleiben. Ich werde es wohl nie mehr anziehen, weil Pailetten und Petticoat (warum?!), aber vielleicht freut es später meine Tochter. Wenn wir dann gemeinsam auf dem Design-Sofa vor der leeren Wand sitzen, kann ich ihr eine schöne Geschichte erzählen.

 

 

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8 Antworten zu “Kolumne: All you need is less – oder etwa doch nicht?”

  1. Gutes Thema! Ich glaube, ich bin eine genauso „schlechte“ Minimalistin, wie ich auch bestimmt eine „schlechte“ Feministin bin – ich habe viel zu viele Bücher, zum Beispiel (Argument für Punkt 1 ;D) Ich habe immer noch diesen alten Globus von meinem Opa (in einer Umzugskiste! Igitt!), von dem ich mich nicht trenne. Obwohl er nicht sonderlich toll aussieht und Opa wird davon nicht mehr lebendig. Der gute Minimalist sagt: Material und Erinnerungen an einen Menschen haben nichts miteinander zu schaffen – oder sollten es nicht. Der Globus ist immer noch da.
    Ich finde das Thema spannend, leider ist es in letzter Zeit, wie alles, in den Trendmixer gefallen und man möchte sich überbieten. Wer hat weniger Schuhe, die weißeste Wand der Stadt und scheinbar auch das reinste Gewissen. Ich verkaufe auch gerade ein paar Sachen auf ebay, die ich nicht mehr benutze. Aber deswegen muss man nicht sein ganzes Leben in einen Koffer packen können, weil es sich „so gehört“
    LG :)

  2. Ich finde du vermischt ein wenig Minimalismus und ein cleanes Design. Nur weil drei Möbel im Zimmer stehen und alles simpel ist, können sich ja trotzdem Berge an Zeug in Schränken häufen. Wenn eine täglich benutzte Yogamatte in der Ecke liegt, ist das vielleicht nicht clean, aber doch trotzdem minimalistisch (sofern nicht drei weitere im Keller sind ;))
    Einen interessanten (muss man mit Humor nehmen) Artikel habe ich im Guardian gelesen, die/der Autorin beschreibt den Minimalismus als Phänomen der Reichen, a la „schaut her ich habe das Geld um mir nur ein einziges Möbelstück für 3000€ zu kaufen“ – mal ne ganz andere Sicht auf das Thema! :D

    • Da hast du recht. Aber das ist wahrscheinlich auch die Crux am minimalistischen Lebensstil. Weil ich beispielsweise schon schaue, nicht 12 schwarze Mäntel zu haben oder fünf Yoga Matten ;) gleichzeitig aber trotzdem Dinge besitze, die ich nach minimalistischem Standard eigentlich nicht brauche ;) aber es ist eben okay, auch Opas Globus im Wohnzimmer stehen zu haben oder zwei schwarze Mäntel. Der Minimalist lebt wahrscheinlich vorwiegend in einem cleanen Rahmen – somit geht beides einher.
      Das Thema mit dem Lebensstil der Reichen reißt der Zeit-Artikel auch an – und das stimmt natürlich auch ein bisschen. Der Designertisch für 10000 Euro ist eine nochmal ganz andere Art von Konsum.

  3. Liebe Antonia,

    ich habe den Artikel auch gelesen und fand ihn ganz spannend. Diese ganze Minimalismus-Welle nervt mich mittlerweile auch. Es gibt Dinge, die möchte ich einfach behalten. Bücher, Urlaubserinnerungen, Ohrringe, die mir meine Freundin mal geschenkt hat und die ich eigentlich kaum noch trage.
    Wahrscheinlich gilt auch hier wieder der gesunde Mittelweg. Nicht zu viel Kram anhäufen und sich auch mal von Dingen trennen können, aber sich auch nicht schlecht fühlen, wenn man etwas nicht direkt entsorgen will, weil es keinen „Nutzen“ mehr hat.
    Liebe Grüße

  4. Liebe Antonia,
    also ich wäre grds gerne minimalistischer und fühle mich von meinem ganzen Kram manchmal erschlagen (meine Eltern finden hingegen meine Wohnung „leer“). Andererseits zeigen gerade die unnütz herumstehenden Dinge etwas von der Persönlichkeit der Bewohnerin, zu minimalistisch kann auch unpersönlich wirken und hat dann eher Hotelzimmer -Flair.

  5. Liebe Antonia,
    ich halte ein gesundes Mittelmaß in allen Dinge ebenfalls für den besten Weg. Ich habe auch Phasen, wo es für mich wichtig ist, auszumisten, wegzuwerfen und Freiraum zu gewinnen. Und in anderen Momenten spielt das gerade keine Rolle, weil ich mit etwas anderem beschäftigt bin. That’s life!
    Herzliche Grüße
    Birgit

  6. Liebe Antonia,

    ich habe mich sehr in diesem Beitrag wiedergefunden und danke dir für die Veröffentlichung. Vor ein paar Tagen habe ich diesem Zwiespalt aus Persönlichkeitsverwirklichung und Minimalismusstreben (weil das auch irgendwie zu eben dieser Entfaltung gehört für mich) einen Artikel geschrieben (diesen hier: https://mehralsgruenzeug.com/aesthetikliebe-und-selbstgeisselung/), aber die Thematik aus einer etwas anderen Perspektive beleuchtet. Dabei schwingt das, was du hier so schön auf den Punkt gebracht hast, allerdings immer mit – und ich freue mich, dieselben Gedanken, die auch ich mir immer wieder mache, hier einmal aufgeschrieben zu sehen, in einer Deutlichkeit, die ich für mich bisher nicht klargekriegt habe.

    Liebe Grüße
    Jenni

  7. Hallo liebe Antonia,
    ich kann mich gerade voll mit deinem Beitrag identifizieren. Ich bin auch ganz hin- und hergerissen zwischen Hobbykram und Leidenschaft einerseits und dem Wunsch vom leeren Stringregal und einem einzigen Koffer voller Halbseligkeiten andererseits. Minimalismus ja, aber bitte nicht als Zwang! Das muss ich mir immer selber wieder ins Gedächtnis rufen. Dazu kommt dann noch das ökologische Gewissen, welches mir zusätzlich im Nacken sitzt. Meinen Kleiderschrank füttere ich mittlerweile nur noch Second Hand (witzigerweise trage ich gerade deinen aussortierten Maja Wyh X Edited Rock, Danke dafür nochmal – ich liebe ihn unendlich). Aber in so vielen Bereichen des Lebens denke ich immer wieder: Das solltest du besser machen (z.B. weniger Avocados essen oder nur noch plastiklose Gemüsesorten kaufen). Aber: Ich finde, dass alleine schon die Erkenntnis des Zuviel ein großer Schritt ist, denn wenn man aus seiner Minimalismus-Filterblase aussteigt, erkennt man, dass die Menschen in 99% der Fälle über viele Dinge noch nicht einmal nachdenken und den eigenen Gefühlen des Fehlverhaltens nur mit Fassungslosigkeit gegenüber stehen (so nach dem Motto: „Hä, warum nimmst du keine Plastiktüte beim Einkaufen, die kostet doch nur 10 Cent!“). Kurz gesagt: Jeder Minischritt zählt. Und, dass du das Thema Minimalismus/Balance finden thematisierst, ist ein weiterer Minischritt in die richtige Richtung. So kommt der bewusstere Konsum ein wenig aus der Ecke „radikale Verweigerung“ und vielleicht findet sich die ein oder andere noch gefallen am gemäßigten Minimalismus. Danke für den Artikel – gerne mehr davon! :)

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