Was, wenn ich die Karriereleiter nicht erklimmen möchte? Über den Druck von Außen und Innen

13. März 2024 von in ,

Dieser Artikel ist zuerst im Mai 2023 erschienen.

Wohin fährt denn dein Karrierezug? Ach, JETZT schon Endstation? Aber du hast doch noch gar nicht die Weltherrschaft an dich gerissen? – Fühlen sich bestimmte Gespräche auch für dich so an? 

Die große Karriere, das scheinbar große Lebensziel vieler Menschen, die ihren Beruf lieben, oder derjenigen, die ihren Beruf tatsächlich einfach ausüben. Denn wer die Chefinnenposition nicht anstrebt, spürt schnell die Blicke der Empörung. Liebt man seinen Job dann eigentlich aufrichtig?
Eine der vielen Fragen, die man sich im Laufe der Karriere gerne einmal stellt. Doch was, wenn man merkt, dass sich das Erklimmen der Karriereleiter einfach nicht richtig anfühlt? 


Mein Text richtet sich an diejenigen, die beim Gedanken an einer steilen Karriere, einer Führungsposition und viel Verantwortung im Job schon immer ein flaues Gefühl im Magen spürten. Diejenigen, die unbeschwert und zufrieden mit diesem Weg sind, euch will ich nur eines sagen: Macht genauso weiter! Das ist euer Weg und für euch gemacht. Aber eben nicht für alle. 

Das klingt zwar jetzt etwas nach Kalenderspruch, aber bringt eben viel Wahrheit mit: Wer Vollzeit arbeitet, verbringt mehr Zeit auf und mit der Arbeit, als mit seinen Liebsten. Daher ist es unabdingbar, sich wohlzufühlen: Ob mit den Menschen, mit den Aufgaben, mit der Atmosphäre, oder eben mit dem Platz, den man sich dort erschaffen möchte.

 

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Unglückliche Karriere oder glückliche Berufung

Sich von einer Beförderung zur nächsten schlängeln, immer mehr Verantwortung, (niemals anerkannte) Überstunden, und (wenn es gut läuft) auch immer mehr Geld auf dem Konto. Das klingt verlockend, nicht? Für mich klang das eine lange Zeit eher wie die Hölle auf Erden. 

Ich habe einige (zu viele) Jahre in einem Job verbracht, der mich nicht nur überforderte, weil er mich unterforderte, sondern mir auch jeglichen zwischenmenschlichen Nerv raubte. Die Tätigkeitsfelder waren weit entfernt von meinen Talenten, die Menschen um mich herum wollten nur eines: die große Karriere. Und mittendrin war ich. Unterbezahlt, unmotiviert und auf der Suche nach etwas Größerem – und das war nicht die nächste Hierarchie-Ebene.

In diesem halbwegs modernen Gebäude ging es immer rau-rasch her. Manchmal stiegen Menschen in einen knallengen, traurigen Aufzug und begrüßten sich nicht einmal. Wer grinst, verliert. Es wurde gelästert, gekämpft, gehasst, nebenher wurde gearbeitet. Außer an den Weihnachtsfeiern, da lagen sich alle glückseelig in den Armen.

Während ich zu Beginn dieser „Karriere“ an einem Dienstag – mal wieder – in meine Kaffeebrühe schielte, um mich bloß keiner Konversation auszusetzen, sprach jemand das Thema „Feedbackgespräche“ an. Was so toll klingt, heißt in manchen Unternehmen  etwas wie: „Lob gefälligst deine Vorgesetzt:innen und sag, dass du hier große Pläne hast!“

Sofort kam Panik in mir auf. Was soll ich sagen? Ich möchte nicht „weiterkommen“, sondern einfach dort bleiben, wo ich bin: unauffällig, unbekannt. Aber dann könnte man mich als faule Mitarbeiterin bezeichnen, die keine Ziele im Leben verfolgt. Dabei hatte ich große Ziele, nur eben nicht dort. Während bei meinen Kolleg:innen schon mal Tränen flossen, weil die Beförderung in der Signatur nicht mehr erwähnt werden sollte, saß ich nur dort und dachte: Wie komme ich hier wieder raus? 

Einige Gründe, weshalb ich nie Karriere in einem großen Unternehmen machen wollte: 

  1. Weil ich sehr sensible Ellenbogen habe, die niemals ausgefahren werden – weder privat noch beruflich.
  2. Weil ich erzwungenen Small Talk in Bürogebäuden verabscheue (und nicht beherrsche: Mein Wetter-Wortschatz ist ziemlich begrenzt).
  3. Weil ich mir gerne aussuchen möchte, mit wem ich meine Feierabende verbringe und wofür ich am Abend meine „Social Battery“ aufbrauche.
  4. Weil ich sehr gerne nett und offen bin, manchmal zu viel von meinem Privatleben teile, was mir jedes Mal, wirklich jedes Mal, wieder auf die Füße gefallen ist.
  5. Weil ich einfach nie das Verlangen nach einer großen Karriere im Konzern spürte.

Auch hier lässt es sich nicht pauschalisieren. All diese Klischees, wie beispielsweise der Ellbogen-Kampf, gelten natürlich nicht für alle großen Unternehmen. Ich spreche nur von meinen Erfahrungen und den Erfahrungsberichten, den ich in den vergangenen Jahren aufmerksam zugehört habe. 

Wie sich der Blick auf die Karriere veränderte

Dabei hing meine, nennen wir sie mal Null-Bock-auf-Karriere-Einstellung, eher damit zusammen, dass ich nicht meiner Bestimmung folgte, sondern einfach einen Job machte, der sich so ergab und der von der Außenwelt positiv aufgenommen wurde: „Super, das ist mal ein sicherer Job“, oder, wenn ich auf einer Party von meinem Job erzählte: „Mega, klingt nach einem echten Traumberuf!“. All diese Worte bestärkten mich kurzfristig. Irgendwann entschied ich mich dazu, etwas zu verändern: Ich wollte lieber als Freiberuflerin arbeiten, kreativer sein, andere Ziele verfolgen. Trotz meiner dreimonatigen Kündigungsfrist und sehr, sehr vielen Fragen, erzählte ich bis zu meinem letzten Tag niemanden, wo meine Reise hingeht. Ich wusste einfach, dass es für mich das Richtige war. Für mich ganz allein.

Heute könnte mir in meinem Job keine Verantwortung zu groß sein, ich würde mich gerne ununterbrochen mit den Menschen unterhalten, mit denen ich zusammenarbeite, kaum ein Projekt könnte mich abschrecken. Ich habe mittlerweile auch schon Führung (schreckliches Wort) übernommen, wieder abgeben und so weiter. Aber ich strebe dabei nicht eine Sekunde nach dem höchsten der Möglichkeiten in meinem Beruf, sondern einzig danach, das zu tun, was sich für mich gut und richtig anfühlt. Bin ich jetzt neuerdings also ein Karriere-Mensch geworden, mit dem Ziel, immer höher zu klettern? Nein. Ist es mein Ziel, das zu tun, was ich liebe und nie mehr damit aufzuhören? Oh ja. 

Der Erfolg der anderen sollte keinen Druck ausüben

Frauen, heute bei ihren erfolgreichen Karrieren zuzuschauen, ist einfach nur schön und inspirierend. Die Stimmung kippt erst, wenn in einem selbst Druck entsteht. Das passiert meist dann, wenn wir uns nicht sicher sind, was wir wollen – oder nicht ganz ehrlich zu uns selbst sind. Wenn wir wissen, wir wollen die Spitze erreichen, dann setzten wir alles dafür in Bewegung*, trotz der mitschwingenden Angst, und lassen uns am Beispiel anderer inspirieren und motivieren. Wenn das alles aber nicht mal unser Ziel ist, dann können wir uns eigentlich entspannt zurücklehnen und unsere Mitmenschen anfeuern. 

*Nicht zu vergessen: Natürlich spielen hier ebenfalls Privilegien und soziale Gerechtigkeiten eine immense Rolle.

Der Druck von Außen kann erdrückend sein

Das ist immer einfacher gesagt als getan. Denn der Druck, der der sich aufbaut, kann besonders im beruflichen Umfeld erdrückend wirken. Wenn im eigenen Team alle anderen über die Jahre befördert werden, sich beruflich neu positionieren, während man selbst immer noch in seinem eigenen Stuhl sitzt, eben weil man es möchte, bekommt man von anderen nur mitleidige Blicke zugeworfen. Es wird meist ungefragt davon ausgegangen, dass es sich um eine traurige Position handelt. Und man kann leider nicht durch die Büroräume laufen und schreien: ICH WILL DAS DOCH GAR NICHT! 

Es würde aber reichen, wenn wir uns selbst damit arrangieren: Wir sind nicht alle gleich. Wir sind nicht alle dafür gemacht, die „große Karriere“ zu verfolgen. So wie es einigen die Energie stiehlt, schenkt dieser Weg den anderen die nötige Energie. Lassen wir ihnen doch den Vortritt. Und nicht die Karriereleiter erklimmen zu wollen, heißt nicht in Abhängigkeiten zu leben, wenig verdienen zu müssen oder nicht arbeiten zu wollen. Ganz im Gegenteil.

 

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„Du passt ohnehin nicht in eine Führungsposition“

.. hieß es einmal, als ich von meinen Nicht-Plänen berichtete. Gut, dachte ich mir. Das will ich hier auch gar nicht. Doch die Begründung, die zugegeben auch an meinem kümmerlichen Ego kratzte, finde ich teilenswert. Es hieß damals, dass ich zu „nett“ sei. Zu viel „lachen würde“, zu „nah an meinen Kolleg:innen“ wäre, „zu gutgläubig“.

Gehen also immer noch manche Menschen davon aus, nur Mitarbeiter:innen ohne jegliche Empathie können Führung übernehmen? Das ist absoluter Schwachsinn. Natürlich darf man im Job auch eine seriösere Maske auflegen, aber man kann und sollte seinen Charakter nicht verändern. Und will man wirklich in einem Job an die Spitze kommen, in dem Empathie oder das freundliche Wesen als Schwäche gesehen wird? Es gibt genügend andere Arbeitgeber:innen, die sich um genaue diese Seite reißen.

Wir können unsere Jobs lieben und trotzdem 1000 Dinge lieber machen

Es gibt sicherlich auch immer noch Unternehmen, bei denen es eher darauf ankommt, sich besonders gut zu präsentieren, als mit Leistung und Leidenschaft für den Job zu überzeugen. Ich bin froh, dass ich als Freiberuflerin in verschiedeneren Unternehmen erkennen durfte, dass diese Verkaufs- und Ellenbogen-Mentalität sich so langsam aber sicher dem Ende zuneigt. Das wurde aber auch Zeit, denn nicht jede:r ist dafür gemacht, sich selbst ständig zu beweisen. 

Wer Karriere machen möchte, sollte sie sich durch gute Leistung, Empathie und Motivation auszeichnen. Führungs-Workshops können hinterher immer noch belegt werden. Ich hatte immer viel mehr Respekt vor den Karrieremenschen in Unternehmen, die mit ihrem Wissen und ihrer freundlichen Art beeindruckten. An deren Büros habe ich mit meinem Anliegen und mit meiner Frage immer gerne geklopft. 

Gen Z und ihre Arbeitsmoral

Der Generation Z wird heute oft vorgeworfen, sie „wissen nicht mehr, was Arbeit sei“. Gen Z würde sich ausruhen, auf der Arbeit ihrer Vorgänger:innen. Sie würden keine steilen Karrieren mehr anstreben: faul, lustlos, überheblich. Dabei hat die Generation nur ein enormes Bewusstsein für mentale Gesundheit und dem Streben nach den eigenen Wünschen entwickelt. Das klingt für mich äußerst positiv.*Zudem kann man die Karrieremöglichkeiten, die junge Menschen heute haben, nicht mehr mit denen der älteren Generation vergleichen. Wenn unsere Urgroßeltern eine anerkannte Ausbildung im Büro absolviert hatten, waren sie mit Mitte 20 in der Lage, sich ein großes Haus zu leisten. Darüber können wir heute nur verzweifelt lachen.

*Zusätzlich ist mir natürlich bewusst, wie maßgebend es ist, dass viele Menschen ihren „Spaß“ hinten anstellen und sich für systemrelevante Berufe, beispielsweise in der Pflege, entscheiden. Und das, obwohl diese Jobs die Belastungsgrenze aller Ausübenden überdehnen. Das sind Berufe, die mit vollem Herzblut ausgeübt werden, doch durch das System immer unbeliebter werden. Doch ohne diese Menschen wären wir verloren. Hier stehen weder die eigenen Wünsche, noch die Karriere oder der pure Spaß oben auf der Liste, sondern Hilfsbereitschaft, Nächstenliebe, Unermüdlichkeit und der Wunsch nach Veränderung. Umso wichtiger ist es, dass auch diese Menschen auf ihre mentale Gesundheit achten und das eigene Bewusstsein niemals vernachlässigen. Auch hier gilt: einfacher gesagt als getan.

Eine Karriere für andere Menschen 

Wenn man also inmitten der Karrieremenschen steht, aber sich nicht ganz so wohlfühlt, kann man sich die Frage stellen, wofür man so verbissen nach all dem schnaubt. Macht man das, um es anderen – der Familie, den Freunden, den „Menschen, die nie an einen geglaubt haben“ – zu beweisen, oder macht man es, weil es sich richtig anfühlt. Letzteres wäre der einzig plausible Grund, den es auch unbedingt nachzuverfolgen geht. Schmetterlinge im Bauch bedeutet Loslaufen. Flaues Gefühl im Magen bedeutet Hinterfragen. 

 

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Am Ende müssen wir damit leben

Am Ende des Tages, sollten wir in keinem Lebensbereich etwas tun, um anderen zu imponieren. Nach Feierabend kehren wir mit uns selbst zurück auf unsere Couch, mit einem Gefühl, mit dem wir völlig allein sind. Weder der Stolz unserer Eltern, noch die Bewunderung unseres Umfeldes, noch der Titel können ein schlechtes Gefühl aufwiegen. Die Arbeit sollte also im besten Fall nicht der Signatur schmeicheln, sondern uns selbst.

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3 Antworten zu “Was, wenn ich die Karriereleiter nicht erklimmen möchte? Über den Druck von Außen und Innen”

  1. Danke für diese Darstellung der Sichtweise auf Karriere und Beruf. Ich denke es gibt viele, die zunächst denken, sie wollen oder müssten eine Führungskraft anstreben. Karriere kann aber auch fachspezifisch gedacht werden. Nicht immer ist eine Führungsrolle nötig, um weiterzukommen. Und weiterkommen darf ja gerne auch individuell definiert werden 😊

  2. Danke für diesen tollen, reflektierten Artikel! Er kam genau im richtigen Moment für mich und hat mir Klarheit gegeben. Liebe Grüße!

  3. Wie kommt man darauf, dass Karriere ein Muss ist? In manchen Berufen wie Lehrer/inkann man auch keine Karriere wirklich anstreben, man ist am Ende Lehrer/in. Lol
    Wir Frauen haben halt sowieso Jahrhunderte lange keine Karriere gemacht. Glaube, die Autorin hat sich selbst ein Bild eingeredet, welches eigentlich gar nicht so gibt. Von den meisten Menschen auf der Welt wird keine Karriere von einer Frau erwartet.

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