Der Fall Jina Mahsa Amini: Wenn der Frauenkörper nicht der Frau gehört

24. September 2022 von in

Am 16. September verstarb die Kurdin Jina Mahsa Amini. Die 22-Jährige war zu Besuch in der iranischen Hauptstadt Teheran, wo sie von der „Sittenpolizei“ verhaftet wurde – weil sie gegen die islamische Kleiderordnung, die im Iran gesetzlich vorgeschrieben ist, verstoßen haben soll. Was nach ihrer Festnahme passiert ist, ist unklar. Ihre Familie berichtet davon, dass die Polizei Gewalt angewendet habe. Röntgenaufnahmen zeigen Knochenbrüche, Blutungen und ein Hirnödem, Aktivisten zufolge starb sie an einem Schlag auf den Kopf. Die Behörde verneint dies und behauptet, dass Jina Masha Amini während ihrer Haft einen Herzinfarkt erlitt.

Als ich vor ein paar Tagen zum ersten Mal von Jina Masha Amini las, wusste ich nicht wirklich, wie ich reagieren soll. Denn der Fall Jina Masha Amini ist nicht der Einzige seiner Art. Regelmäßig kommt es in dem Iran zu Gewalttaten wie der an Amini. Auch in anderen Ländern, in denen erzkonservative und radikal-religiöse Machthaber an der Spitze der Regierung stehen, liest man häufig von ähnlichen Ungerechtigkeiten an Frauen. 

Das Schicksal von Jina Mahsa Amini ist kein Einzelfall. Denn der Körper einer Frau gehört offensichtlich auch heute nicht wirklich ihr. 

Das iranische Strafgesetzbuch

Als ich die letzten Tage mehr über den Fall las und mir Interviews und Artikel von den verschiedensten Stimmen anschaute, brannte es mir unter den Fingern. Ich wollte auch irgendwas tun. Aber manchmal, da kann man gar nichts machen. Denn ich sitze hier in Deutschland und auch wenn ich durch meine Erziehung und Herkunft ebenfalls mit Kleidervorschriften konfrontiert war (und bin) – der Kampf, den die Frauen im Iran kämpfen, der ist ein ganz anderer. 

Seit der islamischen Revolution im Jahre 1979 sind Frauen im Iran gesetzlich dazu verpflichtet, ihre Haare zu bedecken und ihre Körper zu verschleiern. Es ist nicht einfach nur ein gesellschaftlicher Druck – die iranische Regierung will mit allen Mitteln ihre menschenfeindlichen Gesetze forcieren. 

Im iranischen Strafgesetzbuch tummeln sich so einige Regelungen, die definitiv gegen die Würde des Menschen, so wie wir sie verstehen, verstoßen. Da wäre zum Beispiel das Auspeitschen oder auch die Todesstrafe. Diese stechen hervor, weil sie besonders brutal sind. Aber im Alltag der iranischen Frau spielt besonders die Pflicht zum Tragen des Kopftuchs eine übergeordnete Rolle. Sie verfolgt sie auf Schritt und Tritt. 

Egal wo man hingeht, oder was man tut. Sobald eine Frau sich im Iran in die Öffentlichkeit begibt, muss sie sich verschleiern. Und das unabhängig von ihrem freien Willen. Sie muss sich nicht nur verschleiern, weil die Eltern oder Bekannte es von ihr erwarten – was für sich genommen schon schlimm genug ist – sondern weil sie sonst staatlich verfolgt wird. 

Die Frau als Verführerin 

Kopfbedeckungen und Kleidervorschriften gibt es in zahlreichen Kulturkreisen und Religionen. Manchmal auch für Männer. Allerdings sind Frauen quasi durchweg unverhältnismäßig stärker von ihnen betroffen. Die Hintergründe sind zahlreich und komplex. Im modernen Hier und jetzt ist es aber oftmals das Narrativ der Frau als Verführerin, mit dem Kleidervorschriften begründet werden. 

Frauen müssen sich „gesittet“ kleiden und Männer erfüllen ihren Part, wenn sie wegschauen – so wurde es mir beigebracht. Die Handlungsschuld liegt bei der Frau. Sie muss sich „benehmen“, dann wird sich auch benommen. Dabei geht es um Kontrolle. Kontrolle der Gesellschaft durch die Kontrolle der Frau.

Ihrem Körper wird eine Wirkung angelastet und zwar die der Verführung – und um diese in Schach zu halten, muss sie sich eben verhüllen. Es sind im Iran dabei nicht nur die Kleidervorschriften an sich, sondern auch die Aggressivität in der sie umgesetzt werden, die für schreckliche Vorfälle sorgen.

Nur ein Tuch, nur ein Körper

Die Vehemenz, mit der das Kopftuch-Gebot durchgesetzt wird, scheint mir absurd. Im Endeffekt ist es doch nur ein Tuch? Und der Körper der Frau nur ein Körper? Aber trotzdem musste Jina Amini dafür sterben, dass sie sich nicht ordnungsgemäß an die sexistischen und frauenfeindlichen Vorschriften des Irans gehalten hat.

Ich denke, wir sind uns alle einig, wenn ich sage: Inwieweit man sich verhüllt oder wie man sich überhaupt anzuziehen hat, sollte jede Person für sich entscheiden dürfen. Vorbei soll die Zeit sein, in der Frauenkörper politisiert werden – egal ob von Staat, Familie oder der Gesellschaft. 

Aktuell findet im Iran eine Protestwelle von selten dagewesenem Ausmaß statt. In der Provinz Kurdistan haben die Proteste angefangen und sich von dort aus ausgebreitet. Frauen nehmen aus Protest ihr Kopftuch ab, verbrennen es oder schneiden ihre Haare an. Und nehmen in Kauf, für die Freiheit zu sterben. Die Proteste ebben nicht ab, mittlerweile wurden Instagram und WhatsApp im Iran blockiert, um die Vernetzung von Demonstranten zu erschweren und Protestvideos von Frauen zu unterbinden. Mittlerweile sind bei den Protesten schon mehrere Menschen gestorben, Sicherheitskräfte setzen Schusswaffen ein.

Was diese Proteste bewirken, werden wir in der kommenden Zeit von unseren heimischen Sofas aus betrachten können. Für uns hier ist dabei klar, dass Frauen sich so anziehen dürfen, wie sie wollen. Egal ob sie sich verhüllen oder entblößen wollen.

Auf der anderen Seite der Welt sie das ganz anders aus. Wie selbstverständlich das sich Unterordnen einer Frau für Regimes wie das iranische ist, hat man kürzlich in einem Instagram Post von der CNN-Journalistin Christiane Amanpour nachlesen können. Sie berichtet von einem geplanten Interviewtermin in New York mit dem iranischen Präsidenten Ebrahim Raisi, der nie stattgefunden hat. Grund: Sie wurde kurz vor dem Interview dazu gebeten, sich ein Kopftuch aufzusetzen – aus Respekt. Nur so hätte man das Gespräch führen können. 

Obwohl Amanpour sich nicht auf iranischem Boden befunden hat, schien es für den Staatspräsidenten ganz natürlich, sie dazu aufzufordern, ein Kopftuch zu tragen. Denn scheinbar müsse sie sich danach richten, was er als respektvoll oder gesittet betrachtet. Dass es äußert respektlos ist, sich in die Kleiderwahl einer fremden Person einzumischen, schien ihm dabei nicht aufgefallen zu sein. Vielleicht, weil sie eine Frau ist und ihre persönliche Meinung zur Kleiderwahl dadurch ohnehin an Wert verliert? Wer weiß.

 

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Der Fall Jina Mahsa Amini ist kein Einzellfall und nicht das erste Mal, das eine Frau in einem Regime wie dem Iran bis zum Tode unterdrückt wird. Doch die Protestwelle, die gerade aus ihrem Schicksal hervorgeht, reich um die ganze Welt. In den letzten Jahren haben wir gesehen, welche Schlagkraft aus einer solchen Protestwelle entstehen kann, was es Bewirken kann, Aufmerksamkeit zu erregen, zu informieren und sich solidarisch zu zeigen, welchen nachhaltigen Einfluss Bewegungen wie #metoo entwickelt haben. Wir werden sehen, welchen Effekt der Nachhall dieses Falles noch haben wird.

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2 Antworten zu “Der Fall Jina Mahsa Amini: Wenn der Frauenkörper nicht der Frau gehört”

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