Irena Haiduk auf der Documenta: Freizeit ist Arbeit ist Freizeit
Dauernde Erreichbarkeit, Business-Parties, After-Work-Drinks, Büro-Whatsapp-Gruppen, Homeoffice und Socializing: Die Grenze zwischen Arbeit und Freizeit ist verschwommen wie nie zuvor. Was macht das mit uns und was können wir tun? Kunstfetischist*innen aufgepasst: Die serbische Künsterlin Irena Haiduk macht auf der Documenta 14 in Kassel eine Menge spannende Fässer auf – mithilfe von Mode.
Für ihr Modelabel „Yugoexport“ hat sie eine Uniform für alle Documenta-Mitarbeiterinnen konzipiert, das aus einem Kleid und Schuhen besteht. Die Schuhe haben eine lange Geschichte: Das Modell wurde in den 60er-Jahren in Jugoslawien als Arbeitsschuh für alle Frauen im öffentlichen Dienst konzipiert. Der Schuh ist ergonomisch und wurde auf einen 9-Stunden-Arbeitstag im Stehen angepasst. Als Jugoslawien 1991 zu Kriegsgebiet wurde, wurde die Produktion eingestellt.
Dasselbe Modell – in der selben Fabrik im heutigen Kroatien hergestellt – kann man nun, genauso wie das passende Kleid, auf der Documenta kaufen. Der Preis ist flexibel, je nach Einkommen. Mit dem Kauf der Schuhe verpflichtet man sich, einen Vertrag zu unterschreiben, in dem man sich bereit erklärt, die Schuhe ausschließlich während der Arbeitszeit zu tragen. Auf diese Art und Weise ist man gezwungen, sich genau zu überlegen, wann man arbeitet – und wann nicht. Das ist ein Skill, den man heute erst wieder lernen muss. Und Mode kann dabei helfen: Die eher als unangenehm empfundene Idee der Uniform wird fast schon wieder progressiv, wenn man sich vor Augen führt, dass (angesagte) Mode im Grunde nichts anderes ist. Haiduk sagt dazu: “Es ist doch eine Illusion, dass wir frei wählen können, was wir anziehen. In Wahrheit tragen wir das, was Großkonzerne für uns aussuchen. Das ist viel uniformer als das, was wir als Kleidung für Frauen entwickelt haben.“ Und wenn man bedenkt, dass sie ihre Mode ohne Profit und in kleinen Mengen vertreibt, dann stimmt das tatsächlich.
Wann arbeiten wir, wann haben wir Freizeit?
Das ist eine Kritik an einem modernen Arbeitsbegriff, der es beinahe unmöglich macht, nicht zu arbeiten. Die Momente der wirklichen, eindeutigen Freizeit werden immer seltener, je hipper der Job ist. Das ist das westliche Arbeitsleben im 21. Jahrhundert: Man wird selbst zum Unternehmen, das Vermarkten hört nie auf. Die Uniform steht für einen Arbeitsbegriff, der (außer in bestimmten Berufsgruppen) im wahrsten Sinne des Wortes außer Mode gekommen ist. Ist also ein Rückschritt zu einer eindeutigeren Trennung von Arbeit und Freizeit wünschenswert, die früher Gang und Gäbe war? Arbeitszeit ist inzwischen auf allen Ebenen, auch auf der modischen, unsichtbar – und zwar so sehr, dass wir oft selbst nicht mehr wissen, ob wir gerade privat oder geschäftlich handeln. Sie wieder eindeutiger zu machen, kann emanzipieren – von ständiger Verfügbarkeit, Vermarktung und einem unbewussten Handeln aus reinem Arbeitsinteresse. Und auch wenn wir uns in unseren Irgendwas-mit-Medien-Jobs vermutlich keine Uniformen zulegen werden, ist es ein wichtiges Gedankenspiel, Arbeit und Freizeit wieder als zwei voneinander getrennte Bereiche anzusehen.
Wenn man sich mit der Arbeit der 1982 geborenen Künstlerin genauer befasst, kommen zahllose spannende Ebenen mehr zum Vorschein – auch auf der Documenta gibt es neben ihrer Mode auch Lesungen, eine Performance und eine Art Manifest, in Stein gemeißelt, zu sehen. Liebe kunstaffine Modefans, ab nach Kassel! Die Documenta 14 findet noch bis zum 17. September statt und bietet hochpolitischen kreativen Input für mindestens zwei volle Tage.
Eine Antwort zu “Irena Haiduk auf der Documenta: Freizeit ist Arbeit ist Freizeit”
Die Borosana-Schuhe kenne ich noch aus dem ehemaligen Jugoslawien; dort trugen (und tragen!) sie vor allem Kellnerinnen, da sie wirklich sehr bequem sind.
Schön ist allerdings nichts an ihnen… ? und zu einem konservativen Kostüm, wie es auf Messen oft getragen wird, sehen sie durch die Peeping Toes echt verboten aus