Internalisierte Misogynie: die anderen Frauen und ich
Es gibt dieses Kinderfoto von mir, auf dem ich ganz interessiert einen riesigen Regenwurm auf dem Zeigefinger halte. Meine Mutter erzählte mir, dass ich ihn fallen ließ, weil die anderen Kinder „Ihh, bäh!“ schrien, und dann beschämt zu ihr rannte. Erst als sie mich bestärkte, traute ich mich nochmal, den Wurm genau anzuschauen. Dabei entstand dann auch das Foto.
Wenn ich an alte Geschichten zurückdenke, ist es immer meine Mutter, die mich in ihnen ermutigte: als der Junge im Fußballturnier meinte, ein Mädchen könnte nicht Fussball spielen, oder als mich im Schwarzwaldurlaub ein Kind im Freibad das N-Wort nannte. In meinen Ohren kann ich fast noch hören, wie sie sagt: „Hör nicht hin, der/die ist doof!“ – so oft gab sie mir diese Antwort. Sie ist es, die mir jedes Mal das Gefühl gab, ich kann alles machen. Besonders wichtig war ihr, dass ich mir immer meine eigene Meinung bildete und nicht dachte, Mädchen müssten oder dürften irgendetwas nicht.
Blockflöte vs. Fußball
Als meine Freundinnen Blockflöte lernten, fragte sie mich, ob ich Schlagzeug spielen möchte. Ich wollte nicht, stattdessen ging ich in einen Chor. Bereits in der Grundschule war ich die, die immer alles hinterfragte. Doch während die Jungs in meiner Klasse immer „typisch Buben“ waren mit ihrem Nachfragen, traf ich in meiner Schullaufbahn immer wieder auf Lehrkräfte, die ich dadurch nervte. Natürlich weiß ich es nicht, allerdings hatte ich oft das Gefühl, es lag daran, dass ich ein Mädchen bin.
Irgendwann gegen Ende der Grundschulzeit meinte meine Taufpatin, warum ich nicht auch mal mit den Jungs spielte, wenn es in meiner Mädchen-Clique oft zu Streitereien kam. Am nächsten Tag stand ich mit auf dem selbsternannten Fußballfeld im Pausenhof, dessen Tore zwei Mülleimer waren. Gut war ich nie, jedoch hatte ich Spaß. Außerdem schien es, als würden andere es toll finden, wenn ich Dinge tat, die nicht „typisch Mädchen“ waren, zumindest hatte ich das Gefühl. Erzählte meine Mutter ihren Freundinnen von meiner neuen Sportart, waren alle begeistert: „Ach wow, und das als Mädchen“, war eine häufige Antwort. Was Ihr vielleicht wissen solltet: Meine Mutter ist Erzieherin. Ich bin in einer Zeit groß geworden, in der für Pädagog:innen in Einrichtungen der Bildungsauftrag galt, Kindern zu ermöglichen, genderuntypisch zu spielen. Und sie dabei zu bestärken, Dinge zu tun, die nicht dem Stereotyp ihres Geschlechts entsprachen. Während ich also bereits damit groß wurde, wirkte ich in den Haushalten meiner Freunde ungewöhnlich oder anders.
Not That Kind Of Girl
Das alles sind nur kleine Beispiele. Viele kleine Erlebnisse zusammen führte dazu, dass ich in der Pubertät dann irgendwie das Gefühl hatte, nicht Mädchen genug zu sein. Ich hatte das Gefühl alle meine Freundinnen wussten genau, was sie taten. Also kopierte ich sie, trug Tangas und Push-Up-BHs, die mehr Push hatten als ich Brust. Mein persönlicher Favorit waren T-Shirts mit Aufdrucken wie: „I love shoes, bags & boys“, „100% Single“ oder den damaligen Klassiker meiner Szene, das Playboybunny-Shirt.
Obwohl ich aussah wie die anderen, hatte ich das Gefühl, nicht dazu zu passen. Schon kurz nach dieser Zeit fing ich an zu skaten, trug am liebsten mein Goodstuff-T-Shirt (an alle nicht Münchner:innen: ein damals lokaler Skateshop) und wurde das „ich bin nicht wie die anderen Mädchen“-Mädchen. In der Schule saß ich nur noch neben den Jungs. Die meisten anderen Mädchen fand ich doof. Bestätigung zählte fast nur noch von Jungs, sie mussten mich cool, lustig oder sogar süß finden.
Frauen gegen Frauen
Richtig, von internalisierter Misogynie ist hier die Rede. Jowa schrieb bereits einen tollen Text darüber, was die Ablehnung von Influencerinnen mit Frauenhass zu tun hat. Misogynie ist Frauen entgegengebrachte Verachtung, Geringschätzung; Frauenfeindlichkeit, heißt es im Duden. Grund dafür ist auch – wie so oft – das Patriachat, mit dem Konzept der hegemonialen Männlichkeit.
Dem Mann wird eine soziale Dominanz zugeschrieben und stellt die Frau in eine untergeordnete Position. Das Fazit ist, dass als männlich geltende Eigenschaften mehr Wert haben als weibliche. Wir kenne es alle: „Du läufst wie ein Mädchen“ ist etwas Negatives, „Ein echter Kerl“ oder ein „harter Typ“ etwas Positives in unserer Sprache. Alleine diese Begriffe zeigen bereits das große Problem. Unsere soziale Struktur schätzt Frauen weniger.
Unter internalisierte Misogynie versteht man wiederum den verinnerlichten Frauenhass. Das Gefährliche daran ist, dass wir uns ihm meist nicht bewusst sind. Doch wie soll ein junges Mädchen auch lernen stolz auf ihre Weiblichkeit sein, wenn sie wie ich mehr positive Resonanz auf vermeintlich Männliches wie Fußball bekommt? Ich muss zugeben, dass ich lange nicht gemerkt habe, wie stark ich davon betroffen bin. Denn ich dachte sogar, ich sei sehr feministisch, weil ich viele weiblich konnotierte Dinge ablehne. Hierdurch hatte ich auch weiblich sein abgelehnt.
Feminismus sieht anders aus.
Mittlerweile versuche ich, bewusst mein Urteil über andere Frauen zu hinterfragen. Besonders helfen mir nun Bücher wie „Women Don’t Owe You Pretty“ von Florence Given und andere Frauen in meinem Leben. Seit ich in Berlin wohne, lerne ich zudem immer mehr wie unglaublich glücklich ich darüber bin, viele tolle Frauen in meinem Leben zu haben. Dennoch ertappe ich mich immer wieder, welche Gedanken ich mir über andere Frauen mache: „Warum trägt, tut, sagt sie das?“ In diesen Momenten merke ich, dass ich das bei einem Mann wohl nicht gedachte hätte. Das ist nach wie vor erschreckend: Was man über Jahrzehnte gelernt hat, ist nicht so schnell entlernt – es kann und muss aber passieren.
Eine Antwort zu “Internalisierte Misogynie: die anderen Frauen und ich”
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