Instagram ohne Likes?

12. Juni 2019 von in

Ich habe mich 2011 bei Instagram registriert. Damals habe ich mit meinem iPhone 2 Fotos von Abiparties gemacht und die App genutzt, um die Bilder zu bearbeiten – mit Filtern, die Inkwell oder Mayfair hießen und heute als Relikte einer längst vergangenen Zeit gelten. Langsam aber sicher verlagerten sich nicht nur meine Onlineaktivitäten, sondern auch die meiner ganzen Generation von Facebook zu Instagram. Und heute – knapp acht Jahre später – hat die App mit einem harmlosen digitalen Fotoalbum nur noch wenig zu tun. Inzwischen aufgekauft von Facebook und Teil des wahrscheinlich mächtigsten und gefährlichsten Monopols der Welt, dominiert die App das Internet in der gesamten westlichen Welt und darüber hinaus. Sie prägt unser Privatleben und die Öffentlichkeit maßgeblich mit, hat einen ganz neuen Berufszweig hervorgebracht und ist ein nicht zu leugnender sozialer, politischer und wirtschaftlicher Faktor. Selbst wenn man nicht angemeldet ist, hat man keine Wahl, als in einer Welt zu leben, die von Instagram mit gestaltet wird. Und die App dringt in die letzten Ecken unseres Bewusstseins vor.

Instagram macht uns fertig

Wenn wir ehrlich zu uns sind, wissen wir alle, dass Instagram uns nicht gut tut. Und es ist mehr als ein Gefühl, wenn man glaubt, Instagram mache einen irgendwie fertig – Studien belegen das. Instagram ist das soziale Netzwerk, das unserer psychischen Gesundheit am Meisten schadet. Denn neben den positiven Eigenschaften, die die App so unwiderstehlich machen – Selbstdarstellung und kreativer Austausch, Gemeinschaftsbildung, emotionaler Zusammenhalt – ist es vor allem eine Sache, die uns vergiftet: Der Vergleich.

Wir können uns noch so viel Mühe geben, #authentisch und #real zu sein – es ist unmöglich, die eigene Selbstdarstellung nicht zum eigenen Vorteil zu kuratieren. Die App verlangt es von uns – sie ist entworfen worden, um uns im bestmöglichen Licht zu inszenieren. Das praktizieren die einen schamloser (wie die meisten erfolgreichen Influencer), die anderen subtiler. Aber: Sobald man als Person auftritt, entwirft man ein digitales Alter Ego – und je mehr Followers man hat, desto mehr wächst der Druck, dabei möglichst sympathisch und beneidenswert zu wirken. Besonders, seit die Stories-Funktion Instagram auf ein ganz neues Level der möglichen Selbstdarstellung gehoben hat, ist es einfach zu verführerisch geworden, die App für das Steigern des eigenen Marktwertes zu nutzen. Die Rechnung ist ganz einfach: Wir geben der App ein Erlebnis, das wir inszenieren und in die Welt hinausschicken und ernten dafür eine Art soziales Kapital in Form von Likes, Comments und Followers, das uns in unserem Tun und Sein bestätigt. In jedem digitalen Umfeld ordnet man sich dabei in eine imaginäre Rangliste ein – je nachdem, wer die meisten Likes und Followers zu generieren weiß. Vor diesem psychologischen Mechanismus ist keine Bubble sicher – es ist eine menschliche Grundunsicherheit, unser Wunsch nach Anerkennung. Und unser Platz in dieser Rangliste und der soziale Druck, der mit ihm einhergeht – das ist es, was uns wirklich fertig macht. Eine Studie von 2017 nennt das daraus entstehende Verhalten ein „compare-and-despair-attitude“ – es ist ein Vergleichen und Verzweifeln.

Ein kleiner Schritt für Facebook…

All das ist sehr alarmierend. Wir wissen nicht, was diese neue, schöne Onlinewelt langfristig mit uns macht. Alles verändert sich so schnell, dass es unmöglich vorauszusehen ist. Fakt ist jedoch: Die Auswirkungen der Omnipräsenz von Instagram & Co. sind so tiefgreifend, dass jede Änderung in der Nutzung dieser Plattformen unsere Gesellschaft grundlegend beeinflussen kann. Nüchtern gesagt: Es ist Mark Zuckerberg, der darüber entscheidet, mit welchen Systematiken wir uns psychisch im digitalen Raum auseinandersetzen – und das jeden Tag. In letzter Instanz hat er damit auch direkten Einfluss auf unsere psychische Gesundheit. Dass Mark Zuckerberg als CEO von Facebook zu viel Macht hat, stellte vor Kurzem schon Chris Hughes, einer der Mitbegründer von Facebook, fest. Es ging ihm dabei nicht um unsere psychische Gesundheit, sondern vor allem um die immense wirtschaftliche und politische Macht, die in letzter Instanz in den Händen dieses blassen, unscheinbaren und vermutlich extrem überforderten Mannes namens Mark Zuckerberg liegen. Hughes wendete sich in einem Artikel in der New York Times an die US-Regierung und plädierte dafür, das Unternehmen aufzulösen und die Macht auf mehrere Schultern zu verteilen.

Solange Ideen wie diese Utopie bleiben und die Macht über unsere Onlinewelt von Monopolen ausgeht, entscheidet nach wie vor vor allem das Unternehmen Facebook, wie wir die Welt erleben – online und offline. Und jede noch so kleine Änderung kann sich dabei auf jeden Aspekt unseres Lebens – inklusive unserer psychischen Gesundheit – auswirken. In Kanada wird momentan eine solche Änderung getestet, die für uns alle einen Schritt in die richtige Richtung bedeuten könnte: Der Like wird abgeschafft. Zumindest teilweise.

 

Instagram is testing hiding like count from audiences,

as stated in the app: „We want your followers to focus on what you share, not how many likes your posts get“ pic.twitter.com/MN7woHowVN

— Jane Manchun Wong (@wongmjane) 18. April 2019

Eine neue Ära?

Wir können nach diesem geplanten Update nach wie vor Bilder liken, können jedoch die Anzahl der Likes anderer nicht mehr sehen. Lediglich die Likes unserer eigenen Bilder werden uns angezeigt – ähnlich wie bei den Stories, bei denen nur wir selbst die eigene Reichweite zu sehen bekommen. Dieser Schritt – vermutlich nur ein paar veränderte Zeilen im Code – könnte unglaubliche Auswirkungen auf unser digitales Leben unsere Psyche und damit unsere Leben mit sich bringen. Vor allem für jüngere Generationen wäre das eine bahnbrechende Veränderung. Es wäre ein großer Schritt weg vom latenten „Vergleichen und Verzweifeln“, das unser Online-Erlebnis heute oft dominiert. Es ist erschreckend, wenn man sich die Ausmaße solcher simpler Entscheidungen ausmalt – in einer Welt, in der ein Monopol so viel Macht besitzt. Dass das Unternehmen begriffen hat, wie weitreichend diese App in das Unterbewusstsein seiner NutzerInnen vordringt, ist zumindest ein wenig beruhigend. Instagram-Chef Mosseri formulierte es so: Man wolle ein „less pressurized environment where people feel comfortable expressing themselves” erschaffen. Twitter experimentiert derzeit mit einem ähnlichen Konzept.

Es zeichnet sich also eine neue Ära ab, am digitalen Horizont. Ob all diese Änderungen jedoch wirklich umgesetzt werden, muss sich erst zeigen. Was jedoch jetzt schon klar ist, ist die alarmierende Erkenntnis, dass ein paar Zeilen Code heute grundlegende Auswirkungen auf den Alltag und die Psyche von Milliarden von Menschen haben können. Und dass es in letzter Instanz eine einzige Firma mit einem einzelnen CEO ist, die darüber entscheidet. Dass in einer solchen Welt irgendetwas falsch läuft, liegt auf der Hand.

Bildcredits: Billy HuynhJaelynn Castillo via Unsplash

– Anzeige wegen Markennennung –

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