Instagram-Aktivismus: Wie viel Meinung muss ich teilen?

27. Mai 2021 von in

Es war der Tag, an dem 50 Schauspielerinnen die grandiose Idee hatten, eine Anti-Corona-Maßnahmen-Kampagne zu fahren, um „ein wenig wachzurütteln“ – oder besser gesagt: die eigene Meinung zu sagen. Ironisch, sarkastisch, ohne Argumente. An jenem Tag zuckte irgendwas in mir. Die Kampagne war dämlich, zum falschen Zeitpunkt, aus einer völlig privilegierten Blase heraus, in die sozialen Medien geschossen. Und ich fragte mich nur eines: „Warum zur Hölle muss überhaupt ein Jan Josef Liefers seine Meinung zu politischen Umständen ins Netz blasen?“

Die Antwort gab ich mir wenig später selbst. Weil er es kann. Weil er eine Reichweite hat. Und gehört wird. Anders als Horst, 56, in den Facebook-Kommentaren. Oder Angelika, 38, am Gartenzaun der Nachbarin. In den vergangenen Jahren predigte ich oft: „Mit Reichweite kommt Verantwortung.“ Für mich bedeutete das immer, aufklären, auf Missstände hinweisen, zu Wahlen informieren und auch wichtige, gesellschaftlich relevante Themen ansprechen. Veränderung bewirken. An jenem Tag dachte ich:

„Ist es vielleicht nicht genau umgekehrt?“ Sollten wir mit Reichweite manchmal nicht lieber einfach die Klappe halten?

Sieht man sich auf Instagram um, äußern sich die, die Reichweite haben – zu den unterschiedlichsten Themen. Es ist ein zweischneidiges Schwert, dieser Instagram-Aktivismus. Auf der einen Seite liebe ich ihn. Ich habe in den vergangenen Jahren gerade auf Instagram nicht nur wunderschöne Outfits und Wohn-Inspirationen gefunden, sondern auch richtig viel gelernt. Menschen haben mich in die Feminismus-Bubble gezogen, mir ihre Erfahrungswelten erzählt und meinen Horizont merklich erweitern. Dank der Black Lives Matter Bewegung weiß ich heute wahnsinnig viel mehr über das Leben von Schwarzen Menschen, weiß, wie wichtig Solidarität und Zuhören sind. Ich weiß so viel mehr dank Instagram, seinen vielen Stimmen und Aktivist*innen, dass ich dankbar bin für diese kleine App.

Auch habe ich versucht, bei vielen Themen meine Solidarität zu zeigen. Ich sehe euch, ich höre euch, ich stehe an eurer Seite. Immer dann, wenn Menschen von Erlebnissen berichtet haben. Ich habe mich positioniert, Meinungen geteilt und es als meine Aufgabe gesehen, mehr zu tun, als hübsche Bilder zu posten. Denn: Mit Reichweite kommt Verantwortung. Ich habe gelernt, dass es sich lohnt, seinen Mund aufzumachen, auf Missstände hinzuweisen und Veränderung zu erreichen. Mut haben, Themen ansprechen. Auch das ist Instagram-Aktivismus – und vielleicht auch unser aller gesellschaftliche Aufgabe.

Und dann ist da aber diese andere Stimme in mir, die vor allem seit dem letzten Jahr, spätestens aber seit der Jan-Josef-Liefers-Fail-Kampagne, lauter wird. Und eine Frage stellt, die mir schon eine Weile bei Influencer*innen auffiel, einen Trend hinterfragt, der auch mich erfasste. Und der den Instagram-Aktivismus so ein bisschen ins andere Licht rückt.

Warum müssen sich Influencer*innen, Schauspieler*innen oder Moderator*innen unbedingt zu jedem noch so erdenklichem politischen Thema äußern?

Vielleicht ist es wirklich der Wunsch nach gesellschaftlicher Veränderung. Vielleicht ist auch oft der eine Grund: das Image. Wer woke ist, gewinnt. Lethargie und Desinteresse kann sich wohl kaum einer mehr leisten, schon gar nicht auf einer App, die eine wahrhafte Politisierung in den vergangenen Monaten vollzogen hat. Und auch ich weise nicht von mir, dass ich als Journalistin vor allem auch eines will: informiert wirken. Nah am Ball. Mittendrin. Auf der Seite der Gerechtigkeit. Des Guten. Klingt pathetisch – und das ist es auch. Ich teile oftmals wichtige Themen, weil sie mir am Herzen liegen, weil ich es wichtig finde, dass die Reichweite für mehr als „Woher ist dein Tshirt?“ genutzt werden soll – und doch ist es nicht die ganze Wahrheit. Am Ende teile ich es auch, um an meinem eigenen Social-Media-Image zu feilen. Denn – und das wird manchen überraschen – das ist der Sinn der App. Wir teilen Inhalte, um ein Bild von uns zu kreieren. Wir teilen das, was uns emotional erfasst. Und wir teilen Dinge, von denen wir wollen, dass andere Menschen sie sehen, um sie mit uns in Verbindung zu bringen.

Feminismus, Anti-Rassismus, Politik, Zeitgeist, Mental Health, Nachrichten. All das sind Themen, die ich gerne in den sozialen Medien ankratze. Weil sie mich beschäftigen, mir am Herzen liegen. Weil ich es wichtig finde, darüber zu sprechen. Damit Veränderung entsteht. Das ist okay, das ist völlig normal. Doch je größer die Reichweite, desto mehr muss ich mir bewusst sein, was ich ins Netz posaune – oder eben doch nur der Nachbarin am Gartenzaun erzähle.

Das wurde mir dann nochmal schmerzlicher bewusst, als der Nahost-Konflikt in den vergangenen Wochen aufkochte. Ein Thema, das ich seit Jahren versuche zu erfassen und immer wieder scheitere. Und genau deshalb hielt ich mich mit Shares zurück. Lieber nichts sagen, wenn man keine Ahnung hat, dachte ich. Und wurde überrascht, wie viele in meiner Bubble doch irgendwie Ahnung zu haben glaubten. Die Folgen waren immens: Antisemitismus wurde befeuert, einseitige Share-Pics wurden reihenweise geteilt, eine Schwarz-Weiß-Front entstand und am Ende eskalierte der Streit in den DMs, später teils auf den Straßen. Dem Nahost-Konflikt half es nicht. Er schwelte weiter, die Situation war verworren, und ich stieg ehrlicherweise aus dem Versuch aus, irgendwie noch durchzublicken.

Die Welt ist nicht schwarz-weiß, sondern grau. Und das lässt sich nicht mal eben mit ein paar Memes abbilden.

Die Situation zeigte mir zwei Problematiken auf. Zuerst war ich erstaunt über mich selbst. Mein erster Reflex war natürlich gewesen, mich auch hier politisch zu positionieren. Solidarisch zu zeigen, nur wie? Meine jahrelange Gratwanderung des Verstehens des komplexen Nahost-Konflikts hielt mich davon ab. Zurück blieb Erstaunen, welchen inneren Druck ich hatte, bei politischen wichtigen Entwicklungen meine „Wokeness“ zu zeigen. Ich dachte, vielleicht erwarten es die Follower*innen, dass ich mich äußere. Und wenn ich es nicht tue, wird das registriert. Ich war fassungslos über meinen Gedankengang. Denn es war vor allem eines: absurd. Weil ich am Ende zwar Journalistin bin, meine Meinung aber am Ende keinerlei Lösung bietet. Solidarität vielleicht – nur muss das wirklich sein? So digital?

Dann wurde mir schmerzlich bewusst, dass wir eben am Ende auf einer App sind, die Fotos abbildet. Meinungen zeigt. Die wenigsten Instagram-Kanäle sind von der Redaktion des Deutschlandfunks besetzt, sondern eben Kanäle von – oh wunder – Privatpersonen. Wir haben es eben nicht mit journalistischen Medien zu tun, die Faktenprüfungen vor Veröffentlichungen machen, unterschiedliche Blickwinkel beleuchten und Neutralität zeigen. Etwas, das ich eigentlich wissen sollte. Die Problematik dabei: Gerade hinter vielen der großen, woken Accounts, die sich politischen Themen widmen, steckt eine Einzelperson mit persönlicher Meinung, und keine Redaktion. Ein provokanter Spruch ist schnell herausposaunt, Argumente und Fakten zusammensuchen – kann man immer noch, wenn’s die Bubble verlangt, nicht? Selbst wenn die Macher der Accounts sich positionieren und sagen „Hey, alles nur meine Meinung“ wird das Ganze oft anders wahrgenommen. Es wird als gesetzt, als Fakt, angesehen. Manchmal ersteht auch eine Erwartungshaltung, um sich selbst eine Meinung zu bilden. „Warum äußert du dich nicht?“. Und dann tun sie es doch.

Es geht sogar so weit, dass Menschen denken, wenn sie Politik-Influencer*innen folgen, bilden sie sich ausreichend weiter. Die Kanäle werden zum einzigen Informationsstrang, der eigentlich eine ewige Meinungskolumne ist.

Doch gerade dann ist es umso wichtiger, sich auch auf anderen Kanälen, bei anderen Medien zu informieren, neutrale Artikel zu lesen und verschiedene Blickwinkel zu hören. Nur so erfasst man das große Ganze namens Politik.

Der Instagram-Aktivismus hat natürlich sein Gutes. Immer dann, wenn Menschen wahre Expert*innen ihres Themas sind. Sich etabliert haben zu einem Thema. Wenn sie aus ihrer Erfahrungswelt berichten und uns über den Tellerrand blicken lassen. Wenn sie Blickwinkel aufweichen, patriarchale, rassistische oder diskriminieren Strukturen offenlegen. Wie bei der Black Lives Matter Bewegung. Solche Momente lehren uns, bilden uns weiter und erweitern unseren Horizont. Bei allen anderen Themen gilt es: Sich dreimal mehr zu fragen, warum man nun jenes Meme, jenes Zitat teilt? Weil man sich solidarisch zeigen will? Weil man sein Image polieren will? Oder weil man wirklich Expert*in ist? Oder – auch ein wichtiger Punkt: weil die Meinung wichtig ist für unsere Gesellschaft. Weil sie Veränderung erzielen kann? Dann ja – raus damit, manchmal müssen wir eben laut sein, um Veränderung zu bewirken. Manchmal aber eben auch leise – oder zumindest laut mit fundierten Fakten.

Für mich nehme ich mit: Ich möchte künftig noch mehr darauf achten, was ich teile. Worüber ich spreche. Ich finde es immer noch wichtig, über gesellschaftlich relevante Themen zu sprechen, gerade bei einer großen Reichweite. Ich möchte weiterhin Veränderung bewirken, ein Bewusstsein für Missstände anregen und mein erlerntes Wissen teilen. Doch als Journalistin möchte ich künftig noch mehr auf seriöse Quellen achten, fundiertes Wissen vermitteln, Anlaufstellen von echten Expert*innen nennen und nicht einfach nur ein Meme oder Sharepic teilen. Denn am Ende – und das ist vielleicht das wichtigste Learning aus den vergangenen Monaten – ist der Instagram-Aktivismus allein nicht zielführend. Wichtig ist, was hier im echten Leben passiert. Solidarität auch nach dem Share, auf der Straße, im Café oder im Job: Rassismus, Feminismus und andere Themen im Offline-Dasein leben. Das ist das, was zählt. Und vielleicht sollten wir das alle mal beherzigen. Ganz nach dem Motto: „Tu Gutes und sprich nicht darüber. Mach es einfach.“

Fotocredit: @feminismus24 / @louisadellert/ @bori_negra

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4 Antworten zu “Instagram-Aktivismus: Wie viel Meinung muss ich teilen?”

  1. Liebe Antonia,

    vielen Dank für diesen klugen Beitrag. Ich glaube du triffst es ganz gut, wenn du schreibst, dass der Aktivismus vieler Influencer*innen meist nur zur eigenen Image-Pflege betrieben wird. Nennt man das nicht performativen Aktivismus? Anteilnahme ohne aktive Teilnahme. Was dabei oft passiert ist, dass der „Aktivismus“ auf den Social-Media-Plattformen schlussendlich doch nur kapitalisiert wird und damit seine eigentliche Bedeutung verliert. Aber die nächsten beworbenen Produkte verkaufen sich mit einem „Woke-Mindset“ besser. Du hast nämlich absolut recht, dem Nahost-Konflikt hilft es nicht, stattdessen wird aber suggeriert, dass man ja schon etwas getan hat, indem man Memes teilt o.ä. Ich habe leider auch keine umfassende Lösung parat, kann aber nur jede und jeden ermutigen, sich im echten Leben umzuschauen, wo Unterstützung und Solidarität notwendig ist. Sei es im Altenheim, in der Obdachlosenhilfe, in der Arbeit mit Geflüchteten etc. oder ganz banal in der eigenen Nachbarschaft! Vielen Dank noch mal für deine klugen Gedanken :)

    • Liebe Katrin,

      genau – performativer Aktivismus ist das richtige Wort. Danke dir für deinen Kommentar! Exakt meine Gedanken, es reicht eben nicht, Memes zu teilen und sich dann auf dem Sofa zurückzulehnen, sondern das eigentlich wichtige, das zählt, ist, was ich im e c h t e n Leben tue. Wie ich mich hier engagiere, um die Welt ein bisschen besser zu machen. Das kann in einem Verein, einer Organisation oder einfach die feministische Aufklärung im eigenen Umfeld sein. :) Danke dir!

  2. Hallo Antonia,

    ich finde deinen Text sehr wichtig und habe mir beim Lesen noch Folgendes dazu gedacht. Gerade beim Thema Nahost Konflikt zeigt sich sehr gut, dass Instagram als Informationsmedium an seine Grenzen kommt. Politische Gegebenheiten können nunmal nicht sinnvoll auf ein paar Slides heruntergebrochen werden, sondern müssen von Wissenschaftlern mit großem Aufwand recherchiert und hinterfragt werden. Das wiederum als interessierter Mensch zu konsumieren ist anstrengend und zeitaufwendig und womöglich stellt man am Ende fest, dass es keine eindeutige „richtige“ Meinung zu einem Themenkomplex gibt. Da ist es halt viel bequemer, sich mit unseriösen und falsch vereinfachten Sprechblasen zufrieden zu geben. Ich finde das ingesamt eine sehr gefährliche Entwicklung, weil sie – wie du auch im Text beschrieben hast – nur dazu führt, sich in einer Blase und Echo-Kammer einzurichten, bei der alles von Außen als falsch und unmoralisch abgestempelt wird. Irgendwie haben es die Menschen meiner Meinung nach verlernt, mal einen Schritt zurückzutreten, ein Thema rational und eigenständig zu hinterfragen, und dafür auch mal Aufwand zu betreiben.

    Liebe Grüße!

  3. Hi Antonia,
    vielen, vielen Dank für diesen Text und deine Offenheit. Du bringst ganz viele Aspekte rund um Instagram-Aktivismus zusammen und auf den Punkt und hilfst auch mir selbst dabei, meine wirren Gedanken zum Thema irgendwie zu sortieren.
    Liebe Grüße, Leonie

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