Meine gestrige To-Do-Liste sah wunderbar überschaubar aus. Was auf dem Blatt Papier (analog, yay) jedoch so „überschaubar“ aussieht, kann in der Umsetzung für völlige Überforderung sorgen. Und das tat es letztendlich auch. Denn statt mir wirklich zu überlegen, was ich an diesem Tag schaffen könnte, schrieb ich einfach das auf, was gemacht werden „muss“ und quetschte es in unfassbar unrealistische Zeitfenster hinein. Völlig unzufrieden wurde mir am Abend klar: Mist. Ich bin in mein altes Muster namens Überbeschäftigung gefallen.
Zuerst: Ich definiere Überbeschäftigung in diesem Text nicht über die wichtigen Verantwortungen im Alltag, sondern vielmehr über die Parallelitäten mehrerer Aufgaben im Alltag und der meist unnützen Mehrarbeit, der wir Präsenz und Fokus vorziehen. Hier geht es um das Gefühl, immer mehr zu leisten und um die Ironie der Unausgeglichenheit am Abend.
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Die Anfänge meiner Freiberuflichkeit könnten den einzigen Titel „Überbeschäftigung“ tragen. Nach Jahren der Festanstellung war ich ganz plötzlich selbst für meine Zeiteinleitung verantwortlich. Ich wurde Meisterin darin, einzelne Aufgaben zu vervierfachen, weil ich im Prozess der Erledigung alle themenähnlichen Aufgaben einfach einsammelte und gleich mit erledigte. Fokus? Ein Fremdwort. Lieber erledigte ich viele Dinge an einem Tag. Was ich für ziemlich raffiniert hielt, entpuppte sich schnell als ungesunde und schwachsinnige Vorgehensweise, die mich nicht weiterbrachte, sondern nur unglücklich machte. Denn die Qualität meiner Arbeit war (verhältnismäßig) schaurig. Nicht nur, dass ich den Blick für Prioritäten verlor, sondern auch meine ohnehin schon fragile Aufmerksamkeitsspanne. Es gab Tage, in denen ich bis 3 Uhr nachts am Schreibtisch saß. Nicht etwa, weil ich eine wichtige Abgabe hatte, sondern weil ich alles erledigt bekommen wollte, was ich mir selbst aufgebrummt hatte. Das haben die Menschen auf Instagram schließlich auch geschafft. Das konnte ich wissen, weil ich zwischen all diesen Aufgaben immer wieder zu meinem Handy griff und überaus belanglose Push-Benachrichtigungen öffnete, die mich dann zu einem Scroll-Marathon weiterleiteten.
Wenn die To-Do-Liste doof ist
Eigentlich soll die To-do-Liste unser Leben erleichtern. Im besten Fall sorgt diese Liste für Struktur in unserem Leben und dafür, dass wir Prioritäten erkennen und für den Tag wichtige Aufgaben umsetzten. Wenn wir aber die To-do-Liste nutzen, um alle möglichen Aufgaben (und Wünsche) zu notieren, kann sich diese einfache Liste zum puren Stressfaktor entwickeln. Dabei geht es nicht nur um die Menge, sondern vor allem auch darum, dass wir denken, dass wir viel gleichzeitig machen können. Jedoch gewinnen wir dadurch nicht mehr Zeit, sondern bringen unseren Körper in eine Stresssituation. Statt eine Aufgabe nach der anderen zu erledigen, beantworten wir zwischendurch jede neue Mail, checken das Handy, schauen uns neue Schlagzeilen an, staubsaugen (aka prokrastinieren), holen kurz das Paket bei der Post ab, setzen uns dann wieder an die Aufgaben, bis uns einfällt, dass wir hungrig sind und Instagram lange nicht mehr aktualisiert haben. Am Ende des Tages fallen wir erledigt, jedoch unausgeglichen ins Bett. Weil wir viel zu wenig von dem gemacht haben, was wir mussten, wollten oder sollten. Und mehr von dem, was uns ablenkt.
Fokus ist ein Privileg
Wer sich jetzt gerade beim Lesen dabei erwischt, etliche offene Tabs beschämt zu schließen, versteht das Dilemma. Fokus ist ein Privileg, welches wir uns selbst genommen haben. Wir werfen uns Aufgaben zu, als hätten wir endlos Kapazitäten und viele helfende Hände. Dabei nehmen wir jede Aufgabe ziemlich ernst. Was auf der Liste steht, wird gefälligst umgesetzt (die absolute unnötige Scroll-Bildschirmzeit notieren wir merkwürdigerweise nie). Und wenn wir am Abend nicht all das abgehakt haben, was wir uns vorgenommen habe, wird das einfach geschmeidig für den nächsten Tag abgeschrieben. Dabei sind wir so viel mehr als das Abarbeiten der Listen. Wir sind nicht nur etwas wert, wenn wir etwas leisten. Sondern wir sollten uns selbst genug wert sein, um alles, was wir tun (selbst die unliebsamen Aufgaben) halbwegs zu genießen. Denn ich kann sagen: Mit Fokus und Konzentration vereinfacht sich sogar eine Steuererklärung (und es gibt kaum etwas, was ich mehr verabscheue).
Während ich meine To-do-Listen übermotiviert modellierte, und mir für die großen Ziele meines Lebens auch teilweise Schablonen anderer Leben darüber legte, vergass ich die mitunter wichtigsten Tasks für den Tag zu notieren, um eine ausgeglichene Version meiner selbst zu sein: Fokus, Minuten der Stille und Präsenz.
It’s all about (deep) focus
Die Frage ist doch: Was lässt uns glauben, dass wir immer beschäftigt sein müssen? Was lässt uns glauben, dass es nicht mal in Ordnung ist, im Chaos zu entspannen? Wieso haben wir gleich ein schlechtes Gewissen, wenn wir an einem Tag weniger „schaffen“? Mit wem messen wir uns? Wir sagen gerne, dass wir das anders „nicht können“ oder: „nicht erlauben dürfen“. Wir Menschen finden nun mal immer eine Ausrede. Doch wenn wir in uns einhören, dann können wir uns auch die Frage stellen, wozu wir unseren Körper jedes Mal aufs Neue in solch einen Stressmodus versetzten, wenn am Ende doch ohnehin alles funktioniert. Stress und Überbeschäftigung bringt uns aber nicht schneller als unser Ziel, sondern wirft uns gerne mal wieder zurück, weil Stress unserem Körper schadet wie kaum ein anderer Faktor.
Präsenz und Genuss im Sommer
Die Themen Fokus und Präsenz halten bei mir oftmals einen Winterschlaf und melden sich dann im Sommer wieder zurück. Im Winter versinke ich in Überbeschäftigung. Vielleicht, weil ich aufgrund der wenigen Sonnenstunden kein Verhältnis mehr zu Raum und Zeit habe. Doch im Sommer lerne ich es immer wieder: Plötzlich gehe ich mit dem Hund raus und während ich gerade das Handy aus der Hosentasche zücken möchte, um nachzusehen, ob mich eine Mail erreicht hat, nehme ich plötzlich den Geruch von frischem Gras und richtigem Sommer auf. Dabei kitzelt das Gras meine Füße über meinen Flipflop. Dann stecke ich das Handy fast automatisch weg und sauge einfach die Zeit mit dem Hund, die Sonne und den Geruch vom blumigen Leben auf. Ich nehme mir vor, mit dieser Leichtigkeit wieder durch den Tag zu schweben, einfach, weil es sich viel besser anfühlt, als mir unendliche Aufgaben aufzuhalsen, die ich ohnehin nicht erledigen kann (Stichwort 24 Stunden am Tag). Ich stelle mir dann die Frage: Wird es mir schaden, wenn ich die Mail in einer Stunde lese? Dann mit voller Aufmerksamkeit und: wenn es an der Zeit ist? Nein. Es wird mir eher schaden, diese Momente im Leben nicht zwischendurch auch zu genießen.
Mir wird immer wieder klar, wie diese Dauerbeschallung von allen möglichen Ecken uns vergessen lässt, wie wir genießen. Mir fällt dann auf, dass niemand darunter leidet, wenn der Haushalt mal liegen bleibt oder eine Mail, von der kein Menschenleben oder eine Existenz abhängt, ein paar Stunden später beantwortet wird.
Es gibt Aufgaben, die müssen gemacht werden. Haben wir Kinder, müssen diese versorgt werden. Haben wir einen Job, muss dieser erledigt werden. Es geht vielmehr darum, uns an Tagen, die voller Verpflichtungen sind, nicht noch weiteres aufzutragen und dabei den Fokus zu verlieren, weil wir das Gefühl haben, alles immer erledigt bekommen zu müssen.
Wann haben wir verlernt, präsent zu sein?
Wir sind viel zu beschäftigt, um präsent zu sein. Wenn wir den Tag mit einer Achtsamkeitsübung beginnen und die restlichen 17 Stunden dann gestresst von A nach B hetzten, dann können wir uns die 0,99 € im Monat für die App auch gleich sparen. Denn es liegt viel mehr im alltäglichen, das zu übernehmen.
Präsenz bedeutet, dass wir mit Geist und Körper nur dem widmen, was wir gerade machen. Ohne Ablenkung. Doch haben wir überhaupt die Zeit dafür? Manchmal kommt es uns so vor, als würden wir den Tag nur gewuppt bekommen, wenn wir die anfallenden Aufgaben möglichst gleichzeitig bewältigen. Am Abend liegen wir dann lethargisch im Bett und wundern uns, was den Tag über überhaupt passiert ist und wie schnell die Zeit verflogen ist. Als Kind kam uns eine Stunde vor wie ein seeeehr langes Zeitfenster. Weil wir uns dort fokussiert haben. Wenn wir den Sand in die Hand genommen haben, rieselte dieser langsam auf unser Knie herunter und wir waren dabei. Nur wir, der Sand und der Moment. All unsere Gedanken kreisten nur um das, was wir gerade sehen und erleben. Mehr gab es schließlich nicht. Am Abend fiel unser kleiner Körper glücklich aber müde ins Bett. Und so sollten es sich heute auch anfühlen.
Lasst uns nicht vergessen…
Lass uns nicht vergessen: Social Media ist toll, wenn es uns inspiriert. Es ist giftig, wenn es uns stresst. Lasst uns nicht vergessen, dass die wunderschöne Frau, die in die Kamera spricht und von ihrem Workout, ihrer Shopping-Tour und ihrem eigenen Business berichtet, während ihr im Hintergrund den glänzenden Boden und die perfekt aufgeräumte Kommode seht, womöglich eine Haushaltshilfe hat. Vergesst nicht, dass sie vielleicht keinen Vollzeitjob nachgehen muss oder wirklich helfende Hände hat. Statt zu sehen, was sie geschafft hat, sollten wir auf das schauen, was wir an diesem Tag geschafft haben. In unserem Tempo. Und: mit welchem Gefühl. Denn selbst, wenn wir rein gar nichts von dem erledigt haben, was wir uns vorgenommen haben, zählt das Gefühl. Fühlen wir Überforderung oder Ausgeglichenheit? Ist der Haushalt liegen geblieben, weil eine enge Freundin spontan auf einen Kaffee vorbeikam? Ja, wir hätten während ihrer Anwesenheit auch all das erledigen können – jedoch wären wir dann wieder mit halben Herzen dabei. Diese Zeit ist begrenzt und wertvoll. Der Haushalt lässt sich auch morgen machen. Denn: Morgen ist ein neuer Tag und wenn alles gut läuft, haben wir immer wieder einen neuen Versuch. Lasst uns also vor lauter Beschäftigung nicht die schönen Seiten des Lebens verpassen.
Und auch wenn ich gelegentlich in das Muster der Überbeschäftigung zurückfalle, gibt es kleine Änderungen im Alltag, die mir geholfen haben, nicht immer wieder das gleiche Muster abzuhandeln:
- Altbekannt, aber effektiv: Das Handy die erste Stunde am Morgen nicht nutzen. Ok, was hat das jetzt mit Überbeschäftigung zu tun, fragt ihr euch. Dieses (meist unsinnige) Scrollen versetzt unseren Körper bereits in Stress, bevor der Tag überhaupt begonnen hat. Diese innere Unruhe begleitet uns den ganzen Tag und kann ebenso dafür sorgen, dass es uns schwerfällt, den Fokus zu bewahren und uns dazu bewegen, vieles gleichzeitig zu machen – aber nichts so richtig.
- Timer im Alltag: Ich habe mir angewöhnt, mir für alle Aufgaben einen Timer zu stellen. Während die Uhr tickt, arbeite ich fokussiert an dieser einen Aufgabe. Danach habe ich Zeit zum Mails prüfen, snacken oder einfach zum träumen, bevor ich das für die gleiche – oder nachfolgende – Aufgabe bearbeite.
- Die Stunde am Morgen: Früher aufstehen und eine Stunde (oder auch 30 Minuten) am Morgen nutzen, nur um präsent zu sein. Mit der Tasse Kaffee auf dem Balkon oder mit den eigenen Gedanken auf der Couch, mit tollen Intentionen für den Tag.