Bis ich selbst auf einem stand. An einem unscheinbaren Sonntagmittag im beschaulichen München war es soweit. Ich war verkatert und der Tag viel zu heiß für meinen Zustand, so hangelte ich mich schleppend von Stunde zu Stunde. Ein Fahrrad besaß ich nicht und da stand es, dieses bunte Ding, das ich so mühevoll hasste. Die App war schnell heruntergeladen, der Account sofort mit Paypal verknüpft und mindestens genauso schnell mutierte ich dann zu dem infizierten E-Monster. Es war herrlich.
Hilfe! Ich hasse E-Scooter, aber ich liebe sie
Es gibt so Jahreszahlen, die stehen ganz klar für ein Ereignis. Der Mauerfall? 1989! Weltwirtschaftskrise? 2007! Und auch dieses Jahr steht zentral für ein Ereignis, nämlich für die Zulassung des E-Scooters in Deutschland. Seit dem 15. Juni sind die Elektroroller im öffentlichen Straßenverkehr zugelassen und wie aus Geisterhand wuchsen an genau diesem Tag an jeder erdenklichen Straßenecke bunte Cityroller mit Elektrobetrieb aus dem Boden. Die 20 km/h starken Flitzer sollen den Verkehr erleichtern, hieß es. Das ist ja ganz großartig, ein elektronischer Motor ohne ekelhafter Luftverschmutzung, das gibt drei Sterne für den ökologischen Fußabdruck von Deutschland.
Das Kleingedruckte wurde dabei ganz schnuckelig in den AGBs verstrickt: Die Nutzer und Nutzerinnen des Geräts fahren mit ihnen durchschnittlich 2-3 Kilometer. Das entlastet gar nichts, außer die eigenen Füße, das Fahrrad, das aus Faulheit im Hinterhof bleibt und den öffentlichen Nahverkehr, der eh schon da ist, der auch da bleiben wird und der deshalb eigentlich nicht ersetzt werden kann. Stattdessen stehen in Berlin Mitte 2200 von den Plastikdingern herum, die das Stadtbild mit ihren unübersehbaren Knallfarben ruinieren.
Ich war empört. Wie eine dieser alten Frauen, über die ich mich früher lustig gemacht hatte, beschimpfte ich die Plastikmaschinen und ihre Nutzer und Nutzerinnen. So viel Plastikmüll für so wenig Sinn. Gar nichts entlasten die E-Scooter! Sie verstopfen meinen schönen Kiez und reduzieren meine Möglichkeiten noch weiter, am Kotti mein Fahrrad abzustellen. Da ist eh schon so wenig Platz, und jetzt sind die guten Fahrradplätze vollgestellt mit elektronisch betriebenen Geräten. So ein Unfug, so ein Humbug, eine einzige Schweinerei ist das! Ich hasste diese E-Scooter.
Der lauwarme Wind blies durch mein Haar, die Glückshormone fanden zurück zu mir, die Laune stieg sichtlich. Wie die Königin auf der Erbse fühlte ich mich – eine etwas uncoole Königin auf der Erbse, die hoffentlich nicht auf ihrem E-Scooter erkannt wird – es hatte etwas herrschaftliches. Stolz auf meine frisch aufgeflammte Liebe war ich nicht, die Scooter waren ab diesem Zeitpunkt in München eher meine heimliche Affäre, die ich ganz alleine für mich auslebte. Ein paar teure Wochen waren das zwar, aber selten hatte ich mein Geld besser investiert, als in die 20 km/h Erfahrung für durchschnittlich zwei Kilometer, die nichts entlasteten, außer meinen Groll mit guter Laune. So schlimm waren die Teile auch wieder nicht, redete ich meinem schlechten Gewissen ein.
Eine Art Nahtod-Erfahrung brachte mich auf den Boden der Tatsachen zurück. Da ging ich zur Abwechslung doch einmal wieder zu Fuß und so ein Scooter hätte mich um ein Haar überfahren. Zugegeben, so schlimm war es nicht, aber der Moment reichte aus für ein Revival. Ich hasste die Scooter wieder. Zurück in Berlin begann ich, meine Gefühle zu sortieren und zu verarbeiten. Auf neutralem Boden entspannte sich mein Verhältnis zu ihnen wieder, und ich sah die klaren Fakten: Die E-Scooter entlasten den Verkehr nicht, sondern belasten ihn. Sie sind eine weitere unnötige Umweltverschmutzung. Und sie machen verdammt viel Spaß.