HHeartbreak und Bayern-Krise oder wie es sich anfühlt die (räumliche) Comfort Zone zu verlassen
Vor fünf Monaten hat sich mein Leben schlagartig verändert. Ich bin vom einen ans andere Ende Deutschlands gezogen. Ziemlich plötzlich. Nur um eine Zeit aus Kisten und Koffern zu leben und dann in einer anderen Stadt alles wieder auszuräumen. Das ganz war nicht nur physisch eine Umstellung, sondern ist vor allem emotional ganz schön aufreibend. Denn mit dem Verlassen der räumlichen Comfort Zone kommt ganz schön viel mit hinzu – unbequeme Gespräche, Verluste, Loslassen müssen und Zweifel, sich überhaupt richtig entschieden zu haben. Denn ab wann genau weiß man das eigentlich? Und kann man bei so was überhaupt sichergehen, dass es kein Fehler gewesen ist?
Neue Wege führen (meistens) aus der Comfort Zone
Da saß ich also in Hamburg. Inmitten von halbgepackten Kartons. Irgendwie noch demoliert von der wohl schönsten Abschiedsparty, die ich mir für dir letzten 5 Jahre hätte wünschen können. Kurz davor die Nerven zu verlieren, weil ich weder das Werkzeug finden konnte, mit dem ich mein Bett oder meine Kleiderstange abbauen konnte. Ebenfalls kurz davor, die Nerven zu verlieren, weil da überall Kisten standen. Vor leeren Wänden und die Akustik auf so anders klang. Bei jedem Schritt und jeder Bewegung. Und auf einmal hat sich diese Entscheidung wegzuziehen, so furchtbar endgültig angefühlt.
Ich packe meinen Koffer und nehme mein ganzes Leben mit
Selten ist mir eine Entscheidung so schwergefallen wie die Hamburg zu verlassen. Dabei bin ich eigentlich niemand, der nicht schnell woanders zurechtkommt oder sich extrem an Orte bindet. Aber mit Hamburg war das anders. Weil wir uns schon von Anfang an sympathisch waren und je länger sich der ganze Prozess des Wegziehens hingezogen hat, desto schwerer wurde er. Denn zeitgleich wurde der Himmel blauer, das Wetter besser und das Leben war wieder überall da, wo es die letzten Jahre gefehlt hat. Fast jeder Moment hat sich dadurch also so angefühlt, als wäre er der Letzte.
Ein letztes Mal S-Bahn zwischen der Außen- und Innenalster fahren. Ein letzter Kaffee bei Codos To-go. Ein letztes Mal im Morgengrauen aus dem Bunker laufen und noch zwei Stunden redend am Fenster in der Küche sitzen. Ein letztes Mal Lieblingsbar. Ein letztes Mal Hauspartys und Sit-ins mit all den vertrauten Gesichtern. Ein letztes Mal alles mitnehmen, was geht in der Stadt, die mir so vertraut ist. Die sich anfühlt wie ein Dorf und in der man alle Ecken kennt und trotzdem immer etwas Neues erlebt und sieht. Tschüss sagen war nicht leicht – also habe ich es bis jetzt immer noch nicht gemacht. Einfach, weil ich nicht dazu kam und keine Zeit hatte, mich wirklich zu verabschieden.
Ausgerechnet Bayern!
Dafür bin ich jetzt hier: Alles neu in einer anderen Stadt, die 790 Kilometer weit weg ist von zu Hause. Ausgerechnet Bayern. Genauer gesagt München so konservativ, so klischeebehaftet. Von der mir ein Teil meiner Freund:innen verspricht „Du wirst es mögen“ und der andere mir den Abschied mit einem „du kannst nicht gehen“ schwerer macht. Und was soll ich sagen, während sich die Monate, in denen ich zwar nicht mehr in Hamburg war, aber auch nicht wirklich in München schon kräftezehrend herausgestellt haben, dann willkommen im Süden. Hier ticken die Uhren anders. Die Supermärkte schließen ab acht und zu später Stunde fährt der Nachtbus.
Standleitung: München – Hamburg
Denn die ist gerade so das Einzige, was meine Konstante hier ist. Schreiben und meinen Kopf beschäftigt halten. Damit ich, sobald ich zu Hause bin, nicht das Gefühl habe, ganz allein hier zu sein. Und dagegen können auch die ganzen Nachrichten, Anrufe und FaceTime Calls nicht hinwegtäuschen. Und manchmal möchte ich einfach nur laut Schreien und Fluchen, einfach weil ich genervt davon bin, dass sich einleben so viel komplizierter ist als in anderen Städten. Ein Fakt, den mir auch andere Zugezogene und heimische bestätigt haben – na toll! Ich glaube, ich habe mich lange nicht mehr so unglücklich gefühlt wie in meiner Anfangszeit in München. Was auch viel damit zusammenhängt, dass die Startbedingungen alle nicht ganz ideal waren.
Mehr chaotisch und dann ging es auf einmal so plötzlich und war dann endgültig. Da kann ich natürlich nicht erwarten, dass für die tolle Möglichkeit freuen, die sich mir da eröffnet. Was bedeutet, dass mir an immer mehr Stellen bewusst wird, dass mein Wegziehen dabei ist, Kettenreaktionen auszulösen, die nach und nach sichtbar werden. Denn am Ende des Tages ist es eben für alle beteiligten nicht einfach, wenn eine wichtige Bezugsperson nicht mehr „mal schnell“ erreichbar ist. Immer Telefonzeiten geplant werden müssen, genau wie Zeiträume für Besuche. Und genau das ist das, was mir hier fehlt. Das mal so, ohne große Ankündigung bei jemandem vorbeizukommen: für einen Kaffee, einen Drink oder zum Schweigen.
HHeartbreak und die Bayern Krise
Für mich lebt eine Stadt und ein zu Hause von den Menschen. Dem Lachen, der Wärme und der Zeit, die sie miteinander teilen. Sicherlich ist der Neuanfang nicht leicht. Das weiß ich – das sagen alle. Aber sich zu bemühen und keine Ergebnisse zu sehen ist nun mal kein schönes Gefühl. Denn ich bin lost wie noch nie und das ist ein ungewohntes Gefühl, dass ich so schnell wie möglich loswerden möchte. Und auch wenn ich dich die meiste Zeit echt hasse, München, will ich zeitgleich so unbedingt warm mit dir werden. Aber irgendwie ist diese Stadt wie ein unerreichbares Coolkid, an dem ich mir (hoffentlich nicht) die Zähne ausbeißen werde.
4 Antworten zu “HHeartbreak und Bayern-Krise oder wie es sich anfühlt die (räumliche) Comfort Zone zu verlassen”
Liebe Fatima,
das ist mein erster Kommentar, den ich jemals unter einen Artikel schreibe, weil mich dein Text so sehr berührt hat! Vor 7 Jahren bin ich ebenfalls aus dem hohen Norden in eine andere Stadt gezogen (Leipzig) und habe mein ganzes geliebtes Studentenleben zu Gunsten eines tollen Jobs aufgegeben. Obwohl Leipzig damals schon schwer angesagt war und ich – wie du – ebenfalls versuchte, warm mit der Stadt zu werden, fiel mir insgeheim immer auf, was die Stadt alles nicht hatte (keine Möwen, kein Meer, keine Franzbrötchen, kein Moin).
Bei mir dauerte es schließlich um die zwei Jahre, bis ich an einem Sommertag durch Leipzig radelte und dachte: Es ist gut so wie es ist. Zwischen mir und Leipzig ist es nicht die Liebe auf den ersten Blick geworden wie mit der alten Stadt, aber eine vertrauensvolle, vielleicht „erwachsene“ Beziehung. Die Sehnsucht ist jedoch immer geblieben! So sehr, dass ich nächstes Jahr in die alte Stadt zurückziehen werde – voller Vorfreude und Nervosität! Denn so sehr mich mein Herz zurückzieht, weiß ich: Die letzten. 7 Jahre „in der Fremde“ waren unendlich wertvoll für mich. Gerade weil nicht alles so leicht war, ich mir so vieles erkämpfen musste, komme ich als eine andere, gefestigtere, ja, irgendwie erwachsene Person wieder, die ich heute mehr mag als die Studentin von damals. Das habe ich viel Leipzig zu verdanken.
In dem Sinne wünsche ich dir von ganzen Herzen, dass du bald ein, zwei wirklich tolle Menschen triffst, die dir helfen, dich in München etwas heimischer zu fühlen. Der Rest ergibt sich dann von allein. Oder du merkst, dass du eben einfach durch und durch ein Nordlicht bist – am Ende sind Jobchancen auch nicht alles! Wie du dich auch entscheiden wirst: Ich bin sehr gespannt, deinen Weg hoffentlich auf amazed weiterzuverfolgen und wünsche dir ganz viel Kraft und Zuversicht!
Alles Liebe,
Luisa
Liebe Fatima,
Danke für deinen ehrlichen Text! Fühle gerade sehr mit dir. Bin dieses Jahr schon zum zweiten Mal in eine neue Stadt gezogen und es ist nicht easy. Auf der einen Seite versucht man neue Leute kennenzulernen auf der anderen Seite mit alten Freunden und Bekannten die Bindung aufrechtzuerhalten. Beides funktioniert nicht immer reibungslos. Die sozialen Fähigkeiten werden auf die Probe gestellt. Beim ersten Umzug dieses Jahr bin ich all in gegangen: Bumble Friends, habe entfernte Bekannte angeschrieben, habe mich dazu gedrängt außerhalb meine Comfort Zone zu bewegen (bin alleine auf ein Event gegangen – my personal introvert hell). Es war anstrengend und frustrierend. Wie du schon meintest: Viele unbeantwortete Texte, lose Kontakte, irgendwie niemand auf den man sich wirklich verlassen kann. Jetzt bei meinem Umzug habe ich mir vorgenommen etwas netter zu mir selbst zu sein, es langsamer angehen zu lassen. Mich nicht in Situationen zu drängen, die mir unangenehm sind. Klar muss man da abwägen – ganz ohne Unannehmlichkeiten funktioniert ein Neuanfang wohl nicht. Aber es ist okay, sich Zeit zu geben. Sich zu sagen, dass es besser wird und nur eine Phase. Jetzt steht ein langes Wochenende an, vor dem es mir ein wenig bammelt denn ich werde wohl viel Zeit alleine verbringen. Aber das ist okay. Liebe Grüße, Isabell
[…] ganzen Trubel. Aber wirkliche Einsamkeit kannte ich so noch nicht. Vor allem München (und meine Bayern-Krise) haben mir im vergangene Jahr oft das Gefühl gegeben, mich zu zerdrücken. Ich hatte oft Phasen, […]
[…] zu einer überwältigenden Anstrengung geworden. Ich befinde mich in einer Sinnkrise. Und da hilft Bayern nicht wirklich dabei. Gerade kommt alles zusammen und nichts macht mehr Sinn. Keine Worte lassen […]