Unpopular Opinion: Ich hasse Zoom, Google Hangout & alle anderen Videocalls

7. Mai 2020 von in

Ich bin eine schlechte Freundin. Zumindest fühlt es sich manchmal so an, denn obwohl ich meine Stärken als Freundin erkenne, weiß ich auch von meinen Schwächen. Ich kann gut zuhören und gebe meistens gute Ratschläge, ich bin loyal und solidarisch. Doch ich bin miserabel im Kontakt halten. Das merke ich spätestens seit meines Umzugs nach Berlin. Mit Ach und Krach schaffe ich es, bei meinen Freundinnen quartalsweise ein Lebenszeichen von mir zu geben, und bestenfalls einmal die Woche mit meinen Eltern zu telefonieren. Ich vergesse Geburtstage. Regelmäßig. Und nun stellt die Quarantäne-Zeit meine Unfähigkeit, regen Kontakt zu halten, auf die Probe. Denn durch die Kontaktsperre bin ich mit meinen Schwächen in Freundschaften mehr konfrontiert denn je.

Digitaler Kontakt war nie wichtiger, als momentan. Doch ich werde auf eine Probe gestellt, denn ich hasse Zoom, Google Hangout, Skype, Houseparty – und alle anderen Videocalls.

Die Idee klingt so gut. Der Freundeskreis trifft sich auf Zoom oder Google Hangout oder anderen Videocalls wie diesen. Wie früher, mit einem Glas Wein in der Hand, zum Abendessen, oder im Schlafanzug, während es aus einer großen Teetasse dampft. Was in der Fantasie schön klingt, ist in der Realität purer Stress für mich.

Die Stille im Gespräch wirkt plötzlich selbst bei meinen besten Freunden wie ein Elefant im Raum, den man bloß nicht erwähnen soll. Sie ist unmöglich auszuhalten. Es wirkt fast schon, als würde ich meine guten Freunde daten. Ähnlich konzentriert und auf der Hut bin ich, einen regen Gesprächsfluss beizubehalten. Bei den virtuellen Treffen gilt es, die Stille konstant zu ersticken. Gleichzeitig aber keinen zu unterbrechen, da ansonsten pures Chaos entsteht und die TeilnehmerInnen nur Bahnhof hören.

Ein Videocall-Gespräch läuft in solchen Fällen wie folgt:

„Was hast du eben gesagt?“
Gleichzeitig stellt die unterbrochene Person dieselbe Frage.
„Was hast du eben gesagt?“
„Haha, jetzt haben wir beide gefragt.“
„Sag du zuerst“
„Meins war eh unwichtig, sag du“
Stille.
Beide setzen wieder gleichzeitig an.
An dieser Stelle gibt die Klügere nach und lässt die jeweils andere Person sprechen, damit endlich das Gespräch weiter gehen kann. Es stimmt auch. Beide haben nichts Wichtiges zu sagen. Ihre Geschichte schließt sie also ungefähr so ab:
„Naja. Ich habe nur gesagt, dass ich heute staubgesaugt habe. Das hab ich ewig nicht mehr und war echt nötig. Was wolltest du sagen?“
„Ich war heute spazieren!“
„Cool!“
Jetzt geht es wieder darum, eine Stille zu füllen. Und so weiter.

In großen Runden ab drei Personen kann ich schlicht unmöglich ein normales, entspanntes Gespräch führen. Wie früher. Es empfiehlt sich deshalb, die Gruppen-Hangouts einem Thema zu widmen. Online-Spiele zum Beispiel sind eine gute Möglichkeit, seinen Freundeskreis in der Gruppe zu sehen, aber keine unangenehmen Stellen zu füllen. Jetzt muss man halt nur noch Spiele mögen. Zwar habe ich mich Zeit meines Lebens erfolgreich um Brettspiele wie Mensch ärgere dich nicht, Monopoly und Siedler von Catan gewunden, doch ein paar Spiele mag ich auch. Nächste Woche werde ich ein Exit Game über Skype spielen. Der letzte Schritt zu Dungeons & Dragons ist dann nicht mehr weit weg. Wartet nur ab. 

Trotzdem lösen auch die Onlinegames in mir nicht das größte Problem, das ich mit digitalem Kontakt habe: die Screentime. Aufgrund meiner freiberuflichen Tätigkeit in der virtuellen Welt mache ich sowieso nichts anderes, als den gesamten Tag aufs Handy oder den Laptop zu starren. Meine Freundschaften und alle Aktivitäten, die darüber hinausgehen, sollen deshalb offline stattfinden. Sie sollen eine Erholung  sein. Meine Augen sind quadratisch davon, dass ich so viel in den Bildschirm starre wie wahrscheinlich noch nie in meinem Leben. Da habt ihr es. Meine Screentime belastet mich so stark, dass ich mich abends nicht mehr entspannen kann. Selbst Netflix bleibt häufiger aus und ich winde mich um Zoom-Treffen, um weitere Bildschirmzeit zu vermeiden.

Sicher bin ich in einer priviligierten Position, da ich mitten in Berlin wohne und sowieso Offline-Kontakte mit Sicherheitsabstand pflegen kann. Für diejenigen, die die Quarantäne tatsächlich isoliert im Outback verbringen, sind Online-Hangouts besser als nichts. Doch ich lebe nun mal nicht isoliert.

Für mich hinkt der Versuch, eine Imitation von früher zu kreieren. Denn es fühlt sich nicht an wie früher. Wir leben in einer Ausnahmesituation, die kein „wie früher“ zulässt. So dankbar ich für das Internet bin, so sehr graust es mir, mein gesamtes Leben auf dem Bildschirm führen zu müssen. Die Treffen mit meinen Freundinnen sind mir Gold wert, aber doch gerade aus dem Grund, weil sie in der realen, analogen Welt stattfinden. Die Befriedigung stellt sich bei mir im Digitalen nicht ein.

Wahrscheinlich bin ich eine Oma, die sich die „alten Zeiten“ zurück wünscht. Dabei wünsche ich mir nur meine Freundinnen und Freunde zurück, die ich jeden Tag vermisse. Ich will sie umarmen, ihnen Küsse auf die Wange drücken, ihren Lippenstift auf meinen Lippen testen, mit ihnen ein Bier teilen, gemeinsam stundenlang in einem Park sitzen, abends in eine Bar ziehen. Die gute, alte Zeit.

Mir ist bewusst, dass sich die alte Zeit so schnell nicht wieder einstellen wird. Doch meine Lösung darf keine Imitation der Realität sein. Stattdessen greife ich das nächste Mal vielleicht zum Handy und telefoniere bei meinem Abendspaziergang. Denn, wenn man es sich genau überlegt, ist Telefonieren doch ziemlich analog.

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5 Antworten zu “Unpopular Opinion: Ich hasse Zoom, Google Hangout & alle anderen Videocalls”

  1. Danke für diesen Text! Ich leite Theatergruppen und probe mit einer Gruppe gerade online weiter. Mehrere Teilnehmende sind aus den von dir genannten Gründen nicht dabei oder tun sich sehr schwer damit. Auch einige gute Freunde von mir haben das Problem, weshalb ich zu ihnen auch nicht viel Kontakt habe im Moment. Videochats sind wirklich am schwierigsten, wenn man „ohne Grund“ zusammenkommt. Stattdessen habe ich einfach mal an alle Freunde Postkarten, Briefe und kleine Päckchen geschickt. Von einigen kam auch ganz tolle Post zurück, andere haben mich dann per WhatsApp und Co kontaktiert. Das ist zwar nicht so der Austausch wie in einem klassischen Gespräch, aber man kann immerhin nicht gleichzeitig sprechen.:D

    Viele Grüße,
    Sarah

  2. Haha du sprichst mir aus der Seele, liebe Amelie. Ich versuche schon immer Ausreden zu finden um nicht an diesen ständigen Skypecalls mit dem Freundeskreis teilnehmen zu müssen. Auch das ist allerdings gar nicht so einfach in Zeiten, in denen nun mal jeder Abends Zuhause sitzt ;).

  3. So unpopular ist die opinion glaube ich gar nicht. Mich nervt es auch!
    Zoom meetings von der Arbeit aus klappen aber eigentlich ziemlich gut (außer die schlechte Tonqualität von meinem Chef. Er könnte sich ein Headset zulegen… aber nein! Der gute Herr hat ja Kopfhörerallergie.). Ich habe in der Vergangenheit anscheinend viele Geschäftreisen gemacht, die man auch ganz ok in einer Zoomkonferenz klären kann.

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