Gillette: Die richtige Botschaft im Falschen
Dunkelblauer Hintergrund, ein kerniger Typ im Anzug vor’m Waschbecken, der sich konzentriert den Rasierschaum von der Wange hobelt und eine tiefe Stimme, die irgendwas extrem Männliches sagt: So war Werbung für Männerrasierer mindestens drei Dekaden lang. Diese Woche war damit Schluss. Denn Gillette, einer der größten Rasiererhersteller der Welt, hat einen Werbespot veröffentlicht, der das Unglaubliche wagt: Männlichkeit hinterfragen.
The Best Men Can Be?
Wer sich schon ein wenig mit binären Geschlechterbildern, Feminismus und toxischer Männlichkeit befasst hat, für den beinhaltet der Spot keine schockierend neuen Forderungen: Er kritisiert die immer noch gängige Definition von Männlichkeit, die mit der Unterdrückung von Emotionen, der Zurschaustellung von körperlicher Stärke, Potenz, Dominanz, Gröhlen, Rülpsen, Grillen und Prügeln einhergeht. Und fordert Männer auf, es besser zu machen.
So weit, so nachvollziehbar. Würde man meinen. Schließlich geht es hier offensichtlich nicht darum, alle Männer dieser Erde zu dämonisieren. Es geht darum, unsere gängige Definition von Männlichkeit zu kritisieren – das ist etwas komplett anderes. Denn die ist tatsächlich gefährlich und schädlich – für Frauen, aber auch in fataler Weise für alle Männer (yes, all men!). Etliche Studien belegen das.
Harmlose Message, riesiger Aufschrei
Der Aufschrei war dennoch riesig: Tausende von Männern unterstellen Gillette Männerhass und das Reproduzieren von Klischees und spülen ihre Rasierer sogar tatsächlich in wütenden Anfällen in der Toilette runter (nicht, ohne vorher ein Foto für Twitter gemacht zu haben). Uff. Wo fang ich an?
Ja, es stimmt: In diesem Spot werden Klischees reproduziert. Wer den Spot allerdings wirklich gesehen hat, der müsste auch bemerkt haben, dass diese Klischees im selben Zug entkräftet werden. Als ein Mann versucht, einer Frau hinterher zu pfeifen, hält ein anderer ihn ab. Der Spot zeigt, wie Männer Frauen sexualisieren – und er zeigt Terry Crews, der im Fernsehen eine Rede zu #metoo hält. Er zeigt Jungs, die sich prügeln – und Männer, die sich versöhnen. Was der Spot fordert, ist das Verabschieden von Klischees – und das Verabschieden dem Druck, ihnen entsprechen zu müssen, um als „echter Kerl“ zu gelten. Er versucht, Mut zu machen, Männlichkeit neu zu denken. Eigentlich ruft er zu nichts anderem auf, als zu ein bisschen mehr Empathie. Wer sich davon getriggert fühlt, nun… der hat vermutlich Anlass dazu. Wenn eine Werbung ihre Zielgruppe dazu aufruft, keine Arschlöcher zu sein und die Werbung dann die „Zielgruppe verschreckt“ – dann sagt das viel über die Zielgruppe.
Dich stört die #GilletteAd? Gut. Denn du bist gemeint.
— unsen_sibel (@sibelschick) 16. Januar 2019
Es handelt sich immer noch um Werbung
Ist der Spot also Grund zur Freude? Jein. Bei all der Euphorie sollten wir nämlich eine Sache nicht vergessen: Es handelt sich immer noch um Werbung. Lasst euch nicht täuschen: Dass Gillette nun Empathie und Kritikfähigkeit für sich entdeckt hat, bedeutet nicht, dass der Konzern plötzlich politische Verantwortung übernimmt oder tatsächlich die Welt verbessern will. Es bedeutet auch nicht, dass der Kapitalismus ein menschliches Antlitz entwickelt. Es bedeutet lediglich, dass Gillettes Werbeagentur es für strategisch klug hielt, mit dieser Kampagne Aufmerksamkeit zu generieren. Genauso, wie es bisher eben effizienter war, klassische Männlichkeitsbilder zu reproduzieren, besagt der Zeitgeist nun anscheinend, dass es funktioniert, diese kontrovers zu hinterfragen. Und das wiederum bedeutet, dass das Hinterfragen des kernigen Typs im Anzug und der traditionellen Männlichkeit nun im Mainstream angekommen ist. Konzerne werden nicht feministisch – aber feministische Denkweisen sind inzwischen so einflussreich, dass man nicht mehr um sie herum kommt. Hättet ihr eine solche Werbung vor fünf Jahren für möglich gehalten? Wir sollten nicht Gillette auf die Schultern klopfen, sondern uns selbst.
Empathie ist jetzt werbewirksam
Der Kapitalismus wird so schnell nicht enden – leider. So lange er noch in seiner heutigen Form existiert, kann man keinem Konzern in Gillettes Größenordung tatsächlich ethisches Handeln unterstellen. Werbung ist und bleibt kalkuliert und dient allein der Gewinnmaximierung. Das dürfen wir nicht vergessen. Aber es gibt, meiner Meinung nach, trotzdem einen bisschen Grund zur Freude: Denn dass wir nun in einer Zeit leben, in der das Hinterfragen binärer Geschlechterbilder in der Werbung angekommen ist, bedeutet, dass sich etwas getan hat. Es bedeutet, dass wir nicht ständig nur gegen Wände reden – auch, wenn es sich die meiste Zeit so anfühlt. Empathie ist jetzt werbewirksam. Das macht unser System nicht fairer, aber zumindest unseren Zeitgeist aufgeklärter. Und Männer mit einem überholten Männlichkeitsbild sauer. Schon allein deswegen ist diese Entwicklung begrüßenswert. Auch, wenn sie als kalkulierte Werbemaßnahme stattfindet.
Bildcredits: Annie Spratt via Unsplash
5 Antworten zu “Gillette: Die richtige Botschaft im Falschen”
Was den hunderttausenden Frauen und Männern aufstößt, die diesen Spot kritisieren, ist, dass Männer hier als per default schlechte Menschen gezeichnet werden.
Und diese Schlechtigkeit sei zu überwinden, wie es einige (some, nicht most, some – die Feinheiten des Wordings hier sind sehr auf die Gruppe zugeschnitten, die dafür vorgesehen war, das Video viral zu machen, und sind zu beachten!) schon getan hätten, was impliziert, dass der Großteil der Männer Verhaltensweisen an den Tag legt, die im gesellschaftlichen Konsens als negativ gelten?
Ich weiß nicht, wo man das feiern kann – zudem sich die Autorin hier, allem virtue signalling zum trotz, zur Helferin einer Werbekampagne macht, nicht mehr.
Ja, mich stört also die Gilette-Ad. Nicht eigentlich die Botschaft des menschlichen Miteinanders, die ist zu begrüßen, aber sie rückt ohnehin hinter einer anderen Botschaft in den Hintergrund: (Weiße) Männer sind schlechte Menschen und müssen eine bewusste Anstrengung unternehmen, um das zu ändern.
Laut dem verlinkten Tweet bin jetzt also ich mit der Werbung gemeint. Ich bin ein Grapscher, ein Bully, jemand der Frauen nicht ernst nimmt. Weil ich Kritik übe.
Diese Rhetorik, die immer häufiger zu beobachten ist, versucht, Kritik an einer Sache durch die Diskreditierung des Kritikübenden zu invalidieren. Dass das für den Diskurs ebenso wenig förderlich ist wie die AfD und im Prinzip auch von Donald Trump kommen könnte fällt der Autorin offenbar gar nicht mehr auf. Mag an der Bubble liegen, vielleicht hatte auch Ted Kaczynski Recht und im Endefeffekt geht es bei der Nummer nicht um Gerechtigkeit, sondern um Macht.
Ich bin trotzdem so naiv und wünsche mir einen klugen, kritischen Diskurs in dem nicht jeder, der eine andere Meinung hat „Teil des Problems“ ist. Diese Haltung führt in ungutes Terrain.
Ich finde es schwer nachvollziehbar, wie man diesen Spot so verstehen kann. In keiner Sekunde lese ich heraus, dass „alle Männer per default schlechte Menschen“ sind. So eine Aussage würde ich auch nie unterstützen.
Dass den Spot offensichtlich dennoch so viele Männer (und Frauen) so auffassen, gibt mir zu denken. Denn das bedeutet in meiner Logik, dass jedwede Kritik an der gängigen Ordnung direkt als Diffamierung aufgefasst wird – und wie soll man so denn etwas zum Positiven ändern? Kritik muss erlaubt sein, und ich finde sie sehr passend und überhaupt nicht generalisierend. Was generalisierend ist, ist das Männlichkeitsideal, das bei uns immer noch vorherrscht.
Wenn du dich vom Spot angesprochen fühlst, heißt das nicht, dass du direkt ein Frauen begrapschendes Monster bist. Ich verstehe nicht, wie man das aus dem Spot herausliest. Es heißt, dass deine Männlichkeitsdefinition vielleicht ein Update gebrauchen könnte. In deinem eigenen Interesse.
Was hier kritisiert wird, sind nicht „die Männer“ sondern „die Männlichkeit“ – so wie sie bei uns definiert wird. Wieso fällt es so vielen Menschen so schwer, das zu unterscheiden und sich nicht persönlich angegriffen zu fühlen? Es tut mir Leid, aber es gibt meiner Meinung nach keinen Grund, offended zu sein.
Vorneweg: Ich bin nicht offended. Ich kritisiere. Da ist ein Unterschied. Mir persönlich ist die Werbung an und für sich egal, ich betrachte nur ihren Beitrag zum ohnehin schon unsachlichen gesellschaftlichen Dialog als problematisch.
Das (leider nach wie vor) vorherrschende „Männlichkeitsideal“ hat Lebensrealitäten und Individuen nie Rechnung getragen (ebenso wie das Ideal von Weiblichkeit) und es ist gut und wichtig, dass diese Generalisierungen hinterfragt werden. Ich frage mich allerdings, ob das in diesem Spot wirklich stattfindet. Was wird denn hier als „Männlichkeit“, also männliches Verhalten präsentiert? Mobbing, physische Gewalt, Belästigung und Nichtachtung anderer. Das ist in etwa so als wolle man das Weiblichkeitsideal kritisieren und zeigte eine faule Hausfrau, die das Konto ihres Mannes leer räumt oder eine Frau, die sich daran freut, wie sich Männer ihretwegen die Schädel einschlagen.
Ich vermute, dass das sehr viele Frauen persönlich nehmen würden. Nicht, weil sie so sind, sondern weil so allen Frauen der Verdacht übergestülpt würde, so sein zu können.
Hier kommt das Wording in’s Spiel. Das zielt meinem Eindruck nach darauf ab, die oben aufgeführten „männlichen“ Verhaltensweisen als weit verbreitet darzustellen. Da kommt das „some“ in’s Spiel. „Some already are“ – Das impliziert nun mal zwei Mengen. Und hier geht es ganz klar nicht mehr um ein Prinzip wie Männlichkeit, sondern um das tatsächliche Verhalten von individuellen Männern.
Damit wird in unserem Fall die Kritik in der Wahrnehmung nicht nicht mehr Kritik an „toxic masculinity“ (übrigens ein ziemlich kontraproduktiver Begriff), sondern eben ein Generalverdacht gegenüber einem ganzen Geschlecht, wo sich eben nur „some“ korrekt verhalten.
Ich verstehe durchaus die im Artikel geschilderte Perspektive – auch wenn ich eben das Kleinmachen von Kritik, wie es in dem Tweet oder dadurch sie generell als „Offended-sein“ beiseite zu schieben versucht wird, absolut nicht leiden kann – aber ich bin der Meinung, dass die durch die Werbung transportierte Message bewusst so ambivalent gewählt wurde, dass daraus ein kalkulierter Shitstorm entstehen musste. Das hätte man anders machen können.
Und ehe man sich über die ganzen Doofen freut, die sich aufregen, sollte man sich vielleicht fragen, ob dieses Ding der Sache, nämlich ein gleichberechtigtes, menschliches und von Respekt geprägtes Miteinander zu schaffen, nicht vielleicht eher schadet, so wie es erhobene Zeigefinger seit Menschengedenken getan haben?
Ich schließe übrigens nicht aus, dass ich völlig Unrecht habe und aus gekränkter fragiler Männlichkeit nicht sehen will, wie positiv der Clip ist. Halte es nur für unwahrscheinlich.
So, Feierabend, ich wünsche dir ein schönes Wochenende!
Tatsächliche scheint es stark von der Perspektive des Individuums abzuhängen was man sieht. Du schreibst „Was wird denn hier als „Männlichkeit“, also männliches Verhalten präsentiert? Mobbing, physische Gewalt, Belästigung und Nichtachtung anderer. “ Ich sehe ein Verhalten das mitfühlend/empathisch ist, wo eben ein Mann einem anderen aufzeigt, dass bestimmte Dinge nicht ok sind. Ich würde erwarten, dass das Video einen Mann ermutigt zukünftig genau in diesen Situationen einzugreifen, wo man früher sich vielleicht zurück gehalten hat. Ich sehe es wie eine Kindergeschichte mit einer Moral am Ende – nämlich sich bei diesen komplexen Situationen einzuschalten (nur nicht nur die Katze aus dem Bach zu retten, übertrieben ausgedrückt)
Die Männerhass-Werbung hat Gillette Milliarden und einen gigantischen Verkaufseinbruch gekostet. Heute, 5 Jahre später, hat Gillette alle Spuren des Spots gelöscht. Auf Twitter etwa wurden alle Beiträge zwischen 2017 und 2022 von Gillette entfernt. Von der verantwortlichen Werbechefin ist nichts mehr zu lesen.
Karma.