Gewalt an Frauen: Warum wir Femizide endlich benennen müssen

9. November 2020 von in

Mitten in der ersten Corona-Ausgangsbeschränkung habe ich Katrin Biber kennengelernt. Digital natürlich. Aber uns einte das Schicksal, dass unsere beiden ersten Bücher genau mitten in der weltweiten Pandemie erscheinen sollten. Unser Plan, am 6. April in München und Innsbruck in die Buchhandlung zu gehen, fiel ins Wasser. Dafür tauschten wir uns digital aus, redeten über Sorge, Ängste und Zweifel, aber auch über unseren Stolz und Zuversicht, dass unsere Bücher genau zur richtigen Zeit erscheinen würden.

Während ich ein Buch über Angst geschrieben hatte, ging es in Katys Buch um den Mord an ihrer Schwester Larissa. 2013 wurde ihre kleine Schwester von ihrem Freund ermordet. Ein Verlust, der bis heute für Katys Familie nur schwer zu greifen ist. Trost fand Katy erst im Sport, dann im Schreiben. Ihr Buch „Larissas Vermächtnis“ wurde zum Bestseller in ihrem Heimatland Österreich. Kein Wunder, bis heute ist der Fall Larissa in Österreich präsent, viele Menschen hatten mit der Familie mitgehofft und gebangt – und am Ende auch getrauert.

Heute, sieben Jahre später, spricht Katy offen über den Fall. Der Tod ihrer Schwester ist ihr Antrieb, über Gewalt an Frauen und Femizide aufzuklären und auch Trauerarbeit in den Fokus unserer Gesellschaft zu rücken. Jeden Tag versucht ein Mann in Deutschland seine (Ex-)Frau zu töten. Jeden dritten Tag endet der Versuch tödlich. Femizide sind keine Seltenheit, sondern Alltag für viele Frauen. Für Katy steht fest: Wir müssen darüber sprechen und diese Taten auch endlich benennen.

Ich habe mit Katy über das Thema Femizide gesprochen,
was sie über Trauer gelernt hat und warum es so wichtig ist,
toxische Beziehungen frühzeitig zu erkennen.

Katy, du setzt dich in Österreich und Deutschland für das Thema Femizide ein – warum ist dir das so wichtig? Magst du mehr zum Fall deiner Schwester erzählen?

Im September 2013 wurde meine 21-jährige Schwester Larissa von ihrem Freund ermordet. Sie verschwand nach einer Party, die ich veranstaltet hatte. Sie sollte bei ihrem „Freund“, den sie damals frisch kennengelernt hatte, schlafen, doch am nächsten Morgen schrieb er mir, sie hätte mitten in der Nacht seine Wohnung ohne Kommentar verlassen. Von Larissa fehlte jede Spur. Doch ich spürte sofort, dass etwas passiert ist. Zwei Wochen lang haben meine Familie und ich sowie die Polizei in ganz Tirol und Bayern nach ihr gesucht. Ihr Freund half ebenfalls mit. Bis ihm ein Fehler unterlief, und die Polizei herausfand, dass er Larissa in der Partynacht erwürgt und ihre Leiche im Inn entsorgt hatte. Dieses Ereignis hat mein Leben auf den Kopf gestellt und mich wütend, verzweifelt und einsam zurückgelassen. Der Weg bis zur Verhandlung begann, und er war die reinste Hölle. Der Täter hatte eine narzisstische Persönlichkeitsstörung und bekam 20 Jahre mit anschließender Sicherungsverwahrung. Viele Fehler sind meiner Meinung nach in der Zeit passiert, gesellschaftlich, aber auch auf staatlicher Seite. Deshalb ist es mir so wichtig, über Femizide öffentlich zu sprechen, aufzuklären und zu verändern. Es ist wichtig, präventiv über Femizide und Gewalt an Frauen aufzuklären und Angehörige nach solch einer Tat bei der Verarbeitung zu begleiten.

 

 

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#challengeaccepted #womensupportwomen Eine Hashtagwelle erreicht wieder die sozialen Medien. Mit einem ernsten Hintergrund, den leider nur die wenigsten in ihren Beiträgen bringen, der aber im Vordergrund stehen sollte, denn nur so kann aufmerksam gemacht werden. In der Türkei sind allein im Juli 40 Frauen ermordet worden. Nicht von fremden Menschen, sondern von Familienangehörigen, fast immer Männern. #Femizide die nicht nur die Türkei betreffen, sondern viele Länder dieser Welt. Sie sind keine Einzelfälle oder Dramen und Tragödien. Sie sind systematisch verbunden mit der Machtverteilung zwischen Mann und Frau. Sie beginnen fast immer mit Kontrolle, psychischer Gewalt und gehen über in körperliche Gewalt und Wegsperren. Wer sich dagegen wehrt, stirbt, fast immer. Ich habe dieses Foto gewählt, um an meine Schwester zu gedenken, die genauso von ihrem „Freund“ ermordet wurde. Ich habe nicht nur ein Bild von ihr alleine gewählt, weil auch ein Teil von mir mit ihr gestorben ist, ermordet wurde. Denn an jedem Mord hängen gebrochene Herzen, zerfetzt und kaputt getreten, die niemals ganz heilen werden. Gewalt an Frauen muss aufhören. Morde an Frauen müssen aufhören. Wir Frauen sollten uns gegenseitig unterstützen, nicht hinterfragen oder belächeln und beneiden, nur dann haben wir eine gute Chance gemeinsam diese Sache anzugehen. Männer sollten lernen zuzuhören, sich nicht angegriffen fühlen, wenn Frauen selbstbestimmt leben möchten. Ein langer Weg noch, für uns alle. Normalerweise mache ich bei Challenges nicht mit, aber diese liegt mir besonders am Herzen. Wer mitmacht, bitte postet nicht nur ein Foto von euch in schwarz-weiß Look, sondern klärt in eurem Text zur Thematik auf und nützt die Plattform hier zu sensibilisieren. Du bist selbst von Gewalt betroffen? Unter der Nummer 0800 222 555 wird dir geholfen! Danke @jennifer_otte_ und @erika_kronbichler Ich nominiere alle Frauen, die das hier lesen!!! Danke an all die starken Frauen da draußen, euren Mut und euer Durchhaltevermögen. ? #gewaltgegenfrauen #gegengewaltanfrauen #gewaltstoppen #mordanschwester #frauenmorde

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Welche Zeilen in den Tageszeitungen haben dich am meisten verletzt?

Falsche Aussagen haben uns als Familie besonders getroffen, aber auch Fotos, die einfach bei der Beerdigung gemacht wurden. Außerdem fanden wir es schrecklich, wie manche in den Überschriften von Liebesglück, das tödlich endete, oder einem Eifersuchtsdrama sprechen konnten. Es war ein kaltblütiger Mord, ein Femizid, und so sollte es benannt werden.

Warum ist es so wichtig, dass wir Morde an Frauen auch als Femizide bezeichnen?

Weil das Thema Gewalt an Frauen bei uns in der Gesellschaft ein großes Problem ist und sich in Femiziden zuspitzt. Es sind deutlich mehr Morde an Frauen zu verzeichnen, als umgekehrt. Das spiegelt unsere Ungleichheiten innerhalb der Gesellschaft wider. Denn dort, wo noch immer ungleiche Machtverteilung herrscht, passiert vermehrt Gewalt. Und wer denkt, es betreffe nur andere Länder oder Kulturen, der verschließt sich vor der Wahrheit. Gewalt an Frauen ist präsent, und es betrifft jede dritte Frau im Laufe ihres Lebens. Alleine mich hat es mehrfach bereits getroffen, egal ob sexuelle, psychische oder physische Gewalt.

 

 

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Wie lebt man weiter – nach so einem schrecklichen Schicksalsschlag?

In der ersten Zeit überlebt man einfach nur. Man spürt sich kaum noch, fühlt sich selbst wie tot. Ich habe sehr schnell auch psychotherapeutische Hilfe in Anspruch genommen und genauso auch meine Familie. Das Aussprechen meiner Gefühle und Gedanken hat enorm geholfen. Was aber mein Leben gerettet hat, war der Sport. Früher war ich nie besonders sportlich, doch durch eine Knieverletzung musste ich anfangen, meine Muskulatur aufbauen. In Fitnessstudios funktionierte das nicht besonders gut, weil ich ständig weinte. Deshalb verlagerte ich das Training in meine vier Wände und in Parks. Da habe ich schnell gespürt, wie sich meine Gefühle bewegten und sie noch besser nach außen gelangten. Der Sport hat mein Leben nochmal komplett verändert, und ich habe daraus SeelenSport entwickelt, ein Bewegungskonzept nach Gefühlen gerichtet. Damit unterstütze ich heute selbst Trauernde und Frauen nach Gewalttaten. Was mir auch noch sehr viel Halt gegeben hat, war mein soziales Umfeld. Meine Freunde haben mich einfach ausgehalten, wie ich war und mich und meine Trauer nicht bewertet.

Wie wichtig ist es, dass wir über den Tod und die Trauer sprechen?

Wahrscheinlich das wichtigste überhaupt. Denn sind wir uns ehrlich, es ist diese eine Sache, die wirklich alle Menschen im Leben betrifft. Jeder von uns wird sterben, das ist sicher. Doch wir haben den Tod aus dem Leben verbannt, ihn in Heime und Kliniken abgeschottet. Dadurch sind wir umso mehr überfordert, wenn er uns dann betrifft. Die Worte fehlen dann und der sensible Umgang damit. Tod und Trauer passen nun mal nicht in unsere moderne und schnelllebige Leistungsgesellschaft. Trauer aber braucht Zeit, Geduld, und viel Mitgefühl. Wenn wir ihr das nicht geben, entstehen daraus psychosomatische Krankheiten, Erschöpfung, Burnout und Depressionen. Wir müssen also Trauer und Tod endlich wieder mehr in unser Leben integrieren und uns damit auseinandersetzen. Denn am Ende macht uns das Durchleben von Trauer wieder lebendiger und glücklicher. Das kann ich heute sagen. Auch ich bin heute viel glücklicher mit meinem Charakter, meinem Tun, meinen Entscheidungen. Öfter mal den Pauseknopf drücken, sich der Endlichkeit bewusst werden, den Gefühlen Raum geben und das Leben wird wieder lebenswerter und schöner.

Wir müssen also Trauer und Tod endlich wieder mehr in unser Leben integrieren und uns damit auseinandersetzen. Denn das Durchleben von Trauer macht uns lebendiger und glücklicher.

Was hast du in den vergangenen Jahren über
… Trauer gelernt?

Sie ist ein wichtiger Teil unseres Lebens, der wie eine Freundin ist, die dir sagt, wenn du mal wieder den Blick nach innen richten, dir Ruhe und Entspannung gönnen solltest. Sie darf da sein und wird niemals ganz aufhören. Manchmal etwas schwächer und dann eben wieder stärker. Lernen wir ihr zuzuhören, bereichert sie unser Leben.

… über das Vergeben?

Manche Dinge, wenn Grenzen weit überschritten wurden, können nicht vergeben werden. Das wichtigste ist sich selbst zu vergeben und mit sich im Reinen zu sein.

Was wünscht du dir von der Gesellschaft zum Thema
… Tod?

Dass es einen offenen Umgang damit gibt und normal darüber gesprochen werden darf und kann.

… über das Thema Frauenmorde?

Viel zu wenig wird präventiv aufgeklärt und informiert, dafür aber zu viel falsch und verletzend darüber in den Medien berichtet.

…und über das Thema Femizide?

Dass hier sensibler und klarer damit umgegangen wird und wir diese Bezeichnung viel öfter und deutlicher verwenden und wir uns verabschieden von dummen Floskeln und Fragen, die keinem Angehörigen helfen, wie etwa woher der Mörder stammte oder was das Opfer denn getan hätte, dass es soweit gekommen war. Generell, dass wir nicht den Fokus immer auf die Mörder legen, sondern vielmehr auf die Opfer, und ihre Leben ins Zentrum holen. Natürlich auch dass die generelle Problematik der Gewalt an Frauen ernst genommen wird.

Wie sind deine Erfahrungen, wenn du das Thema Femizide ansprichst?

In meinem Umfeld bestärken mich alle. Bei fremden Leuten spüre ich manchmal Unsicherheiten und Ängste, die damit ausgelöst werden.

In meinem Umfeld haben die meisten Frauen immer Angst vor dem unbekannten Mann im dunklen Park. Dabei ist der nahestehende Mann eher eine Gefahr, oder?

Es sollte vielmehr in Medien aufgeklärt werden, wo Gewalt beginnt, wie sich Gewalt zeigt und betont werden, dass wir Frauen sehr wohl Nein sagen dürfen, aus der Situation gehen können und uns Hilfe holen können. Viel mehr sollte in jeder Werbung vorkommen, wo es so eine Hilfe gibt, wie ich sie in Anspruch nehmen kann. Zudem muss noch mehr in Schulen darüber aufgeklärt werden, weil es ja eben meistens den häuslichen Bereich betrifft und hier dann ja keine Hilfe und Aufklärung geschieht, sondern die Gewalt selbst. Hier muss aber auf beiden Seiten aufgeklärt werden. Wie können Männer mit ihren Gefühlen anders umgehen, was bedeutet Wut und wie kann ich eine gewaltfreie Kommunikation führen. Wo gibt es Hilfe und Ansprechpartner für Täter.

Wenn wir vorsorglich auch Täterarbeit leisten,
helfen wir gleichzeitig wieder den Frauen.

Wann fängt deiner Meinung nach physische oder psychische Gewalt in Beziehung an?

Dort, wo über deine Handlungsfähigkeit und Freiheit hinaus Kontrolle ausgeübt wird, du als Betroffene in der Beziehung Angst vor bestimmten Handlungen, Aussagen haben musst, dann ist das schon eine toxische, gewaltvolle Beziehung. Es beginnt im Kleinen, mit unterschwelligen Beleidigungen, kleinen Angriffen, die dann immer häufiger werden und kann bei Mord enden. Das betrifft auch die ökonomische Gewalt, die Kontrolle über Finanzen, Kilometerstand und so weiter beinhaltet. Der Gewalttäter möchte die Partnerin kontrollieren, übt Macht aus, hat „das Sagen“, verletzt absichtlich mit Worten oder Schlägen, verunsichert in der Wahrnehmung und zerstört das Selbstbild der Partnerin, spricht regelmäßig Drohungen aus. Eine Partnerschaft wird dann sozusagen zu einer Herrschaft.

 

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Was sind erste Warnhinweise?

Wenn jemand zu Beginn überaus überengagiert ist, die Partnerin überschüttet mit Komplimenten und Geschenken, unrealistische Erwartungen an die Frau hegt, wie etwa alles von den Lippen lesen zu können. Die Schuld immer bei anderen Menschen sucht und selbst perfekt zu sein scheint. Beispielsweise: „Weil du mich nicht lange genug umarmt hast, hatte ich einen schlechten Arbeitstag.“ Wenn enorme Stimmungsschwankungen da sind, er schnell aufbrausend ist, sie oft klein macht, besonders dann, wenn es ihr gut geht. Wenn er dich von deinen Freunden fern hält, sie dir ausredet oder sie schlecht macht. Wenn er Eifersucht zeigt, dich oft nach Details fragt, deine Sachen kontrollieren beginnt. All das sind deutliche Anzeichen, dass es in einer Gewaltbeziehung endet. Das wird niemals besser werden, sondern diese Spirale dreht sich nur abwärts!

Was möchtest du Frauen mit auf den Weg geben?

Wenn ihr spürt, dass euch jemand respektlos behandelt, euch kontrollieren möchte, dann beendet die Beziehung und hört auf die innere Stimme und das Bauchgefühl. Es hat recht, und ihr könnt da noch raus kommen! Traut euch Nein zu sagen, zu euch zu stehen, holt Hilfe und sprecht darüber!

Katrin Bibers Buch „Larissas Vermächtnis“ ist im Frühjahr im Piper Verlag erschienen. Ihr zweites Buch „SeelenSport“ erscheint im kommenden März. Darin geht es um Emotionen wie Angst, Trauer und Wut und wie man diese beim Training bewusst integrieren und abbauen kann.
Hier kann man es vorbestellen.

 

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Eine Antwort zu “Gewalt an Frauen: Warum wir Femizide endlich benennen müssen”

  1. […] – Lesetipp: Antonia Wille, mit der wir über ihr Buch „Angstphase“ gesprochen haben, hat sich auf „amazed“ gerade einem sehr wichtigen Thema gewidmet: der Gewalt an Frauen. Mit Autorin Katrin Biber sprach sie über das Thema Femizide, was sie über Trauer gelernt hat und warum es so wichtig ist, toxische Beziehungen frühzeitig zu erkennen. „Während ich ein Buch über Angst geschrieben hatte, ging es in Katys Buch um den Mord an ihrer Schwester Larissa.“, schreibt Antonia. „2013 wurde ihre kleine Schwester von ihrem Freund ermordet. Ein Verlust, der bis heute für Katys Familie nur schwer zu greifen ist. Trost fand Katy erst im Sport, dann im Schreiben.“ Hier findet ihr das Interview. […]

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