Gehaltsverhandlung: Warum wir Frauen mehr über Geld sprechen müssen

3. November 2020 von in

Die Gehaltsverhandlung: Für viele (Frauen) ein unangenehmes Thema – doch das muss nicht sein. “Im Job habe ich jahrelang  zu wenig gefordert, […] traute mich nicht, mehr zu verlangen“, sagt Mirna Funk über das Thema Bezahlung. Hier verrät sie, wie sich das änderte.

Dieser Text erschien zuerst auf VOGUE.de

Eigentlich kann ich mich erst seit wenigen Jahren als Verhandlungsprofi bezeichnen, obwohl ich auf dem Shuk in Tel Aviv immer gut beim Feilschen war. Aber im Job habe ich jahrelang – wie viele Frauen im Übrigen – zu wenig gefordert, war mit dem Minimum zufrieden, traute mich nicht, mehr zu verlangen. Das änderte sich erst als ich mutiger und selbstsicherer wurde.

Das Verhältnis zu Gehalt(sverhandlungen)

Mit 17 Jahren begann ich, zwei bis drei Mal die Woche als Kellnerin zu arbeiten. Damals gab es Standardsätze, ich glaube es waren 10 DM die Stunde plus Trinkgeld. Das war noch vor der Einführung des Euros. Die Neunziger in Berlin. Irgendwie machte man sich damals wenig Gedanken ums Geld. Die Miete war niedrig und das meiste, was man einnahm, verballerte man eh am Wochenende in irgendwelchen schmuddeligen Technoschuppen. Nach dem Abitur wollte ich Fotografin werden und bekam das Angebot für eines der ersten Online-Magazine als Fotoredakteurin zu arbeiten. Was für eine armselige Gehaltsverhandlung. Nie hatte ich gelernt, wie man eine führt, was der Unterschied zwischen brutto und netto ist oder wie viel man eigentlich verlangen darf. Am Ende bekam ich weniger als in meinem Kellner-Job und hängte die Nummer schon sechs Monate später frustriert an den Nagel.

Nie hatte ich gelernt, wie man eine [Gehaltsverhandlung] führt, was der Unterschied zwischen brutto und netto ist oder wie viel man eigentlich verlangen darf.

Dass Festanstellung gleich schlechter Stundensatz bedeutet, stimmte eine wirklich lange Zeit in meinem Leben. Und immer, wenn ich Gehaltsverhandlungen führen musste, verlor ich jegliche Souveränität, wurde ängstlich und panisch. Das lag daran, dass ich aus einer extrem schwachen Position heraus agierte. Immer brauchte ich den Job so dringend, dass mir egal war, was sie mir zahlen würden. Mir fehlte schlichtweg die Ausgangslage zum guten Verhandeln. Immer musste ich jeden Euro doppelt umdrehen. War auf mich selbst gestellt. Nie hatte ich Erspartes, dass ich auch als Selbstbewusstseins-Booster mit in die Verhandlungen nehmen konnte.

Das führte dazu, dass die Person vor mir förmlich roch, dass sie mich mit einem Scheißgehalt abfrühstücken konnte. Dazu kam, dass ich damals hauptsächlich für Männer arbeitete, die meine Unsicherheit und ihre Machtposition schamlos ausnutzten. Niemand gab mir jemals einen Tipp, wie ich zukünftig mehr Geld rausholen könnte oder bezahlte mich gerecht, wissend um meine finanzielle aber auch persönliche Situation. Viele meiner Auftraggeber waren keine Fremden für mich, sondern sogar Freunde, die mich in ihre Agenturen holten oder mir Jobs als ihre rechte Hand gaben. Während sie mich Ende der Nullerjahre noch mit frechen 1100 Euro brutto abspeisten, wohnten sie längst in Eigentumswohnungen, obwohl sie meist nicht mehr als 15 Jahre älter als ich waren.

Wie sehr hätte ich jemanden gebraucht, der mich zur Seite nimmt und mir in einer halben Stunde das Einmaleins des Verhandelns erklärt. Zum Beispiel, dass man niemals mit nur einem Jobangebot in eine Verhandlung gehen sollte, sondern immer mit mindestens zweien. Dass man ruhig hoch einsteigen kann, weil man sich immer in der Mitte trifft. Ja, dass Verhandeln förmlich zu einem Bewerbungsgespräch dazu gehört und man deshalb keine Angst haben braucht, dass das Gegenüber einem ob der großen Lust am Basar-Style den Job nicht gibt. All das lernte ich sozusagen auf der Straße, durch Niederlagen, aber insbesondere auch durch Erfolge.

Verhandeln gehört förmlich zum Bewerbungsgespräch dazu

Seit ich kaum noch Kapazitäten aufgrund meiner guten Auftragslage (Fingers crossed!) habe, merke ich, dass eigentlich immer mehr geht. Zum Beispiel, wenn man mir 250 Euro für einen Text anbietet und ich sage: “Unter 500 Euro schreibe ich nicht mehr, weil ich die Zeit gar nicht habe” (was die Wahrheit ist), dann dauert es keine drei Tage bis man sich mit meiner Wunschsumme zurückmeldet. Was ich damit sagen will, ist: Bei jeder Zahl, die einem entgegengeschleudert wird, hat der Auftraggeber immer Luft nach oben zum Verhandeln einkalkuliert.

Ihr müsst euch fragen: Was bin ich mir wert? Wie viel brauche ich zum Leben? Wie viel muss ich schreiben, konzipieren oder programmieren, um genug Geld zu haben? Wie lange brauche ich dafür? Wie viel Erfahrung habe ich? Was ist mein Marktwert? Diese Gedanken muss man sich vorher machen, um dann eine Summe für sich selbst zu bestimmen, die man als angebracht erachtet. Aber man muss sich auch aktiv erkundigen. Wie viel bekommt ein Junior oder ein Senior? Wie viel das Management? Wie viel gibt es in den jeweiligen Branchen als Feste und Freie? Ohne Informationen geht man immer als Verlierer in eine Gehaltsverhandlung.

Sprecht mit euren Freundinnen. Googelt das Internet tot. Fragt rum. Seid selbst ehrlich und offen. Wir müssen mehr über Geld sprechen.

Männer schreiben fast immer ihr Wunschgehalt bereits ins Motivationsschreiben. So etwas habe ich bei Frauen noch nie gesehen.

Vor ein paar Jahren, da bekleidete ich gerade eine Führungsposition in einem großen Unternehmen, musste ich Bewerbungen sichten und mir fiel auf: Männer schreiben fast immer ihr Wunschgehalt bereits ins Motivationsschreiben. So etwas habe ich bei Frauen noch nie gesehen. Ich als Führungskraft dachte: Hey cool, der setzt Grenzen, der macht Ansagen, der stellt Forderungen.

Nehmt euch ein Beispiel daran und bringt es euren Töchtern bei!

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