#FreeBritney: Wir brauchen einen neuen Blick auf Celebrities
Wir alle wissen Bescheid über Britney Spears’ mentalen Tiefpunkt im Jahr 2007. Das Bild, in dem sie sich lachend und mit irrem Blick eine Glatze rasiert, gehört inzwischen zum kulturellen Kanon der 2000er-Jahre wie Janet Jacksons Nippelblitzer oder Lady Gagas Fleisch-Kleid. Das Bild ziert heute T-Shirts, Sticker, Taschen und Tassen – gerne mit dem Satz „If Britney could make it through 2007 you can make it through this day.“ Witzig. Danach war die Karriere des ehemals größten Popstars der Welt nicht mehr dieselbe – sie fiel durch peinliche Live-Performances auf und tauchte nur noch hier und da in den Medien auf. Heute kennt man sie vor allem für ihre skurrilen Instagram-Videos, in denen sie in ihrer Villa wie betäubt auf und ab stolziert, tanzt oder Bilder malt.
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Sie macht also nach wie vor das, was sie immer getan hat: uns unterhalten. Seit inzwischen 20 Jahren. Umso schlimmer ist die Tatsache, dass erst jetzt Menschen im großen Stil beginnen, zu hinterfragen: Wie ging es dieser Frau eigentlich die ganze Zeit dabei? Auf der Suche nach einer Antwort werden Abgründe klar, die uns alle schockieren sollten – vor allem, wenn wir uns Feminist*innen nennen. Und als einzig logische Konsequenz scheint die Forderung: #FreeBritney. Daraus ist inzwischen eine Bewegung geworden, die einen kulturellen Wendepunkt markiert: Denn Celebrities werden zunehmend nicht mehr länger nur noch als unser Entertainment empfunden, sondern als menschliche Wesen mit Gefühlen, Würde und Rechten. Aber fangen wir mal am Anfang an.
Der größte Popstar der Welt
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Nach ihrem Zusammenbruch, bei dem sie sich nicht nur den Kopf rasierte, sondern auch mit ihrem Sohn auf dem Schoß Auto fuhr und mit einem Regenschirm auf Paparazzos einprügelte, wies sich selbst in eine Klinik ein und verließ sie einen Tag später wieder. Sie verlor das Sorgerecht für ihre Kinder. Anfang 2008 schloss sie sich trotzdem mit ihren Kindern in ihrem Haus ein und wurde darauf folgend in eine Psychiatrie zwangseingewiesen. Und ihr Vater, Jamie Spears, beantragte die temporäre Entmündigung seiner Tochter durch verschiedene Vormunde, unter anderem sich selbst. Diese temporäre Entmündigung hält nun seit 12 Jahren an.
Seit 12 Jahren lebt Britney unter Vormundschaft
Britney Spears hat demnach seit über zehn Jahren keinen Zugang zu ihren Konten, auch private Entscheidungen trifft die heute 38-Jährige nicht alleine. Dennoch trat sie wenige Monate nach ihrem Zusammenbruch wieder im Fernsehen auf; sie hat seitdem mehrere Welttourneen gespielt, hat Alben herausgebracht, hatte jahrelang eine beinahe tägliche Show in Las Vegas und war Host bei The Voice. Die genauen Umstände der Vormundschaft sind unklar, doch oft heißt es im Netz, Britney dürfe nicht alleine Auto fahren, ihr würde untersagt, Kinder mit ihrem neuen Freund zu bekommen oder gar alleine einen Kaffee trinken zu gehen. Es sei die totale Kontrolle über eine erwachsene Frau, die nach außen hin nach wie vor das Popsternchen geben muss. In Interviews lächelt sie sich gekonnt durch die Krise. Doch auf Social-Media ruft sie nach Hilfe – das denken zumindest ihre Fans.
Y’all…. this is not good..#freebritney pic.twitter.com/FjeTKbqDJq
— valeska ⚖️ (@iatemuggles) July 13, 2020
#FreeBritney ist auch eine feministische Forderung
Unter dem Hashtag tut sich seither ein unglaubliches Rabbithole auf, das einem Krimi gleicht. Aber egal, ob man diesen Theorien Glauben schenken möchte oder nicht: Dass nun, über zehn Jahre nach Britneys Zusammenbruch, erstmals großflächig hinterfragt wird, was der Medienterror und die Fremdbestimmung mit dieser Frau gemacht haben, lässt sich als eine Art kulturellen Wendepunkt deuten. Denn wir, das Publikum, scheinen inzwischen verstanden zu haben, dass es sich bei Celebrities nicht um fiktive Figuren, sondern menschliche Wesen mit Gefühlen handelt. Weiß man um Britneys Vorgeschichte, dann sind die Bilder von ihrem Zusammenbruch auch plötzlich kein lustiger Popkultur-Gag mehr, sondern das traurige Produkt eines Lebens, das für falsche Prioritäten Paparazzos zum Fraß vorgeworfen wurde. Dass das so ist, hat sicherlich auch mit Social Media zu tun: Denn wenn Promis Clips und Fotos aus ihrem Privatleben teilen wie alle anderen auch, dann ist es zunehmend schwer, sie weiter als übermenschliche Wesen zu betrachten. Das gilt auch für Britney, deren skurriler Social-Media-Content beunruhigend bleibt – egal, ob man an versteckte Botschaften glaubt oder nicht.
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Vielleicht geht es euch wie vielen – und es fällt euch erst mal schwer, das Ganze ernst zu nehmen. Denn, ja: Es klingt skurril und absurd. Aber wahrscheinlich liegt es nicht nur daran, sondern auch ein bisschen an der Tatsache, dass wir nicht gelernt haben, mentale Gesundheit und Entmündigung bei Prominenten als etwas anderes zu sehen als Entertainment. Und das ist auch insbesondere für den Feminismus relevant, denn die Beschneidung der Rechte von Frauen – egal, aus welchem Grund – sollte uns Feminist*innen immer stutzig machen und uns genauer hinsehen lassen. Dass Britney Spears – eine der prominentesten Menschen der Erde – so viele Jahre unbemerkt und direkt unter unseren Augen in ihren Rechten beschnitten worden ist, sollte uns überdenken lassen, wie wir prominente Frauen sehen und beurteilen. Schließlich würden wir eindeutige psychische Probleme bei nicht-prominenten Frauen auch ernst nehmen und keine Fotos, die sie zeigen, auf T-Shirts drucken. Stattdessen sollten wir uns daran erinnern, dass auch die Privilegiertesten unter uns unseren Schutz und unser Mitgefühl verdient haben. Denn jede Frau, egal wie reich und berühmt, hat es verdient, über ihr eigenes Leben zu entscheiden.
Bildcredits: Wikimedia Commons
3 Antworten zu “#FreeBritney: Wir brauchen einen neuen Blick auf Celebrities”
Puh. Ich höre zum ersten Mal von dem #FreeBritney-Hashtag, aber würde auf Anhieb eher hinterfragen, weshalb wir der Meinung sind ein psychologisches Gutachten einer:s Ärztin:Arztes infrage zu stellen. Eine Entmündigung funktioniert ja nicht so, dass Papa Spears sagt er möchte seine Tochter entmündigen und zack, schon ist sie entmündigt. Dem gingen (wahrscheinlich) psychologische Gutachten voraus; und ihre stationären Aufenthalte sind ja auch kein Geheimnis. Wenn man sich mal damit auseinandersetzt, sollte man schnell merken, dass Entmündigungen oft passieren und das meistens zum Wohle der entmündigten Person passiert. Ich möchte mir nicht anmaßen über Britneys damaligen oder auch heutigen Gesundheitszustand zu urteilen, sondern überlasse das lieber den Menschen, die sich damit auskennen und fachlich darauf spezialisiert sind. Dieser #FreeBritney-Hashtag ist doch nur eine weitere Situation, in der wir versuchen uns in das Leben und Handeln einer berühmten Persönlichkeit einzumischen und noch ein bisschen mehr ihrer Privatsphäre an uns zu zerren. Und solange Britney nicht öffentlich über ihre Vormundschaft spricht, sollten wir das auch nicht tun.
Das ist eine total legitime Sichtweise, aber was mich da trotzdem stutzig machen würde ist die Tatsache, dass Britney trotz ihrer Entmündigung auf Welttourneen, ins Fernsehen und nach Las Vegas geschickt worden ist – und das schon wenige Wochen nach ihrem Zusammenbruch. Ob das einer Person, die nicht in der Lage sein soll, gefahrlos alleine einen Kaffee trinken zu gehen, gut tut, kann man schon hinterfragen, finde ich. Dass sie nicht öffentlich über die Vormundschaft spricht, soll Teil der Vormundschaftsvereinbarung sein – deswegen interpretieren Fans auch so viel in Britneys TikTok-Videos herein. Ich persönlich will mich gar nicht eindeutig festlegen, was genau da passiert, finde es aber erstmal wichtig, das Ganze im Namen der Selbstbestimmung zu hinterfragen – denn merkwürdig ist die ganze Nummer so oder so.
Welcher Vater tut seiner Tocher nur sowas an. Wirklich bitter. :(