Französischer Rap, Campinghütten & Windräder: das Dour Festival
Irgendwo in Belgien, Felder, Wiesen und sonst nichts weit und breit. Ungefähr zehn weiße, große Windräder ragen in die Höhe, und wir stehen zwischen ihnen, unter Tausenden von Menschen, zwischen Wimpelgirlanden und Essensbuden und Bühnen überall, die uns eine wilde Mischung aus Musik und Bass um die Ohren fegen. Wir sind angekommen auf dem belgischen Dour Festival, es ist der erste Abend und die Sonne sinkt glühend vom wolkenlos-blauen Himmel.
Gerade warten wir noch etwas verloren über das riesige Gelände gestolpert, auf der Suche nach unserem Flexotel, einer Campinghütte, die man auf dem Dour Festival mieten kann. Man braucht damit überhaupt kein Campingequipment mehr, die Hütte ist mit Betten, Bettzeug, Handtüchern, Stühlen und einem Tisch ausgestattet, sogar Strom und Licht hat sie. Neben den Flexotels kann man Tipis für bis zu 5 Personen mieten, Festicabins für 2, Holzhütten für 2-4, große Holzhütten für 14 Personen und verschieden große Zelte. Ein Faktor, der das Festival so spannend nicht nur für Belgier aus dem direkten Umkreis macht – ein Zug fährt direkt vom Flughafen Brüssel hier hin, die Parkplätze für die 250 000 Festivalbesucher erstrecken sich kilometerweit.
Eines haben die Besucher gemeinsam, ob sie nun aus Belgien, Frankreich, der Schweiz, Luxemburg oder den Niederlanden angereist sind: Kommuniziert wird hier nicht auf Englisch. Damit kommt man um genau zu sein nicht besonders weit, denn in Belgien herrschen vor allem zwei Sprachen, Französisch und Flämisch, und dazu sehr viel Stolz. „Die Wallonier aus dem französischsprachigen Teil antworten den Flamen gar nicht, wenn sie nicht auf französisch angesprochen werden. Und umgekehrt genauso!“, erklären uns deutschsprachige Belgier, denn die gibt es auch: etwa 75 000 Einwohner zählt der Teil der Deutschsprachigen Gemeinschaft, also so viele Menschen, wie Tickets für das Festival an eineinhalb Tagen verkauft werden. Ein verrückt gemischtes Land ist Belgien, das ist das erste, was man uns hier erzählt. Neben einer der drei Muttersprachen lernt man in Belgien erst die jeweils andere, dann vielleicht noch die dritte oder Englisch – dadurch kommen wir mit unseren englischen Fragen nach den Flexotels nicht viel weiter, und werden endlich mal herausgefordert, unser Französisch zusammenzukratzen.
Welche Sprache man spricht, ist hier aber nach kürzester Zeit auch völlig egal, denn vor den riesigen Bühnen auf dem Festivalgelände ist sowieso jeder gleich. Die Mädchen mit dem Glitzer im Gesicht, die Jungs in Ganzkörpertieranzügen, die Pärchen, die Gruppen, die Tänzer, die wahnsinnig vielen Teenager. 17, 18, 19 sind hier auffallend viele Festivalbesucher, denn wer in Belgien aufwächst, der geht auch aufs Dour Festival. Es ist ein bisschen wie das Melt! in riesengroß und für den gesamten französischsprachigen Raum: Auf der gigantischen Elektropedia-Bühne läuft ohne Pause heftiger Techno, Tropical Electro und Drum&Bass, im großen Zelt wird bald Atari Teenage Riot auftreten und es schallt ohne Pause Metal und Punk heraus, es gibt die Dub Corner, die Hip-Hop-Boombox, „la petite maison dans la prairie“ für Indieliebhaber, wo wir den schönsten Nils-Frahm-Moment aller Zeiten erleben werden. Und es gibt die Last Arena, die Hauptbühne, auf der die französischen Rapgrößen Booba oder L“Entourage auftreten werden, Joey Badass und Paul Kalkbrenner, Alt-J oder die Chemical Brothers, Tyler, the Creator und Soulwax.
Wir lassen uns ein auf diese Welt, den Dour-Kosmos, der immer wieder mit lauten „Doureuh“-Rufen bestätigt wird. Wir verbringen einen Tag mit den deutschsprachigen Belgien unserer Nachbarhütte und stellen zum ersten Mal ein bisschen fest, dass es da eine ganze Generation gibt, die jünger als wir und trotzdem volljährig ist, voller Energie und Lässigkeit, und ich fühle mich zum ersten Mal sehr alt, als wir um 0:30 Uhr in unsere Hütte kriechen, und die beiden 20-Jährigen erst so richtig losziehen. Oder ich die einzige auf dem Festivalgelände bin, die sich mit Schal, Pulli und Jacke der nächtlichen Kälte gewappnet hat, während 18-jährige Glitzerfeen auch noch um Mitternacht in Top und Hotpants herumspringen.
Aber auch als mentaler Frührentner ist das Dour Festival eine wunderbare Welt voller Glitzer, Magie und Musik. Wir erleben Tage und Nächte mit den unterschiedlichsten Konzerten, sprechen gebrochenes Französisch oder plötzlich Bayerisch mit drei Jungs aus Wolnzach, die in Trier studieren und damit im Einzugsbereich des Dour Festivals wohnen. Wir essen Crêpe mit Ziegenkäse, Schawarma und die beste belgische Waffel, wir sitzen im Sonnenuntergang vor der Last Arena oder starren zu Nils Frahm die beleuchteten Windräder und das Feuerrad an, das jeden Abend entzündet wird und sich die Nacht hindurch dreht. Wir kriechen glücklich in unsere Flexotel-Hütte, die mit echten Matratzen, Decken und Kissen ausgestattet ist – und in der letzten Nacht kommt plötzlich das Fieber, das Kopfweh und der Schüttelfrost. Obwohl wir wohl die am wärmsten angezogenen waren, entlässt uns das Festival mit einer fiesen Mandelentzündung – aber auch mit den schönsten Erinnerungen an drei magische Tage in Belgien.
Vielen Dank für diese Tage, du tolles Dour Festival!
– Anzeige wegen Markennennung –