Fernweh: Reise-Dokus, die die Welt wieder weiter machen

26. Mai 2021 von in

Letzte Woche war ich auf Kreta. Trotz großer Sorgen in der Zeit davor entschied ich mich letztendlich, mit dem PCR-Test in der Tasche ins Flugzeug zu steigen und die Reise zu wagen, über die ich mir hier den Kopf zerbrochen hatte. Selbst mit Tests und Masken fühlte sich der Flug zwischen so vielen Menschen ungut an, und trotzdem war die Entscheidung für mich gerade jetzt die richtige: Mit der Reise kam so unendlich viel Lebensenergie zurück, die die letzten Monate einfach nicht da gewesen war. Und als ich die Zelte von Daueraussteigern am Strand sah, die Wohnmobile und Busse, oder auch die Besitzer der kleinen Strandcafés im Nirgendwo, die irgendwie durchgehalten hatten, kam das alte Reisegefühl zurück: Zu spüren, dass die Welt unendlich viel größer ist, als es sich im kleinen Radius zu Hause anfühlt, und so wahnsinnig viel hinter dem eigenen wahrnehmbaren Horizont liegt.

Der große Abenteuer-Traveller war ich noch nie, und doch habe ich in den letzten Jahren immer wieder versucht, meinen Reiseradius ein kleines Stückchen zu erweitern. Das Gefühl, dabei mehr zu sehen und wahrzunehmen, ist schon im Kleinen unbeschreiblich – und wird mit jeder Erfahrung intensiver. Noch ist das Reisen kaum möglich, und gerade definitiv nicht der Zeitpunkt für einen langen Selbstfindungs-Trip. Doch jetzt, wo es wieder in mir kribbelt und ich am liebsten gleich wieder los würde, gibt es nichts schöneres, als anderen bei ihren Reisen zuzusehen, die ihr Gefühl für das Leben verändert haben – und die die Welt vor Corona zeigen, in der Begegnungen noch wirklich möglich waren. Natürlich sind Reise-Dokus privilegierter Europäer schnell ein bisschen cringy – schließlich muss man weder um die Welt reisen, um sich selbst zu finden, noch ist das für jede Person so easy möglich. Filme wie „Expedition Happiness“ haben für mich zu sehr das Narrativ davon, dass jede*r einfach mal losreisen könne, und nur das glücklich mache. Und doch finde ich nicht jede Reisedoku, die Europäer in fernen Ländern zeigt, plakativ und unreflektiert. Manche schaffen für mich tatsächlich genau das Gegenteil: ein bisschen mehr von der Welt zu spüren.

Weit

Am Tag meiner Rückkehr aus Südkreta, wo man immer ein kleines Fitzelchen des großen Aussteiger-Gefühls spürt, war dieser Film das Schönste, das ich hätte schauen können. Ein Paar aus Freiburg reist dreieinhalb Jahre Richtung Osten, um irgendwann aus dem Westen wieder nach Hause zu kommen. Bekannte Ziele werden dabei fast komplett ausgeklammert, die ersten Jahre spielen sich vor allem in den unfassbar beeindruckenden Ländern Zentralasiens ab: Über Georgien, Iran, Pakistan, Tadschikistan, China und die Mongolei geht es bis nach Sibirien. Immer ohne Flugzeug, meist per Anhalter und nur mit dem Zelt. Die beiden reisen langsam, wollen immer die Menschen vor Ort kennenlernen, und schaffen es auf wunderschöne Weise, ihre Erfahrungen im Film rüberzubringen. Selbst die wochenlange und schwankende Überfahrt von Japan nach Mexiko auf einem Containerschiff ist beeindruckend. Und die Leichtigkeit, wie die beiden unterwegs auch noch ein Kind bekommen, das ein kleiner mexikanischer Staatsbürger wird.

Anderswo

Ein deutscher Typ, der allein durch Afrika radelt – bei solchen Szenarien klingelt bei mir erstmal der White-Savior-Alarm. Doch die Herangehensweise von Anselm Pahnke ist meiner Meinung nach eine sehr schöne und respektvolle: Er erhebt nicht den Anspruch, den Kontinent Afrika in all seiner Vielschichtigkeit zu zeigen, und schafft doch einen Einblick, den man nicht oft bekommt.

Besser Welt als nie

Mit einem deutschen Typen auf dem Fahrrad hat dieser Film ein ähnliches Konzept, aber eine Route, die einmal um die ganze Welt führt: Durch Zentralasien, Südostasien und Australien nach Paraguay, die Südamerikanische Westküste entlang, durch Zentralamerika und die Westküste der USA. Wie „Weit“ ist auch dieser Film ein Kinofilm, der wahnsinnig schöne Aufnahmen aus den Ländern zeigt.

Berlin2Shanghai

Die Zwillinge Paul und Hansen lernte ich 2017 auf dieser Island-Reise kennen, sie waren gerade dabei, ein Gefährt selbst zu bauen, das sowohl über Land, als auch über Wasser oder Eis fahren konnte. Mehrere Weltreisen haben die beiden hinter sich und auch mehrere Filme – am bekanntesten ist „Zwei um die Welt – in 80 Tagen ohne Geld„. Sie ist voller spannender Einblicke und doch sehe ich das komplette Prinzip des Reisens ohne Geld kritisch: privilegierte Europäer müssen nicht in armen Ländern Einheimische anbetteln, um ihr „Reiseprojekt“ durchführen zu können. Wenn man lange reist, dann doch bitte mit dem eigenen Geld oder nur durch Einbringen der eigenen Arbeitskraft, wo Bedarf ist. Eine andere Reise der beiden Brüder ist Berlin2Shanghai, die sie komplett mit dem Fahrrad zurücklegten, und die ganz auf Youtube zu sehen ist.

Über Grenzen

Eine Rentnerin, die sich mit 64 Jahren auf ein Motorrad setzt und losfährt: Diese Geschichte erzählt der Film „Über Grenzen“. Von Deutschland geht es 18000 Kilometer Richtung Osten, nach Zentralafrika, die für mich wohl beeindruckendste Gegend, über die ich unendlich viele Filme schauen könnte, weil ich mich wohl selbst niemals hintrauen werde. Besonders die Begegnungen mit den Menschen in zentralasiatischen Ländern sind in allen Dokus oder Büchern, die ich bisher gesehen habe, so bewegend – und schaffen Sehnsucht nach einer Welt ohne Corona.

Sag dem Abenteuer, ich komme

Und für alle, die sich auch beim Lesen in die Ferne träumen wollen, empfehle ich nochmal das Buch „Sag dem Abenteuer, ich komme“ unserer Freundin Lea – die vor ein paar Jahren ebenfalls die Welt umrundet hat, und zwar ganz alleine und auf dem Motorrad  – zu unserem Interview geht es hier. Auch sie fuhr die Route über Zentralasien Richtung Osten, verliebte sich in Länder wie Tadschikistan und das Pamir-Gebirge.

Seit Leas erster Motorradreise macht sie damit immer weiter, war in Afrika, fuhr bis zum Nordkap und in Südamerika. Seit einiger Zeit hält sie ihre Eindrücke auf ihrem Youtube-Kanal fest, wunderschön gefilmt und in 4K. Fast genauso schön wie ein ganzer Film über eine Weltreise!

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4 Antworten zu “Fernweh: Reise-Dokus, die die Welt wieder weiter machen”

  1. Danke für die Tipps! Habe „Anderswo“ gesehen, wobei mich das mit einem faden Geschmack zurück gelassen hat. Du schreibt von nicht zutreffendem white saviour alarm, das stimmt schon – aber weil das Ganze wahnsinnig oberflächlich bleibt. Er sagt X mal wie berührend das Alles ist wie er da rum radelt – ja aber warum ist das alles berührend? Fand seine Einstellung entpolitisiert und fast schon anmaßend, dass er zum Teil so unvorbereitet war. Hab danach noch ein YouTube Interview mit ihm gesehen, das hat meinen Eindruck auch nicht entschärft, dass er vor allem um ihm selber ging (was ok wäre, würde es das klar kommunizieren). Fand ich sehr Schade, dass bei einer Weltumrundung (die er anschließend macht) am Ende so wenig Tiefe entsteht. Aber das ist auch nur mein persönlicher Blickwinkel.

    • Liebe Ava, danke für den Input. Anderswo hab ich noch nicht gesehen, nur Trailer und auch Interviews mit ihm – wahrscheinlich ist seine Herangehensweise tatsächlich zu oberflächlich. Ich denke das ist allgemein das Problem des Reisens, privilegierte Leute aus reichen Ländern kommen an Orte mit anderen Lebensrealitäten, die sie berühren und aufrütteln können, was aber nichts an den Problemen verändert. Wenn man das Ganze weiterdenkt, sind Reisen an sich problematisch und auch, persönlich das Gefühl von Horizonterweiterung daraus zu ziehen. Trotzdem finde ich es gerade in der jetzigen Zeit so bereichernd zu sehen, wie groß die Welt eigentlich ist, und welche Länder, Menschen, Lebensrealitäten es gibt. Da geben Reisedokus kleine Einblicke, und man kann sie schauen, ohne selbst loszufahren. Mir gibt das momentan ein bisschen von diesem Gefühl, mehr als nur den kleinen eigenen Radius zu sehen, und das wollte ich hier teilen – natürlich ist aber das ganze Thema nicht ganz unkritisch zu sehen!

      • Liebe Milena, Danke für deine Antwort. Hatte den Film vor ein paar Monaten auch aus dem Grund angeschaut, dass ich was von der weiten Welt sehen wollte. Dafür ist es auch gut, und die Selektion der Filme in deinem Artikel spannend – sicherlich schau ich mir einen deiner Tipps noch an. Man muss ja auch nicht die ganze Zeit dauerkritisch sein und kann sich einfach mal mitreissen lassen. Gibt sicherlich Dokus die diese Dissonanz besser auflösen, von der du schreibst. Leider ist bei dem Film ab der Hälfte die Luft in der Hinsicht raus und man wartet vergeblich auf ein bisschen Tiefgang – jedenfalls fand ich das so.

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