Feminismus: Ich will nicht mehr mit cis Männern diskutieren
Es war nicht immer einfach. Es erforderte Willensstärke und Konzentration, doch ich habe es geschafft: Ich habe aufgehört. Knapp ein Jahrzehnt lang habe ich cis Männern versucht, den Feminismus zu erklären. Sicherlich hat es auch bei einigen „Klick“ gemacht. Bei anderen nicht. Ich habe mir den Mund fusselig geredet, bin scharf an einem Herzkasperl vorbei geschrammt, habe zehrende und niemals enden wollendende Diskussionen geführt darüber, ob Frauenrechte nun wirklich noch wichtig sind, oder nicht. Selbst den Sprüchen „Lass dich doch nicht so leicht provozieren“, habe ich gelernt, standzuhalten. Bin ruhig geblieben, habe mein wuterfülltes, schnell schlagendes Herzchen versucht, zu kontrollieren. Nur, um ihnen zu erklären, wie sich viele Frauen jeden Tag aufs Neue fühlen. Um toxische Männlichkeit zu besprechen. Habe aufgewühlte cis Männer beruhigt, die sich angegriffen gefühlt haben: „Natürlich meine ich nicht dich!“. Ich kann euch sagen: Es war nicht immer leicht. Im Gegenteil. Es war eigentlich immer schwer. Meine rückblickende Zusammenfassung ist: Mit cis Männern über Feminismus zu sprechen ist in den allermeisten Fällen nervig. Deshalb lasse ich das jetzt einfach.
Neulich saß ich zum Beispiel mit einem alten Freund an einem der ersten Tage, die sich wie Sommer angefühlt haben, am See und ließ mir die Sonne auf den Bauch scheinen. Wir hatten uns lange nicht gesehen und genossen die Zeit, die wir endlich mal wieder miteinander verbringen konnten. Trotzdem, so merkte ich auch an diesem Tag, wollte ich nicht mehr mit ihm über ein Thema sprechen, das mich stark beschäftigt. Eine cis Frau zu sein und das jeden Tag von der Gesellschaft gespiegelt und zu spüren zu bekommen.
In Form von Blicken, Sprüchen, Unwohlsein, an das wir uns gewöhnen mussten. Wir kamen auf das Thema Frau-sein zu sprechen und diskussionsfreudig wie mein Kumpel war, stieg er auf meine Vorlage ein. Er forderte mich heraus: „Aber ist es nicht blöd, Männer zu verurteilen? So kommt man doch nicht weiter“, war nur einer der Sätze, der in mir ein inneres Augenrollen auslöste. Ich kenne diese Sprüche alle. Ich kann sie auswendig herunterbeten. Früher hätte ich mich auf eine Diskussion wie diese eingelassen. Doch ich habe damit aufgehört. „Ich will solche Diskussionen nicht mehr führen. Entweder du hörst dir an, was ich zum Thema Frau-sein zu sagen habe, und versuche, dir zu erklären, wie ich mich fühle, oder eben nicht. Lass uns lieber das Thema wechseln.“
„Wir brauchen keine Männer, die uns mit provokanten Fragen auf die Probe stellen möchten. Die gar keine Bereitschaft darin sehen, wirklich irgendwas zu verstehen. Die nur dagegen reden. Wir brauchen Männer, die zuhören.“
Diese Abfuhr habe ich mir in Gesprächen wie diesen angewöhnt. Weil ich etwas Wichtiges in der letzten Zeit gelernt habe: Wir brauchen im Feminismus keine Meinung von diskussionsfreudigen cis Männern. Wahrscheinlich haben wir sie nie gebraucht. Wir brauchen Zuhörer. Wenn ich erkläre, wie sich das Leben als cis Frau anfühlt, wenn ich selbst davon betroffen bin, dann will ich gehört werden. Bestenfalls verstanden. Und mindestens nicht mehr darüber debattieren.
Wir brauchen keine Männer, die uns mit provokanten Fragen auf die Probe stellen möchten. Die gar keine Bereitschaft darin sehen, wirklich irgendwas zu verstehen. Die nur dagegen reden. Wir brauchen Männer, die zuhören. Die Bücher von Frauen lesen. Filme sehen. Die ab und zu die Bühne für Frauen räumen. Die Frauen zu Wort kommen lassen. Die verstehen, dass Frau-sein kein interessantes Diskussionsthema zwischen allen Geschlechtern ist. Die für uns einstehen, wenn es darauf ankommt. Die ihre männlichen Freunde maßregeln, wenn sie sich respektlos gegenüber Frauen verhalten. Wir brauchen Männer. Aber auf eine zurückhaltende, interessierte Art und Weise.
„Statt unsere Kraft in nervenaufreibende Diskussionen zu stecken, die zu nichts führen, sollten wir sie viel eher da einsetzen, wo sie etwas bringt. Im Zusammenschluss von Frauen und offenen Menschen, um gemeinsam an der Repräsentation von Frauen zu arbeiten. Denn was wir im Feminismus wirklich brauchen, ist die Repräsentation von Frauen, insbesondere Schwarze Frauen und Frauen of Color.“
Statt unsere Kraft in nervenaufreibende Diskussionen zu stecken, die zu nichts führen, sollten wir sie viel eher da einsetzen, wo sie etwas bringt. Im Zusammenschluss von Frauen und offenen Menschen, um gemeinsam an der Repräsentation von Frauen zu arbeiten. Denn was wir im Feminismus wirklich brauchen, ist die Repräsentation von Frauen, insbesondere Schwarze Frauen und Frauen of Color. In der Politik, in der Popkultur, in Filmen und Serien, auf Social Media, im realen Leben auf der Straße. Was wir brauchen, ist mehr Austausch unter Frauen. Was wir brauchen, sind Bücher und Podcasts von Frauen, die aufklären. Wir brauchen Frauen, die sich zusammen schließen, die gemeinsam etwas schaffen, die nach Außen treten, die sich gegenseitig unterstützen, die sich zeigen. Wir brauchen eine Sichtbarkeit von Frauen aus allen Kulturen. Wir brauch einen intersektionalen Safe Space aus cis Frauen of Color, weißen cis Frauen, Lesben und bisexuellen Frauen, Intersexuellen Personen, Non-Binären Personen und trans Frauen (FLINT+). In dem wir rücksichtsvoll miteinander umgehen, uns zuhören, uns gegenseitig unterstützen, uns solidarisieren.
Ich diskutiere nicht mehr, weil es mir rückblickend nichts gebracht hat. Die Diskussionen waren so nervenaufreibend, aber haben zu so wenig geführt. Wir alle können nur lernen und uns solidarisieren, wenn wir anderen zuhören. Wir hören aber nicht wirklich zu, wenn wir jedes Wort in Frage stellen. Dabei geht es nicht darum, zu allem ja und amen zu sagen, oder alles gut heißen zu müssen. Aber doch wenigstens nicht mehr alles Gesagte konsequent abzulehnen.
Ich bin hoffnungsvoll, dass sich langfristig viel ändern wird. Meine Gespräche, sowohl mit Männern als auch Frauen, sind völlig andere, als noch vor zehn Jahren. Glücklicherweise darf ich viel mehr Verständnis erfahren als früher. Ich diskutiere auf ganz natürliche Art und Weise weniger mit Männern, weil ich weniger mit ihnen diskutieren muss. Viele Menschen in meinem Umfeld haben schon verstanden, worum es in der Solidarität unter Menschen geht. Ich kenne heute genügend Männer, mit denen ein respektvoller und interessierter Austausch möglich ist. Weil sie wissen, wann ein „Dagegenreden“ angebracht ist, und wann man einfach mal die Klappe hält.
8 Antworten zu “Feminismus: Ich will nicht mehr mit cis Männern diskutieren”
yes, Amelie du sprichst mir aus der Seele. Ich war lange verschrien als die „wütende Feministin“ in einem Teil meines Freundeskreises. Ich habe aufgehört, meine Energie an diejenigen rauszuballern, die nicht respektvollgenug fragen. Und erstaunlicherweise, kommen dann die ersten, vorsichtigen Fragen.
Was man alles bei Euch lernt! Ein Cis-Mann zu sein, das muss man auch erst einmal mitbekommen. Ich sehe, dass der Begriff Cis-Gender erst 1991 eingeführt wurde als Gegensatz zum Trans-Gender. Cis, das war für mich bislang ein Notenwert in der Musik, durch ein Kreuz ♯ vor dem C um einen Halbton höher gesetzt und enharmonisch verwandt mit dem durch ein b um einen Halbton verminderten D zu Des. Cis und Des sind damit ein und dasselbe, könnte man meinen, oder jedenfalls beinahe ununterscheidbar.
Zwei Beispiele: Franz Schubert: Deutscher Tanz, in Cis-Dur, D 1939: https://www.youtube.com/watch?v=902SvzlUvj8
Und Chopin: Walzer op. 64, Nr 1 in Des-Dur, gespielt von der wunderbaren neunjährigen Fiona: https://www.youtube.com/watch?v=dWbb8AXL9tY
Und dann nochmal das ganze in Moll:
Chopin: Nocturne Nr. 20 in Cis-moll: https://www.youtube.com/watch?v=fRgfHP6oqHY So schön! Da braucht es dann, wie ich finde, gar kein Des-moll mehr. Herzliche Grüße, Euer Peter
„Wir brauch einen intersektionalen Safe Space aus cis Frauen of Color, weißen cis Frauen, Lesben und bisexuellen Frauen, Intersexuellen Personen, Non-Binären Personen und trans Frauen (FLINT+)“
Spätestens hier bin ich ausgestiegen.
Meine Güte, muss tatsächlich alles und jeder heutzutage auf die kleinste Zelle heruntergebrochen werden?
Warum geht man in der Schubladen-Pyramide denn immer runter und nicht rauf?
Schliesslich möchten doch alle schlussendlich als Mensch wahrgenommen werden.
Ist mir total Banane, wer mit welcher neu entdeckten Kategorie in die Kiste springt.
Soll doch einfach jeder sagen, was er denkt und möchte und gut ist.
Schliesslich vermischen sich in jeder persönlichen Meinung und den Bedürfnissen sowohl persönliche Vorlieben, als auch Zugehörigkeiten.
Das ist mittlerweile schon dermassen kompliziert worden, dass es mich total abtörnt.
Einerseits will niemand in einer Schublade stecken und womöglich eine Randgruppe sein und andererseits bastelt man sich dann eine eigene.
Wozu?
LG Ava
Liebe Ava, das mit den ganzen Begrifflichkeiten kann ganz schön viel auf einmal sein. Doch sie sind wichtig. Gerade für Randgruppen bzw. Menschengruppen, die sonst konsequent von der Gesellschaft ignoriert oder gar schlecht behandelt werden. Es geht hier einerseits um eine Sichtbarkeit in der Gesellschaft, andererseits geht es darum, diese Gruppen nicht mehr klein zu halten und ihnen weh zu tun, in dem man sie nicht sieht, hört oder benennt. Oder schlimmer noch: falsch benennt. Also ihnen Namen gibt, die ihnen weh tun und über Ewigkeiten weh getan haben (beispielsweise wenn man eine trans Frau „Transe“ nennen würde, oder noch schlimmer als „Mann“ bezeichnen würde). Ich höre aus deiner Antwort Frustration, weil sie vielleicht auf einer Unsicherheit in dem Thema beruht. Aber es ist gut, erstmal unsicher zu sein. Vielleicht kann das der Moment sein, diese Unsicherheit zu akzeptieren. Und nicht mehr „dagegen“ zu reden, sondern wirklich zuzuhören, dazuzulernen und umzudenken.
Hallo liebe Amelie,
danke für deine Antwort.
Ich glaube, es geht mir darum, dass ich -um bei deinem Beispiel zu bleiben- zur Trans Frau gerne -sagen wir- Barbara oder Sophia sagen möchte und nicht Transe oder Mann.
Ist doch wirklich egal, ob die Barbara/Sophia ein Mann/eine Transfrau/Transe ist. Welche Rolle spielt das? Für mich keine. Und genau deshalb steige ich bei den Diskussionen immer aus. Soll doch jeder sein, was er will. Ich möchte jedoch nicht alles gut finden müssen, was einem da angeboten wird. Ich möchte, dass es einem egal sein darf. Man sich also auch neutral demgegenüber stellen kann.
Wenn sich jedoch Barbara/Sophia als eine blöde Kuh aufführt, will ich das auch sagen können, ob sie nun ein Mann oder eine Frau ist und das nicht als Diskriminierung verstanden wissen, sondern als das, was es auch bei anderen Personen ist.
Weisst du, was ich meine?
Liebe Grüsse Ava
Liebe Ava, ich verstehe ganz genau was du meinst. Und was du da ansprichst, ist die Utopie, zu der wir alle gerne hinmöchten. Wir wollen alle nur noch eine Barbara oder Sophia sein, und keinen Unterschied zwischen den Menschen sehen. Doch die Utopie können wir gerade noch nicht leben, da es nunmal Minderheiten in der Gesellschaft gibt. Da es Benachteiligung in der Gesellschaft gibt. Vielleicht können wir irgendwann nur noch den Menschen hinter der Fassade sehen, aber leider ist das aktuell noch nicht möglich. Viele Grüße!
Liebe Amelie,
Und hier schliesst sich für mich der Kreis – ist das der Weg, das zu erreichen?
In dem man es herunterbricht, bis man den Menschen nicht mehr sehen kann, sondern nur noch sein neu erworbenes Kürzel in der Gesellschaft.
Warum verweist man auf die Eigenschaften, die trennen/unterscheiden, statt derer, die verbinden?
Lieben Gruss Ava
Danke für diesen Beitrag. Du sprichst mir aus der Seele.
Für meinen eigenen Frieden bin ich den gleichen Weg gegangen.