Feeling all the feels: Social Distancing & Ausgangsbeschränkung

1. April 2020 von in

Zitat: Rainer Maria Rilke

Als ich den Artikel über Singles & Social Distancing beende, ist es vorbei. Meine Kehle schnürt sich zu, die Panik tippt mir auf die Schulter. “Na, bereit für die Ausgangssperre?” Ich schlucke schwer, dann kullern sie, die Tränen. Bis eben war noch alles cool, der Corona-Virus ist da, Schulen und Kitas haben geschlossen und ich weiß über alles Bescheid. Doch an jenem Sonntag vor drei Wochen wird mit alles zu viel. Ich habe Angst, Angst, die Kontrolle zu verlieren, Angst vor einer Ausgangsbeschränkung, Angst vor meinen Gefühlen.

Mein Spaziergang mit einer Freundin und eine grosse Weinschorle später – mein Therapeut würde sagen: Niemals Alkohol bei Panik – geht es mir besser.

Ein waberndes, nicht greifbares Gefühl bleibt,
aber die Panik, sie ist erstmal weg.

Berichte aus Italien und Spanien, von Ausgangssperren und Balkonkonzerten verfolgen mich die Woche, ich nutze jede Gelegenheit zum Rausgehen und fahre gleichzeitig mein Social Life nach unten. Als am Freitag vor zwei Wochen das bayerische Ministerium eine Pressekonferenz ankündigt bin ich: ruhig. Entspannt. Der Gedanke an eine Ausgangssperre macht mich immer noch nicht froh, doch ich weiß, zu meiner Familie kann ich immer. Wie ein kleiner Gremlin halte ich mir das vor Augen, rebellisch und gewillt, in der größten Panik auch Gesetze zu brechen. Dass ich das gar nicht muss, weiß ich 30 Minuten später. Statt einer Ausgangssperre erwartet uns nur eine Ausgangsbeschränkung. Ich fühle mich leicht, bin erleichtert und verspreche meiner Nachbarin trotzdem, dass wir uns bei Einsamkeit zusammentun. Zusammen sind wir weniger alleine.

Ich bin die nächsten Tage tatsächlich alleine. Frei von Angst und Panik, wie die vergangenen Wochen auch. Bis auf eine kurze Stippvisite der Angst, bei der ich sie doch wieder nach Hause schicken konnte. Dieses Alleinsein gefällt mir.

Trotzdem denke ich immer noch mit Wut an jenen Artikel, der so romantisch die Paare in der Quarantäne darstellte und gleichzeitig den Horror der Singles artikulierte. Danke auch.

Er half nicht. Im Gegenteil. Ich bin gerne allein, ich bin es gewohnt im Homeoffice zu arbeiten und habe auch keine Fomo. Sprich: Ich kann mich auch gut mal eine Zeit lang mit mir beschäftigen. Aber gibt auch die Menschen, die sich schwer tun, deren Dämonen jetzt anklopfen und diese kaum vertreiben können. Ich schicke meine Kraft gen Himmel – und bin doppelt dankbar, dass es mir gerade jetzt gut geht.

Mein Herz ist warm, als ich am nächsten Tag meine Nachbarin treffe und sie mich fragt, wie es mir geht. Wir reden mit Abstand, tauschen uns aus und stellen fest: Diese Ausgangsbeschränkung ist erträglich. “Aber so soll es bitte bleiben. Keine Verschärfung.” Wir nicken beide. Und ich weiß: Egal, was kommt, ich bin nicht allein.

Meine FreundInnen und ich schreiben täglich, wir telefonieren via FaceTime und bei manchem Spaziergang stolpere ich per Zufall (wirklich!) über FreundInnen. München ist eben doch ein Dorf.

Glück – in Zeiten der Corona-Krise – ist sicherlich ein anderes, als zuvor.

Aber alles ist anders. Die ersten warmen Tage haben mich aber schon immer glücklich gemacht. Jetzt sauge ich das Vitamin D auf und speichere es, in mir, im Herzen.

Das zuckelt, als eine neue Pressekonferenz anberaumt wird. Knapp zwei Wochen Ausgangsbeschränkung liegen hinter uns, wie geht es weiter. “Wir verlängern, aber wir verschärfen nicht.” Ich möchte weinen, vor Erleichterung. Keine Kontrolle über meine Freiheit zu haben, ist mein Struggle. Aber es scheint, als hätte Markus Söder diesen auch.

Es geht mir gut. Drei Wochen Ausnahmezustand,
drei Wochen voller Gefühle, guter wie schlechter.

Drei Wochen, die sich länger anfühlen. Drei Wochen, in denen ich nicht einmal gedacht habe, warum bin ich Single und wohne alleine, sondern viel öfter: Wow, ich liebe meine FreundInnen und Familie. Drei Wochen, in denen ich so vieles wertgeschätzt habe, in denen ich mich kurz nach einem Essen mit Freunden und einem Social Life gesehnt habe, aber viel mehr drei Wochen, in denen ich die Ruhe genossen habe

Kein Gefühl bleibt für immer, wie es mein Lieblingsdichter Rilke sagt. Weitermachen. Alles annehmen. Also umarme ich alle meine Gefühle. Lasse sie zu, die Tränen, die hysterische Angst und die ungeliebte Panik, das Glück und die Zufriedenheit.

Ich habe keine Ahnung, wie es weitergeht. Aber ich weiß, mir kann nichts passieren. Denn ich bin nicht allein. Mit meinen Gefühlen, mit meinen Gedanken, mit dieser Situation. Und: Der Mensch gewöhnt sich an alles. Auch an eine globale Pandemie.

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2 Antworten zu “Feeling all the feels: Social Distancing & Ausgangsbeschränkung”

  1. Liebe Antonia, ich feel you. Auch ich wohne alleine und kann auch grundsätzlich gut alleine sein. Als Corona vor 3 Wochen hier in Deutschland richtig losging, überkam auch mich die Panik: Jeden Abend gezwungenermaßen alleine auf der Couch sitzen ist etwas anderes als heute brauche ich mal Zeit für mich. Ich fühlte mich besonders abends unwohl Zuhause aber auch draußen beim Einkaufen, schlief schlecht und auch bei mir lief die eine oder andere Träne.
    Doch dann trat dein Satz – der Mensch gewöhnt sich an alles – ein und seitdem habe ich eben ein anderes Leben, ganz neu, ganz ruhig, aber nicht unbedingt schlechter. Ich bin fast ein bisschen verblüfft wie schnell man sich doch auf eine ganz neue Situation einstellen kann und auch ein bisschen stolz drauf. Ich genieße es nun, dass alles etwas langsamer ist, dass ich immer die Zeit habe, um entspannt zu kochen, dass Spazieren gehen und frische Luft sich wie Luxus anfühlen und die ersten, warmen Sonnenstrahlen noch 100 mal mehr Freude bereiten als in anderen Jahren. Auch Netflix und ich sind noch bessere Freunde geworden, aber mir fallen auch ganz viele andere Dinge ein, die man Zuhause eigentlich mal machen könnte.
    Ich würde lügen, wenn ich sagen würde, dass ich nicht manchmal ein bisschen sehnsüchtig auf den Platz neben mir auf der Couch gucke oder etwas Neid empfinde, wenn bei einer Freundin im Facetime-Bild der Freund im Hintergrund rumwuselt, aber ich weiß auch, dass es mir grundsätzlich verdammt gut geht und einfach mal Zuhause bleiben echt nicht so schwer ist wie ich dachte.

  2. Vielen Dank für diesen wunderbaren Artikel und deine berührenden Worte! Einfach nur Danke! Es war eine Wohltat, das zu lesen und sich weniger allein zu fühlen! Ich denke jeder hat gerade ganz unterschiedliche Ängste – bei mir (total irrational und irgendwie auch unwichtig, neben den Sorgen um die Familie und Freunde) Angst, in Strukturen zu kommen, vor denen ich mich immer – mit Händen und Füßen gewehrt habe: Mein Mann arbeitet als Arzt in der Klinik und geht jeden Tag raus zur Arbeit, wird für sein Tun gefeiert (nicht falsch verstehen: von mir auch :-)) und dann kommt er nach Hause. Ich sitze im Homeoffice, habe nicht viel zu berichten, wir überlegen, was wir kochen können und dann sehe ich mich von außen – wie ich zu Hause hocke und warte, dass mein Mann wiederkommt und denke „Argh…“ – die Feministin in mir ist beleidigt und schmollt, ich verweigere das Kochen und Haushaltsätigkeiten (fühle mich dabei aber auch nicht gut)…so langsam pendelt es sich ein, wir sind ein Team und bekommen das irgendwie hin! Ich vertraue darauf, dass sich alles finden wird! Ich sende ganz liebe Grüße und alles Liebe aus der Isolation!

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