ER so SIE so: Nils, ich bin ein Proll

19. Juli 2016 von in

Foto: Kerstins Kopf

Amelies Antwort auf Nils Frage: „Sind schöne Menschen nicht auch ein bisschen zum Angucken da? Wann fühlst du dich schon mit Blicken belästigt? Wohin darf man gucken? Wohin nicht? Wie lange? Und: Wie gut muss man aussehen, dass man darf?“

Ich habe neulich sexuell belästigt. Ich trinke aus einem Plastikbecher auf einer Party, auf der jeder gut aussieht. Mir ist etwas langweilig, denn es ist zu früh für Spaß oder gar Eskalation und zu spät für die Hoffnung auf Spaß oder gar Eskalation. Also beobachte ich die gut aussehenden Menschen und verliebe mich für einen kurzen Moment in den schönsten Mann im Raum. Der verschwindet sofort, als hätte er gewusst, dass es ab jetzt anstrengend werden könnte. Dann sehe ich den zweitschönsten Mann im Raum und konzentriere mich auf ihn.

Flirten ist glaube ich nicht mein Steckenpferd, was meine Unbeholfenheit in diesem Moment erklären könnte. Statt auf ihn zuzugehen, stehe ich da und starre. Ich dachte, das wäre irgendwie stubtil, er dachte das nicht. Er kommt auf mich zu und sagt „Du hast mich jetzt lange genug angestarrt, wir können auch einfach miteinander reden“. Plötzlich hat er also mich aufgerissen und gleichzeitig bloßgestellt. Genial. Was soll’s – der Abend ging in meinem Sinne gut aus und es gab noch Pizza.

Ich hatte Glück, dass der zweitschönste Mann des Abends Single war, er mich anziehend fand und meine Handlung vermutlich als „süß“ abstempelte. Das hätte auch ganz anders ausgehen können. Ich hätte einen Mann treffen können, der so genervt vom Feminismus ist, dass er mir eine Standpauke darüber gehalten hätte, dass „wir Frauen“ von sexueller Belästigung labern und selbst fröhlich vor uns hin starren. Und ich hätte nicht widersprechen können. Denn ich glaube, ich belästige gelegentlich sexuell – es hat bisher nur keinen gestört, weil ich eine Frau bin. Wenn ich jemanden schön finde, egal ob Mann oder Frau, dann sehe ich hin. Dann sehe ich einem auch gelegentlich hinterher und mustere einen von oben bis unten. Bin ich jetzt ein Proll? Die Regeln des Schauens müssen wir genauer definieren, denn das ist, wie du ja selbst schon ganz richtig erkannt hast, eine scheißschwierige Angelegenheit.

Wir Frauen stehen nicht auf Anglotzen. Wir Frauen stehen nicht auf nicht Anglotzen. „Wir Frauen“ gibt es nicht. Das einzige, was uns Frauen verbindet, ist die Vagina und alles, was damit zusammen hängt und die macht uns zwar hormonell gesehen zu einer Frau, die ist aber kein Indiz dafür, wie wir sexuelle Belästigung definieren. Und das macht alles noch komplizierter, denn eine allgemein gültige Regel muss dennoch gefunden werden. Ich für meinen Teil mag es, wenn mir hinterher gesehen wird – egal von wem. Ich unterscheide allerdings zwischen Hinterhersehen und Glotzen: Hinterhersehen ist eine Ode an unsere Oberfläche, Glotzen ist eine Fantasie für das Darunter. Wieso sollte man denn keinen mehr ansehen dürfen? Wo kämen wir denn da hin? Ich möchte nicht in der Öffentlichkeit auf meine Füße starren – diese sind nämlich ein Körperteil, das ich zum Beispiel nicht so ansehnlich finde. Stattdessen sehe ich lieber schöne Kleider an, Brillen, Lippen, Augen, Hintern, Taillen, Arme, Schultern. Wichtig bleibt nur: alles in Maßen und Grenzen kennen. Die Grenze liegt immer in subjektiver Betrachtung, weshalb man ein Feingefühl für die jeweilige Situation entwickeln muss. Jemanden in der Früh fünf Sekunden in der Ubahn anzusehen ist penetranter als abends in einer Bar.

Und am Ende muss man sich selbst die Frage stellen: Möchte ich den Menschen nur ansehen der möchte ich etwas bezwecken? Bei passivem Ansehen sind subtile Blicke vollkommen in Ordnung. Bei aktivem Ansehen ist ein vorsichtiges Antasten angebracht. Sieht mich jene Person ebenso an? Hält sie dem Blick stand? Hat mich die Person gesehen aber Desinteresse signalisiert? Wer über ein bisschen Empathievermögen verfügt, sollte bei dem aktiven Ansehen wissen, wann es genug ist. Denn jeder Mensch definiert seine Grenze anders.

Somit kann ich meine eigene Frage selbst beantworten: Nein, ich bin kein Proll. Denn hätte ich gemerkt, dass der zweitschönste Mann im Raum kein Interesse hat, er also nicht zurückgeschaut oder mir einen irritierten Blick zugeworfen hätte, dann hätte ich mein Starren unterbunden – genau so wie ich es von jedem erwarten würde, der oder die mich in ähnlich unbeholfenem Stil anmacht. So lange und intensiv man mich allerdings ansehen kann, umso weniger sollte man mich mit gewissen Begriffen ansprechen. Kleine, Kleines oder Süße sind beliebte Kosenamen, die in der Vergangenheit nicht wenige Männer verwendeten. Es gibt wenig, was ich mehr hasse. Was hat es mit Flirten zu tun, einer Frau ihren Namen zu nehmen und ihn mit einem verniedlichenden, gehaltlosen Begriff wie „Kleines“ zu ersetzen?

Nils, vergibst du Kosenamen? Wieso machen das so viele Männer?

 

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5 Antworten zu “ER so SIE so: Nils, ich bin ein Proll”

  1. Höhö, bei der Verwendung von Kosenamen fällt das leidige Merken des Vornamens weg, vor allem, wenn es sich bei den Männern um notorische Jäger handelt ;)
    Vielleicht aber stammt das noch aus der Zeit, als Humphrey Bogart in „Casablanca“ das non plus ultra war (wobei der so klein war, dass sein „Kleines“ fast schon lächerlich wirken musste ;))

  2. großartig, danke für diese Worte … ich denke bestimmt noch in der ein oder anderen Situation darüber nach, egal ob beim subtilen Beobachten oder penetranten hinschauen!

  3. […] „Kleine, Kleines oder Süße sind beliebte Kosenamen, die in der Vergangenheit nicht wenige Männer verwendeten. Es gibt wenig, was ich mehr hasse. Was hat es mit Flirten zu tun, einer Frau ihren Namen zu nehmen und ihn mit einem verniedlichenden, gehaltlosen Begriff wie „Kleines“ zu ersetzen? Nils, vergibst du Kosenamen? Wieso machen das so viele Männer?“, Amelies vorherige Frage der Strecke ER so SIE so. […]

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