Er so Sie so: Ladies first
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Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Herren, liebe Damen,
ich habe eine gewisse Angst vor Servietten entwickelt. Nicht, wenn sie auf dem Tisch liegen, da finde ich sie eigentlich ganz süß. Sondern wenn sie fallen und da auf dem Boden liegen und schreien „HEB MICH AUF!“ Früher war das einfach, Frau guckt wie ein Reh, tut so, als wüsste sie nicht, wie man das Ding aufhebt, ohne sich den Knöchel zu verstauchen, Mann nimmt sich einen Moment, beugt sich runter und gibt ihr die Serviette mit einem souveränen Lächeln. Servietten-Situation gehändelt, Männlichkeit bewiesen, Weiblichkeit bewiesen, soziale Rollenverteilung klar.
Wenn heute vor mir eine Serviette fällt, fange ich an zu schwitzen. Ich trage in mir diesen Reflex, alles, was Menschen runterfällt, aufzuheben. Jetzt ist die Sache, dass sich viele Frauen gerne ihre Sachen selber aufheben. Ich habe sogar das Gefühl, dass sie sich ungern Dinge von einem Mann aufheben lassen, einfach um mit dieser alten Zeit abzuschließen. So passiert es, dass der Serviettenfall zu einem Wettkampf verkommt. Wer kann sich schneller bücken? Ich nicht (alter Mann!), deswegen verliere ich. Auch lässt es mein Stolz immer seltener zu, mich absichtlich und möglichst schnell vor jemandem zu verbeugen.
Ich hab das Gefühl, vor zehn Jahren noch waren Frauen geduldiger mit den Servietten uns den Männern. Haben uns diesen kleinen Moment der Aufmerksamkeit geschenkt. Diese kleine Chance, unsere sonst so offensichtlichen Schwächen ein bisschen auszubügeln. Heute muss ich um meinen Kopf fürchten, wenn es Richtung Boden geht. Niemand will Schwäche zeigen, wenn es um Servietten geht. Oder um Kugelschreiber, Dokumente, gefallene Bücher.
Diese „Ladies First“ – Situation zieht sich durch viele Lebensbereiche. Ladies First beim Betreten von Gebäuden. Ladies First beim Händeschütteln. Ladies First am Dinner-Bankett. Ladies First unterm Regenschirm. Ladies First auf dem sinkenden Schiff. Ladies First im Briefanfang. Ladies First in jeder ernstzunehmenden Rede. Ladies First, wenn nur noch ein Stück Schokocroissant in der Auslage liegt. Ich frage mich: Wollt ihr das überhaupt noch? Oder bin ich der einzige, der darüber nachdenkt?
#friesbeforeguys
3 Antworten zu “Er so Sie so: Ladies first”
Lieber Nils,
Du bist nicht der einzige, der darüber nachdenkt. Aber vielleicht sollte die Frage eher lauten „Wie will ich zu einem Menschen sein?“. Wenn man da eine Maxime für sich selbst gefunden hat, dann spricht doch eigentlich nichts dagegen, stets nach ihr zu handeln und man selbst zu sein. Du scheinst, für Dich selbst noch nicht herausgefunden zu haben, wie Du lieber verfahren willst. Einerseits ist da dieser Reflex, andererseits: Alter und Stolz. Sobald Du deine Maxime gefunden hast, ist das Servietten-Dilemma kein Thema mehr. Auch für Dein Gegenüber.
[…] Milenas Antwort auf Nils Artikel „Ladies First“ […]
ach mensch, diese armen cismänner, jetzt müssen sie auch noch über geschlechterverhältnisse nachdenken. denen bleibt aber auch gar nichts erspart.