Düzen Tekkal über Allies, Aktivismus, Selbstwirksamkeit und die eigene mentale Gesundheit
Wenn man Düzen Tekkal beschreiben möchte, fallen einem eine Vielzahl an Berufen und Begrifflichkeiten ein. Sie beziehen sich alle darauf, wie viel politisches Engagement und Bildungsarbeit die 44-Jährige leistet. Auf ungleiche Behandlung aufmerksam machen und Menschen in die Sichtbarkeit rücken, deren Lebensrealitäten in der verbreiteten gesellschaftlichen Wahrnehmung nicht stattfinden, sind dabei die wichtigsten Anliegen. Diese macht sie viel via Social Media und vor allem Instagram für alle zugänglich. Auch ich kenne Düzen Tekkal von ihrem Online-Aktivismus, der uns auf emotionaler Ebene erreicht und dazu auffordert, sich einzubringen. Sei es in Deutschland, im Iran, in Syrien oder Afghanistan – egal, wo sie und ihre Geschwister auftreten, gibt es Hoffnung. „Es geht um viel: Gesehen zu werden und dazu zu gehören. Wir kämpfen jetzt für eine lebenswerte Gesellschaft, damit es die nächste Generation nicht mehr machen muss.“, so die Menschenrechtsaktivistin kurdisch-jesidischer Abstammung, die eine Vielzahl Projekte unterstützt und mehrere gemeinnützige Organisationen mitbegründet hat.
Düzen Tekkal macht tagtäglich ihren Mund auf für Toleranz – online und offline
Ganz aktuell ist die von Düzen Tekkal’s Bildungsinitiative German Dream eine von drei begünstigten Organisationen, die mit Spenden aus der „Mund auf für Toleranz Kampagne“ von Fritz-Kola profitieren. Doch hier hört es nicht auf. Noch ein weiterer Partner, die Hamburger Modemarke Habibi, ist involviert und öffnet mit einer gemeinsamen Kollektion eine weitere Ebene, die den Austausch auf Augenhöhe anstoßen soll, um Miteinander zu einer gelebten Realität zu machen. Als Einladung, die Gesellschaft von morgen aktiv mitzugestalten. Etwas, das auch Düzen Tekkal auf Social Media oder in ihrer Hands-on-Arbeit tagtäglich vorantreibt.
Anlässlich des Launches der Kampagne haben wir mit Düzen über die Bedeutung von Allies, über das selbst Aktivwerden, ihre wichtige Rolle und ihre eigene mentale Gesundheit dabei gesprochen.
Als eins der präsentesten Gesichter, wenn es darum geht, sich für andere einzusetzen, ist Düzen Tekkal, Gründerin der Bildungsinitiative German Dream, eine wahre Inspiration. Im amazed-Interview verrät sie uns, wie Wandel aktiv mitgestaltet werden kann und wieso ein „Wir“ die Antwort auf alle Herausforderungen ist.
Autorin, Fernsehjournalistin, Filmemacherin, Kriegsberichterstatterin, Politikwissenschaftlerin, Sozialunternehmerin und Gründerin. Du bist eine wichtige Stimme für Gerechtigkeit und die Wahrung von Menschenrechte weltweit. Auch dafür, dass Du Menschen mit Migrationsgeschichte eine Plattform gibst und für Sichtbarkeit sorgst, kennt man dich. Wie geht es dir mit dieser Rolle?
Diese Rolle ist sehr verantwortungsvoll. Denn ich möchte Stimmen hörbar machen, sie verstärken, nicht meine eigene über sie legen. Es gibt die Gefahr des silencings mit den besten Absichten. Dieser Rolle gerecht zu werden, ist nicht immer einfach. Aber tatsächlich ist sie etwas, das mich gefunden hat und was ich mir nur bedingt selbst ausgesucht habe. Ich glaube schon, dass mein Aktivismus und die ganzen Berufe aus einer Notwendigkeit entstanden sind. Wenn ich beispielsweise 2014 nicht die Menschenrechtsorganisation HÁWAR.Help oder 2019 die Bildungsinitiative German Dream, als Antwort auf “German Angst”, ins Leben gerufen hätte, dann müssten wir es genau jetzt machen. Das merke ich besonders, wenn ich mir mit großer Sorge den Rechtsruck auf der einen Seite, aber auch den religiösen Extremismus weltweit anschaue, die dieser Tage herrschen. Insofern fühle ich mich in meiner Arbeit bestätigt – und vor allem in dem großen „Wir“. Wir, das sind mittlerweile fast 70 Mitarbeiter:innen weltweit. Nichts von dem, was ich mache, mache ich alleine und ich glaube, dass es an der Zeit ist, dass wir alle Position beziehen (müssen) – individuell, aber auch kollektiv als Gesellschaft.
Diese Rolle war also schon immer in dir?
Ich hatte schon früh dieses Bewusstsein, dass die Räume und Narrative von uns hinterfragt und besetzt werden müssen. Das Leben und die Welt sind im Moment sehr anstrengend. Das ist einfach so und ich merke, dass sehr viele Leute überfordert sind. Ich bin aber auch davon überzeugt, dass es eine Währung der Immunisierung sein kann, genau da langzugehen, wo die Angst entsteht, um so der Ohnmacht etwas entgegenzusetzen.
Du bist aktivistisch auf internationaler Ebene unterwegs und schreckst auch nicht davor zurück, dich aktiv dorthin zu begeben, wo Sichtbarkeit gebraucht wird. Was natürlich auch nicht immer der sicherste Weg ist. Wie hat deine Tätigkeit deine Perspektiven und deine Art, im Alltag zu handeln, verändert?
Nichts von dem, was wir thematisieren, ergibt Sinn ohne Einbindung der Betroffenen-Perspektiven. Das ist für mich zum Beispiel etwas, worüber ich noch nicht einmal nachdenken muss. Auch aus persönlicher Erfahrung als mehrfach marginalisierte Person, weiß ich, wie schmerzhaft das ist und wie wütend es einen machen kann, wenn andere Gruppen über ‘uns’ sprechen. Für mich ist das Wort Repräsentanz also nicht nur eine Modeerscheinung. Bei allem, was wir tun, geht es vor allem um die Einbindung der Intersektionalität, der Diaspora und der Internationalität. Etwas, wofür wir hoffentlich wertgeschätzt werden – das Verinnerlichen der Mehrfachperspektive.
War dieser Fokus auch der initiale Gedanke für deine Gründungen?
Das ist das, was wir tagtäglich versuchen. Die Initiativen sind aus dem Schmerz entstanden, dass wir es leid waren, dass andere Leute über uns reden. Ein Beispiel dafür wäre das klassische Patriarchat, das Narrative darüber etablieren wollte, was mit den jesidischen Frauen aus IS-Gefangenschaft passiert, die von der Terrormiliz verschleppt worden waren und teils Jahre später erst wieder befreit werden konnten. Für uns war klar, dass die Frauen selbst wissen, was sie brauchen. Und dass es darum geht, ihnen Gehör zu verschaffen. Für uns ist Öffentlichkeit kein Selbstzweck, sondern ein Mittel, um die Geschichte von Menschen zu zeigen. Niemand möchte viktimistiert werden. Alle haben eine Stimme und es geht darum, der Schallverstärker zu sein. Das bedeutet, dass wir uns selbst zurücknehmen und denen die Bühne geben, die noch nicht die Möglichkeit haben.
Was machen die Arbeit und die Erfahrungen, die du dadurch machst, mit dir?
Meine Erfahrung ist, dass es sehr demütig und dankbar macht und man eher mit einem Komma und Fragezeichen zurückgelassen wird, statt mit Ausrufezeichen und Punkten. Die Welt ist eben nicht Schwarz oder Weiß, sondern differenziert. Das ist auch etwas, was wir uns immer weiter erlauben wollen. Als Menschenrechtsorganisation brauchen wir den Mut zur Menschlichkeit, zur Begegnung, zur Toleranz – mit weltweiten Verbündeten. Vor ein paar Tagen war ich zum Beispiel in Paris und habe dort mit der Bürgermeisterin über die Unruhen in den Banlieues gesprochen, vor allem darüber, was für eine Veränderung für eine Gesellschaft mit sozialer Gerechtigkeit gebraucht wird – eine, von der alle profitieren.
Was braucht es denn für so eine Gesellschaft?
Eine inklusivere. Eine gerechtere dahingehend, dass Ressourcen so zugänglich gemacht werden, dass möglichst allen eine Teilhabe ermöglicht wird. Integration bedeutet für mich immer auch die Erkenntnis und das Bewusstsein dahingehend, dass Diversität auch wehtut. Wir wollen nicht, dass das infrage gestellt wird. Wir Menschen mit Migrationshintergrund sind einfach da und ein Teil dieser Gesellschaft und das sollte nicht defizitär betrachtet werden. Stattdessen sollte man den inneren Reichtum anerkennen, den es mit sich bringt, inklusive der Herausforderungen und Probleme. Die oft getroffene Unterscheidung zwischen gutem Migranten und schlechtem Migranten ist gefährlich. Da müssen wir gesamtgesellschaftlich einfach schon viel weiter sein. Genau aus diesem Grund ist es extrem wichtig, dass wir selbst mit einem Narrativ dazu beitragen, gesehen und gehört zu werden – mit all unseren Fähigkeiten, aber auch den dazugehörigen Schmerzen.
Meinst du, dass wir irgendwann an diesem Punkt sein werden?
Da haben wir noch einen weiten Weg vor uns, bei dem alle gefragt sind. Es ist nicht nur die Aufgabe der Hinzugezogenen, für sich einzustehen, sondern die Gesellschaft muss dafür sorgen, dass sich niemand verkämpft. Denn der größte Resilienzmuskel nützt nichts, wenn die Strukturen immer noch Klassenschranken und Rassismus befördern. Natürlich sind das Themen, die nicht schön sind und die die Leute nicht gerne hören. Wir versuchen zum Beispiel bei all unseren Arbeiten dahin zu gehen, wo Möglichkeiten entstehen und somit eine Antwort auf die Herausforderungen zu geben. Egal, ob das bei unserer Hands-on-Arbeit in Afghanistan, in Irak oder auch hier in Deutschland ist. Das ist verdammt harte Kärrnerarbeit und nicht so einfach, wie die Leute immer denken. Aber wir müssen jetzt, mehr denn je, mehr machen, als uns nur online zu beschweren, was schiefläuft.
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Du hast es eben schon angesprochen, Möglichkeitsinseln schaffen: Wie kann man einen Dialog anstoßen, in einem Umfeld, in dem man sich nicht unbedingt sicher fühlt und oder keine Allys hat?
Das ist das Schicksal, was viele von uns haben, die nicht dem klassischen Phänotyp entsprechen. Um das zu überwinden, braucht es mehr von uns. Aber auch einen Kulturwandel in der Gesellschaft, weg von Sätzen wie „Wir haben ja schon eine:n Migrant:in oder eine Stimme“. Auf so einen Gedanken würde man nie kommen, wenn man verstehen würde, dass Menschen, die hinzukommen, kein monolithischer Block sind. Wir sind genauso divers wie wir untereinander unterschiedlich sind. Es muss aufhören, dass Charaktereigenschaften immer noch nach Herkunft und Nationalität kategorisiert werden. Das sind blinde Flecken, die wir alle in uns tragen – auch wir.
Kann man dagegen etwas tun?
Was da helfen kann, ist ständiges Hinterfragen. Für mich und meine Schwestern bedeutet das, dass wir bei allem, was mir machen, einbringen, wer wir sind und wo wir herkommen. Das empfinden manche als Konfrontation, aber für uns ist es ein Teil davon, wie wir unsere Identität leben. Dabei wird man auch immer mit Ressentiments konfrontiert, die einen dazu zwingen, anders zu kämpfen. Das ist einem selbst oft gar nicht bewusst, weil man diesen Automatismus schon verinnerlicht hat und sich nur manchmal fragt: Warum bist du eigentlich so müde?
Dein Beruf vermischt sich stark mit dem Privaten und kann fast schon als Berufung gesehen werden. Wie setzt du Grenzen und sorgst dafür, dass dich die Themen nicht zu sehr verfolgen? Wie gehst du mit der Verantwortung und Erwartungshaltung um, die andere auf dich projizieren? Da schwingt ja auch viel Mental Load mit.
Dieser Mental Load wird von vielen Aktivist:innen am Anfang gar nicht mit eingerechnet, weil man so getrieben ist. Das ist ein schleichender Prozess, der nebenbei entsteht. Da musste ich auch Maßnahmen entwickeln, mir Hilfe holen, Begleitung, Supervision machen, reflektieren und alte Glaubenssätze ablegen. Vor allem aber das schlechte Gewissen. Denn um funktionieren zu können, muss ich auch am Leben angedockt sein. Die Erwartungshaltung, die ich dabei an mich selbst formuliere, lautet: Wie steht es um meine eigenen Menschenrechte, während ich für die Menschenrechte der anderen kämpfe? Das ist etwas, das viele Menschen kennen, die im NGO-Sektor aktiv sind oder in Berufen, wo sehr viel Hilfe gefragt ist. Es ist wichtig, sich dabei selbst nicht zu vergessen! In dem Punkt möchte ich ein gutes Vorbild sein und zeigen, dass ich Grenzen habe – für unsere Mitarbeiter:innen, für meine Geschwister.
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Das bedeutet, man kann die gesunde Abgrenzung erlernen?
Wir müssen realisieren und annehmen, dass das, womit wir uns beschäftigen, auch etwas in uns auslöst. Und überlegen: Will ich das jetzt? Will ich das jetzt zulassen oder lasse ich es draußen? Früher war ich stolz darauf, über Grenzen zu gehen und zu zeigen, dass ich so stark bin. Jetzt ist das für mich keine Stärke mehr. Im Gegenteil, es ist gesund zu sagen: Hier ist meine Grenze. Egal wie hart die Themen sind oder der Widerstand und die Anfeindungen, die mir begegnen, das sind oft Dinge, die nichts mit mir persönlich zu tun haben. Ich werde als Projektionsfläche benutzt. Also ist es wichtig, dafür zu sorgen, dass das nicht an mich rankommt. Weil wenn das Gift einmal drin ist, dann braucht es ganz harte Maßnahmen, um es rauszubekommen.
Wie gehst du damit um und was hilft dir dabei?
Ich finde, wir dürfen uns nicht in unserem Kampf, in unserer Arbeit und in den langfristigen Zielen schwächen lassen. Auch beim Umgang mit Kritik. Wenn mir ein Geschwisterteil schreibt „Hast du schon gesehen, was xy über dich geschrieben hat?“, dann denke ich mir: Das will ich auch gar nicht. Das hat dann nichts mit einer Ignoranz von Realitäten zu tun, sondern ich stelle mir dann wirklich die Frage: Habe ich die Kapazität dazu, oder nicht? Was mir noch hilft, ist meine Aufgabe, mein Purpose. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass, wenn ich für ein Thema brenne und einstehe, es mich noch stärker macht. Egal wie sehr ich angegriffen werde und egal wie sehr es unter der Gürtellinie stattfindet. Die Anfeindung macht mich noch stärker.
Ich glaube, das ist etwas, was viele von uns kennen. Wir denken bei allem, was wir tun, im Kopf schon die Monkeys und Geister mit, die wir selber haben – auch die Erwartungshaltungen. Das heißt, unsere Entscheidungen haben das alle schon mit eingepreist und wenn dann immer noch jemand sagt „Es passt nicht“, dann passt es halt nicht. Ich habe in erster Linie die Verpflichtung, mir selbst treu zu sein. Mir, meinen Themen und dem, was mir wichtig ist. Dazu gehören auch ein gesunder Egoismus, eine Stärke und die Gelassenheit, dass man sich von dem Geschrei nicht umhauen lässt. Das ist etwas, das mir auch negativ auffällt: Was soll denn immer dieses verletzende Verhalten – auch untereinander? Wir schwächen uns damit. Genau dann muss man selbst das Vorbild sein, was man sich von anderen wünscht.
Gibt es ein Ereignis, dass dich immer daran erinnert, warum du das machst?
Der Völkermord an meiner Religionsgemeinschaft. Man denkt ja immer, je länger etwas her ist, desto mehr Abstand gewinnt man dazu, aber bei mir ist es genau umgekehrt. Ich werde immer wieder daran erinnert, was Entmenschlichung für ein Gewicht hat, mit der letzten Stufe, dem Völkermord. Das beginnt immer mit der Entstehung von Feindbildern und das ist der Grund, warum wir da tagtäglich gegen Ankämpfen. Egal, ob ich in Pakistan, in Iran oder in Syrien bin, was mich vor allem inspiriert, ist die Stärke der Menschen, die unter viel schwierigeren Bedingungen für viel größere Sachen kämpfen und nicht aufgeben. Das ist so etwas wie mein Anker, an den ich mich immer wieder zurückerinnere, wenn der Wind rau wird. Diese Immunisierungsstrategie kann man übrigens auch lernen und teilbar machen.
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Mit deinen Geschwistern hast du die Bildungsinitiative German Dream und den Verein HÁWAR.Help ins Leben gerufen: Was ist das Beste daran, mit Menschen zusammenzuarbeiten, die einen so gut kennen und auch auf einer gleichen kulturellen Ebene verstehen?
Wir mussten gegen viele Vorurteile ankämpfen. Wir haben die Organisationen als Schwestern gemeinsam gegründet. Als Kinder von Gastarbeitern wurden wir anders bewertet als die Kinder, die in zweiter oder dritter Generation aus Unternehmer-Familien stammen. Wir mussten also doppelt und dreifach beweisen, dass jede es verdient hat, ihre Position zu besetzten. Doch das Geschenk dahinter war natürlich tausendprozentiges Vertrauen. Genau deswegen habe ich dafür auch so gekämpft. Die hiesigen Gesellschaften müssen sich daran gewöhnen, dass andere Kulturen Reichtum und Erfahrungswerte mitbringen, die auch für die eher individualisierte Gesellschaft in Deutschland spannend sind. Das ist ja nichts, was exklusiv kurdisch-jesidisch ist. Ich kenne das auch von vielen afrikanischen Freund:innen, die nach dem Leitsatz: “Ich bin, weil du bist” handeln. Kollektivistisch einfach. Wie ein Organismus.
Auch bei unseren Mitarbeiter:innen machen wir da keine Unterschiede. Es gibt die Kernfamilie und dann gibt es auch so etwas wie eine spirituelle Familie. Für mich ist das ein wahnsinnig wertvolles Gefühl zu wissen, dass ich mich auf mein Team verlassen kann – blind. Jeder Mensch braucht das, weil wir immer wieder enttäuscht und verletzt werden, und das kann extrem zum Wackeln bringen. In solchen Momenten ist es heilsam zu wissen: Da gibt es einen Ort, auf den kann ich mich verlassen, egal was ist. Für mich ist das ein Ankerzentrum sowie die Basis meines Urvertrauens. Ich werde oft gefragt: Wie schaffst du das? Wir schaffen das gemeinsam. Wir spielen uns im besten Sinne die Bälle zu.
Das klingt total schön.
Dazu noch ein Beispiel, meine kleine Schwester hat ein eigenes Format beim WDR, das heißt „ANDAZ“ (ungefähr gesprochen wie „anders“). Und wenn sie ihre Produktion hat, dann sind wir alle für sie da – all in. Dann macht eine Schwester die Care-Arbeit, die andere hilft redaktionell oder unterstützt vor der Kamera. Für uns klar, wenn jemand einen Wunsch hat, dann ordnen sich alle anderen unter. An seinen Träumen zu arbeiten, ist verdammt harte Arbeit und diese Support-Prinzipien lassen sich auf die Gesellschaft übertragen. Das macht für uns nicht außerhalb der Schwesternschaft halt. Mit allen, mit denen wir ins Commitment gehen, versuchen wir Potenziale zu entwickeln, zu fördern und sichtbar zu machen. Was nützen uns unsere Netzwerke, wenn wir die nicht zur Verfügung stellen? Was nützt uns unser Vitamin B, was wir uns hart erarbeitet haben, wenn wir es nicht teilbar machen? Wir haben auch keine Angst davor. Mit diesem Konkurrenzdenken beschränken wir uns nur – innerer Reichtum sieht anders aus. Ich finde, das hat viel mit Vertrauen zu tun. Natürlich kann man dabei enttäuscht werden, aber ich glaube, dass wir uns viel mehr nehmen, wenn wir nicht mit dieser Offenheit ins Leben gehen.
„Mund auf für Toleranz in Zeiten wie diesen ist harte Arbeit. Aber es geht darum, Position zu beziehen – unabhängig davon, wie es am Ende läuft. Selbst wenn es pathetisch klingt: Wir brauchen mehr denn je glänzende Allies aus ganz vielen unterschiedlichen Bereichen.“
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Wie kann man Wandel aktiv mitgestalten und gegen rassistische wie klassistische Strukturen angehen? Welche praktischen Tipps für den Alltag kannst du unseren Leser:innen mitgeben, um auch ihre eigene Selbstwirksamkeit zu erkennen?
Wir freuen uns natürlich immer, wenn Vereinsarbeit unterstützt wird. Das muss nicht bei HÁWAR.help sein. Es gibt viele weitere Organisationen, die man unterstützen kann. Es geht auch darum, von seinem Demonstrationsrecht Gebrauch zu machen, an Kundgebungen teilzunehmen, Petitionen zu unterschreiben. Wir leben in einem Rechtsstaat, wo wir die Möglichkeit haben, viel mehr zu verändern, als uns bewusst ist. Daher ist es wichtig, unsere Selbstwirksamkeit zu erkennen. Wir haben zum Beispiel immer die Möglichkeit, Kommunalpolitiker:innen anzuschreiben, Briefe zu verfassen, auf die Straße zu gehen, zu mobilisieren und als Teil einer Bewegung unseren Beitrag zu leisten.
Ich sage das deswegen, weil Menschen an Orten, wo Despotien herrschen, dabei ganz andere Dinge riskieren. Ich denke da zum Beispiel an die mutigen Mädchen aus dem Iran, die tanzend ein Zeichen gesetzt haben, jetzt verschwunden sind und riskieren, verhaftet zu werden und ins Gefängnis zu kommen. Und das in den schlimmsten Bedingungen, die man sich vorstellen kann – insbesondere für junge Mädchen. Da frage ich mich manchmal schon, ob wir uns an unsere Bequemlichkeit, Sicherheit und ein gewisses Jammern auf hohem Niveau gewöhnt haben. Dabei gibt es Menschen, die kämpfen ums Überleben.
Also lasst uns doch die Tatsache, dass wir das Glück hatten, in einer Gesellschaft zu leben, wo wir aufbegehren dürfen, wo wir unsere Stimme erheben dürfen, ohne dafür uns Gefängnis zu wandern, mehr nutzen!
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Eine Antwort zu “Düzen Tekkal über Allies, Aktivismus, Selbstwirksamkeit und die eigene mentale Gesundheit”
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