Doku-Tipp: Der kleine Unterschied 2018
Feminismus ist in meinem Umfeld ein großes Thema, zuletzt diskutierten wir in großer Runde über Machtstrukturen und Gehälter. Trotzdem: Egal, wie oft wir über das Gleichberechtigung sprechen, gibt es auch immer wieder Frauen und Männer, die irgendwann gelangweilt gähnen und sagen: „Also mal ehrlich, es ist doch eh schon voll gut.“ Tatsächlich: Im Vergleich zu der Zeit, als meine Oma eine junge Frau war, hat sich viel getan. Die Emanzipierung der Frau ist vorangeschritten, Frauen dürfen heute sehr viel mehr als früher, ihre Bereiche haben sich erweitert und das Bild der Mutter und Hausfrau ist heute eine Wahlmöglichkeit, aber keineswegs mehr der alleinige Weg im Leben einer Frau.
Das große Aber folgt trotzdem. Denn so sehr es sich für manchen anfühlen mag, Gleichberechtigung ist noch lange nicht erreicht. Es ist heute einfacher, wer aber genauer einmal hinsieht, sich mit Feminismus und der (Un-)Gleichheit zwischen Mann und Frau beschäftigt hat, kann nicht mehr sagen: Es reicht. Nein, es fängt gerade erst an. Die #metoo-Debatte war ein Anstoß, die Entwicklung ist dennoch zu langsam.
Seximus hat nicht immer was mit Sex zu tun, Sexismus hat aber immer mit Macht zu tun
Pia Lenz und Anna Orth, zwei Journalistinnen des NDR, ging es ähnlich. Erschüttert bemerkten sie in ihrem Umfeld, wie wenig Frauen sich für Gleichberechtigung und für ihre Rechte – beispielsweise beim Thema Bezahlung und Karriere – einsetzten, sondern vieles als gegeben ansahen. Weil: „Es läuft ja schon so gut in Sachen Gleichberechtigung.“
Um all jenen aufzuzeigen, dass wir Frauen zwar emanzipiert, aber noch lange nicht die selbe Wahrnehmung und Möglichkeiten erfahren wie das andere Geschlecht, interviewten sie 18 Frauen zu ihren Erfahrungen im Alltag und Job, zu Sexismus und Bezahlung, zu Aufstiegschancen und Problemen. Die Frauen kommen aus ganz unterschiedlichen Berufsfeldern, sind Chirurgin, Mutter, Architektin, Vorstandsvorsitzende, Friseurin, Alleinerziehende, Ehefrauen und Singles. Herausgekommen ist die Doku „Der kleine Unterschied 2018“ – ein Abbild auf unsere vermeintliche Gleichberechtigung im Jahr 2018.
Zu Beginn der Doku zählt die zehnjährige Julia auf, was Frauen alles machen können. „Rumschreien, Operieren, Fußballspielen, Autos reparieren.“ Ihr Fazit: „Ich glaube, es gibt nichts, was Mädchen nicht wie Jungs machen können.“ Wie falsch sie damit liegt, wird im Verlauf der Doku klar. Denn ihre erwachsenen Mitstreiterinnen haben andere Erfahrungen gemacht. Sie wurden ausgebremst, berichten von Sexismus und Machtmissbrauch, von männlichen Führungsriegen, von der gläsernen Decke und von Rollenbildern, die bis heute existieren.
Irgendwann fragen die zwei Journalistinnen: „Frauen, was hält euch eigentlich ab?“
Die Antwort fällt ernüchternd aus: Es ist die Gesellschaft, die gläserne Decke, das Kinderkriegen, was Frauen bis heute hindert, nach ganz oben zu kommen. „Es ist wie ein Computerspiel: Du erreichst Level 1, Level 2, aber dann Level 3, 4 und 5 wird es ziemlich dünn“, sagt eine der Protagonistinnen. Untermauert wird diese These von den Journalistinnen mit klaren Fakten. Denn sobald es um die Machtverteilung im Beruf geht, sieht es in Deutschland immer noch mau aus.
92 Prozent aller Oberbürgermeister sind männlich
Der Frauenanteil im Bundestag liegt bei 31 Prozent, zuletzt war er 1998 so niedrig. Nur 9 von 300 ausgezeichneten Spitzenköchen mit Stern sind weiblich. Weibliche Führungskräfte im Mittelstand: 16 Prozent. 80 Prozent aller Experten im Fernsehen sind männlich. Dafür erhalten Frauen 53 Prozent weniger Rente.
Müssen also Frauen sich verändern, um sich in der Gesellschaft zu behaupten, wie es viele Führungsratgeber empfehlen – oder ist es nicht mehr an uns, der Gesellschaft, Männer wie Frauen, neue Schritte und Wege zu gehen?
Wer „Der kleine Unterschied 2018“ als Frau sieht, wird vieles kennen. Wird sich wiedererkennen in Situationen, in Gesprächen und in Erfahrungen. Wird bewusst bemerken: Es gibt noch so viel zu tun. Und damit es schneller geht, die Träume der kleinen Julia Wahrheit werden, hilft reden und aufmerksam machen. Indem man zum Beispiel diese Doku beim nächsten Mal allen ans Herz legt, die meinen, Feminismus braucht es nun wirklich nicht mehr. Oh doch, meine Lieben, oh doch.