Kolumne: Die starke Singlefrau und der Wunsch nach Bindung

26. September 2021 von in

„Und dann klickst du nur noch auf Bestätigen und fertig.“ Meine Freundin grinst mich an. „Aber, ehm, meinst du, mein Profil wird auch Menschen angezeigt, die mich kennen?“ „Natürlich. Jeder, den du kennst und der auch Single ist und nicht so lahm wie du, ist sicher auch auf dieser App.“ Ich zögere. „Das ist aber Mist.“ „Hä?“ „Naja, ich will nicht, dass irgendwer denkt, ich sei irgendwie verzweifelt auf der Suche.“

Bäm. Unser patriarchales System hatte zugeschlagen und mir kräftig eine mitgegeben. Es ist Sommer 2016, ich bin seit fast einem Jahr Single und wage mich das erste Mal auf eine Datingapp. Nicht ganz freiwillig, doch meine Freund*innen sind der Meinung, es wäre an der Zeit, mich endlich mal ins richtige Singleben zu stürzen. Also sitzen wir über mein Smartphone gebeugt, haben ein paar Fotos ausgewählt und ich könnte loslegen. Wäre da nicht die Stimme der Gesellschaft, die mir sagt: Sei bitte bloß nicht die Singlefrau mit 30, die verzweifelt auf der Suche ist.

Kaum habe ich den Satz ausgesprochen, bin ich selbst erschrocken. „Toni, jetzt mal ehrlich, jeder ist auf diesen Apps, wenn er Single ist“, höre ich meine Freundin. Sie hat recht. Wie soll man auch heutzutage jemand anderen kennenlernen, wenn nicht auf diesen Apps?

Ich hatte es wirklich versucht. Ich war nicht gezielt auf der Suche, war mir aber sicher, irgendwann wieder über Freund*innen, Job oder beim Ausgehen jemand Nettes kennenzulernen. So hatte das vor sieben Jahren auch funktioniert. Nur: Sieben Jahre zuvor waren Tinder & Co. noch nicht geboren. Ein kleiner Plausch an der Bar, ein langer Abend im Club und man hatte jemand neues kennengelernt, den man vielleicht auf einen Kaffee wiedersah. 2016 hatte sich der Spieß gedreht. In der Bar blieben Gruppen unter sich, man kam zwar ins Gespräch, ein Flirt mit dem eigenen Smartphone schien jedoch wahrscheinlicher als einer unter Singles draußen vor dem Club.

Trotzdem: Irgendetwas sträubte sich in mir. Eine Datingapp bedeutet auch immer, sich offen zu bekennen.

Ja, ich möchte jemanden kennenlernen. Ja, ich habe einen Bindungswunsch. Ja, ich hätte gerne wieder eine Beziehung.

Aber ist das schlimm?

Eigentlich nicht. Und doch wird dir als Singlefrau suggeriert, sei cool, sei stark und sei bloß bitte nicht verzweifelt auf der Suche. Ja, tobe dich aus, sei ein selbstbestimmter Single, der tut, was er will, neben Karriere, Freund*innen und Restaurantbesuchen. Das Singleleben soll die persönliche Bereicherung schlechthin sein. Weil, ja warum eigentlich?

Theresa Bücker schreibt im Vorwort des Buches „Ungebunden“ ganz passend: „Solange Singles ihr Lebensmodell als empowered beschreiben müssen, müssen sie sich auch dafür rechtfertigen, von einem anderen Leben abgewichen zu sein. Man kann nachwievor nicht alleine leben, ohne eine gute Erklärung dafür zu haben. Die fehlende Partnerschaft wird nur dann von der Gesellschaft übersehen, wenn an ihre Stelle etwas anderes Großes getreten ist, für das sich die Person stattdessen entschieden hat. Sie darf keine seltsame Dame mit Katzen sein. Andere müssen zu ihr aufschauen wollen. Die feste Beziehung oder Familie als Indiz für ein gelungenes Leben verlieren zwar an Bedeutung, doch um ein gelungenes Leben als alleinstehender Mensch vorzuweisen, muss dieses maximal selbstbestimmt sein. Alleinstehende müssen Überzeugte sein, unverwundbar, die Sehnsucht nach etwas anderem abgelegt haben. Sie müssen selbstbewusste, charismatische, unabhängige Singles sein.“

Puh, auf den Punkt.

Ich wollte genau dieser selbstbewusste, charismatische Single sein, der wirklich richtig gut alleine klarkommt.

Kam ich ja auch die meiste Zeit und doch kitzelte in mir der Wunsch nach Bindung. Nach einer Beziehung auf Augenhöhe. Und um zu dieser irgendwann zu kommen, braucht es: Dates.

Dass die Sehnsucht nach Bindung eine völlig legitime ist, bestätigte mir Wochen später auch mein Therapeut, dem ich zähneknirschend, ja fast schon peinlich berührt, von meinen Datingapp-Versuchen erzählte. „Der Wunsch nach Bindung ist doch ein legitimer“, sagte er, während ich nickte und zum Aber ansetzte. „Aber ich möchte eben nicht verzweifelt auf der Suche sein.“ „Sind Sie das denn?“ „Nein.“ „Na eben. Sie sehen sich um, lernen neue Menschen kennen und bleiben nicht stehen. Ich sehe hier keine verzweifelte Singlefrau. Sie wollen sich ja auch nicht mit jedem x-belieben Mann vermählen, oder?“ „Um Gottes Willen.“ „Dann ist doch alles klar: Sie können eine starke Singlefrau sein mit einem Bindungswunsch.“

Das saß.

Hollywood, Bücher und allerlei gesellschaftliche Annahmen hatten mich so sehr beeinflusst, dass ich mir selbst das Bild der starken Singlefrau auferlegt hatte, die auf keinen Fall wie Bridget Jones verheult im Bett liegen oder auf zehn Dates in 6 Wochen gehen wollte, sondern ihre Karriere vorantrieb oder mit Freund*innen Zeit verbrachte. Und im besten Fall ganz rein zufällig über den Mann ihrer Träume stolperte.

Dass das eine Mär ist, ja, das muss ich euch wohl nicht erzählen. Das Singlesein ist wundervoll. Ganz oft, ganz großartig. Man kann vieles entscheiden, ist völlig frei in seiner Lebensgestaltung und genießt die Zeit mit sich. Aber eben nicht 24/7. Es gibt auch jene Tage, an denen man sich wünscht, endlich mal nicht alles alleine entscheiden zu müssen. Jemanden an seiner Seite zu haben, mit dem der Sonntag klar strukturiert ist, sich auf jemanden einstellen, ja Rücksicht nehmen. Endlich mal wieder jemand umarmen können, diese besondere Vertrautheit spüren. Und Zukunftspläne zu schmieden, die nicht nur einen selbst betreffen. Auch das kann eine Sehnsucht sein.

„Das Singleleben war und ist insbesondere für Frauen emanzipatorisch, doch in der Empowerment-Version bewirkt es das Gegenteil. Das öffentliche Bild des starken Singles macht nicht freier“, schreibt Theresa Bücker. Ja, ja, ja – rufe ich.

Alleine zu leben und das zu bedauern scheint ein Schmerz zu sein, der in unserer selbstoptimierten Gesellschaft nur ungern gesehen oder gehört wird.
Sei Single, sei stark, sei froh darüber, genieße es. Aber heul bloß nicht rum.

Dass mit dem Alleinsein aber auch Schwierigkeiten, Sorgen und Nöte heraufbeschworen werden können, wird schnell vergessen. Irgendwann will man vielleicht eben doch nicht mehr nur alleine durchs Leben gehen. Irgendwann träumt man vielleicht von anderen Schritten als in Richtung Karriere.  Als Frau mit über 30, die einen Kinderwunsch hat, kann das Alleinsein auch zeitweise eine Qual sein. So froh sie über ihren Singlestatus in vielen Momenten auch sein mag. Manchmal sticht es eben doch, die Angst kriecht den Nacken darauf, und die Frage stellt sich: Muss ich meinen Traum für immer begraben? Ja, man braucht nicht zwingend eine Partnerschaft, um Kinder zu kriegen. Stichwort: Single-Parenting. Aber nicht jede Frau hat auch diesen Mut. Feministin hin oder her.

Liebe dich selbst, dann wird das schon, heißt es dann in Frauenmagazinen. Welch‘ ein Irrtum!

„Die schlimmste aller Lügen der Selbstoptimierungsgesellschaft ist, dass, wenn es dem Herzen an etwas fehle, genügend Selbstliebe auch diesen Schmerz lindern könne. Es gehört Mut dazu, sich diesem Paradima ausgerechnet beim Thema Partnerschaft entgegenzustellen und den kursierenden Rezepten für das Finden einer Liebe eine Absage zu erteilen“, so das Vorwort von Theresa Bücker in „Ungebunden“.

Ich würde behaupten, ich war ein starker, selbstbewusster Single. Ich war nicht getrieben von meinem Wunsch nach Bindung, aber ich habe ihn trotzdem existieren lassen. Ich wollte mich nicht hetzen, durch zahlreiche Dates jagen, gleichzeitig aber auch nicht meinen Wunsch nach Bindung verneinen. Ich wusste, ich genieße meine Zeit alleine, ich mache das Beste daraus, weiß, dass es auch andere Wege und Lebensentwürfe gibt und vertraue trotzdem darauf, dass irgendwann wieder jemand in mein Leben tritt. Jemand, den ich mag, der nicht nur meinen Wunsch nach Bindung erfüllt, sondern mein Leben auch bunter macht, ergänzt, ein guter Freund ist. Nachgeholfen habe ich mit Stippvisiten auf Datingapps, auf denen ich mich nie völlig wohlfühlte. Ganz ablegen kann man das anerzogene System eben doch nicht.

Gleichzeitig wurde mir eines bewusst: Das schöngefärbte Bild der selbstbewussten Singlefrau ist eine Krux, die uns das Leben schwer macht.

Denn Liebe ist die meiste Zeit in unserem Leben Glück. Und das Dasein als Alleinstehende eben nicht immer selbstgewählt, frei entschieden und eine überzeugte Wahl. Sondern manchmal eben auch einfach das Leben, das passiert. Und es ist völlig okay, wenn man sich eingesteht: Ich möchte gerne etwas anderes. Eine Beziehung. Ganz losgelöst von patriarchalen Strukturen und gesellschaftlichen Anforderungen.

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16 Antworten zu “Kolumne: Die starke Singlefrau und der Wunsch nach Bindung”

  1. JA JA JA!

    Ich habe vor einem Monat nach einer kurzweiligen Tortur mit dem Daten aufgehört. Und letzte Nacht den Menschen dann zufällig draußen wiedergesehen: wartend, auf ein neues Date.

    Seitdem ich mich auf mich konzentriere, geht es mir gut. Und spannende Online-Dating Geschichten bekomme ich auch von meinen Freundinnen genug.

  2. Danke für diese tollen Zeilen, ich fühle mich gesehen! Und auch „Ungebunden“ ist großartig und wichtig – außerdem nicke ich gerade auf jeder Seite bei Sara Eckels „It’s not you. 27 (wrong) reasons you’re single“ – kann ich sehr empfehlen…

  3. Ich war in meinem Erwachsenenleben länger Single als in Beziehungen. Ich weiß, dass ich gut alleine klar komme… muss ich niemandem mehr beweisen.

    Ich bin einfach lieber in einer Beziehung, wünsche mir einen Partner und Kinder. Und ich habe jedes Recht rumzuheulen und mir das auch zu wünschen. Mich macht es unfassbar sauer wenn mir Leute dann sagen: du darfst das nicht so sehr wollen, wenn du es nicht willst, dann kommt er schon – von ganz alleine. Als wäre ich Single weil ich mir zu sehr einen Partner wünsche! bullshit. Ich bin 33 mit Kinderwunsch… wie stellt man sowas denn bitte einfach ab? Während Corona, wo sonst nichts passiert… wo ich nicht reisen kann, mein Job auf Kurzarbeitssparflamme läuft…

    Joa… aber auf keinen Fall darf man sich beklagen, denn man kann ja so toll unabhängig sein Leben genießen… ?

    • 100 % – genau so! Ich finde diese Sichtweise so wichtig und sie muss mehr Platz finden. Als ob man aus irgendeinem Grund auch immer Single wäre. Die richtige Person zu finden, mit der man viel Zeit verbringen will, ist auch und vor allem Glück. Ich wünsche dir ganz viel davon ❤️

    • Ich möchte dir zu 100% zustimmen. Mir geht es genau wie dir! Mir hängt es sowas von zum Hals raus (ich finde es sogar anmaßend), wenn man selbst dafür verantwortlich dafür gemacht wird, dass man Single ist. Allein der Satz: „Vielleicht sind deine Ansprüche zu hoch?!“ HALLO?! Ansprüche können gar nicht zu hoch sein, wenn man sich selbst viel wert ist… Oh Mann. Du hast vollkommen recht in allem, was du schreibst!

  4. Toller Artikel. Ich bin auch nicht freiwillig allein und mich nervt beides: Sprüche wie z,B. ich solle doch froh sein, meine Ruhe zu haben. Wäre doch toll heimzukommen und niemand ist da. Genauso verletzend ist Mitleid, brauche ich nicht, und Bedauern wie „du Arme, jetzt hast du ja gar keine Ansprache!“ Wie kommen die Leute darauf? Ich habe Ansprache von Familie und Freunden, Kollegen.. usw

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