Die Psyche ist nicht alles! Muss ich zur Therapie?

8. Oktober 2019 von in

Die Seele und der Körper. Ein eng miteinander verbundenes Konstrukt, das zusammen den Menschen als solches bildet und unmittelbar miteinander zusammenhängt. Glücklicherweise zieht die Seele heute deutlich mehr Aufmerksamkeit auf sich als noch vor wenigen Jahren. Depression war früher eine nicht anerkannte Krankheit und gewinnt heute immer mehr an Akzeptanz. Glücklicherweise. Denn psychische Erkrankungen sind mindestens genauso Krankheiten wie körperliche, schließlich gehören die zwei zusammen wie Dick und Doof und verdienen deshalb den nötigen Respekt. Gut so. Gut, dass wir über Depressionen sprechen, gut dass es Psychotherapeuten gibt, gut, dass wir alle eine Therapie machen können, wenn wir sie brauchen!

Ich brauche anscheinend so eine Therapie, meinen Gesprächen der letzten 10 Jahre nach zu urteilen. Wenn ich mal traurig war und an der Menschheit aufgrund von beispielsweise Trennungsschmerz zweifelte, kam der Ratschlag von meinem Gegenüber: „Ich bin ja in Therapie! Hast du das auch schon überlegt?“, Wenn ich mich unausgeglichen fühlte, weil ich zu viel gearbeitet habe, legten mir Menschen ans Herz, etwas mehr Raum für mich, beziehungsweise Tiefenpsychologie zu schaffen. Das täte der Seele gut, dem Körper und überhaupt. Ein bisschen wie Yoga oder Meditation, nur halt mit Reden satt Nicht-reden.

In Zeiten von Selbsttherapie- sowie Beziehungspodcasts wie Paardiologie ist das Thema Therapie so brisant wie nie. Laut Charlotte Roche, Mitgründerin des Beziehungspodcasts Paardiologie, haben ihre Zuhörerinnen und Zuhörer mit deren PartnerInnen nach dem Anhören des Geblubbers von Charlotte und ihrem Ehemann Martin häufig Sex, weil das offen und ehrliche Aussprechen der Beziehungsprobleme ein Anstoß für viele ist, sich ihrem Partner wieder mehr zu öffnen. Das Paar gibt uns Beziehungstipps mit, erklärt uns die vier Säulen des Untergangs einer Beziehung, legt uns paartherapeutische Anwedungen ans Herz und diskutiert Sexprobleme. Eigentlich sollten wir alle in Therapie gehen, oder mindestens therapeutisch anmutende Podcasts anhören, damit wir endlich zu uns selbst finden, oder?

Vorsicht, hier kommt ein unbeliebter Gedanke: Oder sollten wir mal aufhören, uns die ganze Zeit um uns selbst zu drehen und uns an greifbaren Eckpfeiler festhalten, mit denen man was anfangen kann. Manchmal habe ich das Gefühl, eine Therapie macht nicht unbedingt alles besser. Wer sich aus Lifestyle- und Me-Time-Gründen therapeutische Youtube Videos ansieht, um sich selbst besser kennenzulernen, kann sich in eine nicht enden wollende Spirale aus neu entdeckten Problemen drehen. Wie ein Adler kreist man womöglich um seine Seele herum, beobachtet sich pausenlos und vergisst, was eigentlich nochmal das Ziel war. Versteht mich nicht falsch, ich bin davon überzeugt, dass sowohl Paartherapien als auch Psychotherapien jeder Art seine Daseinsberechtigung hat und für viele Menschen wichtig ist, ein Anker, ja, sogar Leben retten kann.

Doch wenn meine Garderobe decluttered ist, mein Kühlschrank gefüllt mit regionalen und biologischen Lebensmitteln, die Hafermilch die Kuhmilch ersetzt hat, der Sport getan ist und meine Haut bereits porenfrei strahlt, dann kann ich mich ja auch mal mit meinem Seelenleben beschäftigen und die Seele ordentlich aufräumen. Genau, optimieren. Irgendwas kann man schließlich immer finden. Irgendwo ist er doch, der blöde Haken. Der Vaterkomplex, die Trennung der Eltern, der psychopathische Exfreund, das jahrelange Mobbing in der Pubertät. Wieso nicht einfach mal in der Gefühlswelt herumwirbeln wie ein Staubwedel und herausfinden, wo dieser gottverdammte Hund begraben liegt?

Der Blick aufs Wesentliche

Ich versuchte früher, eine enge Verbindung zwischen meinem Schnupfen und meiner toxischen Ex-Beziehung herzustellen und habe aus dieser Zeit vieles gelernt. Die Lösung kann so einfach sein: Schnupfen ist nämlich manchmal einfach nur Schnupfen. Vielleicht bin ich abgeklärter und rationaler als früher. Vielleicht will ich es mir auch einfach nur leicht im Leben machen: Wenn ich mit einer 1a Grippe im Bett liege, kann das bedeuten, dass ich mich momentan total übernehme und im Stress versinke. Es kann aber auch bedeuten, dass ich ein paar beschissene Viren abbekommen habe, für die mein Körper gerade keine passenden Antikörper parat hat.

Ich kann immer das sehen, was ich sehen will, weshalb die Horoskope in der Brigitte oft so gut passen. Normalerweise glauben wir nicht daran… aber schon komisch, dass sie so oft passen, gell? Genau so ist es mit der Verbindung von körperlichen Symptomen und der Psyche. Wenn ich will, dass der unmittelbare Zusammenhang zwischen einem verspannten Rücken und der inneren Unruhe da ist, dann wird das auf den ersten Blick immer ganz schön viel Sinn ergeben. Aber dann gehe ich zum Sport, dehne mich und stelle fest: Vielleicht habe ich mich die letzte Woche einfach zu wenig bewegt.

Die Seele und der Körper. Ein eng miteinander verbundenes Konstrukt, das zusammen den Menschen als solches bildet und unmittelbar miteinander zusammenhängt. Daran glaube ich immer noch und womöglich ist es so, dass ein angestoßener Zeh irgendwas mit der Vergangenheit im letzten Leben zu tun hat. Aber was nützt es uns, das zu versuchen herauszufinden? Es ist gut und wichtig, sowohl auf den Körper, als auch die Seele zu hören. Doch irgendwann wird die Selbsttherapie zur Übertherapie und wir machen uns mit dem Beantworten von Fragen, auf die es scheinbar keine Antworten gibt, nur noch das Leben schwer.

Da spare ich mir doch lieber die Zeit des Grübelns und lasse die Kirche im Dorf. Weil ein Schnupfen ist manchmal einfach nur ein Schnupfen.

Zeichnung: Unsplash

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3 Antworten zu “Die Psyche ist nicht alles! Muss ich zur Therapie?”

  1. hoi , ich frag mich gerade ob ihr wisst dass über diesem artikel die werbung zu “burnout prävention – seminar zur stressbewältigung…” aufploppt. bisschen lustig. und ja und nein muss ich zu diesem artikel sagen, liebe amelie. ich weiß es ist ein reiner meinungsartikel, aber woran ich mich bissl störe ist der deutlich gewordene auspruch dass zur therapie gehen eine modeerscheinung für den gelangweilten immer nach optimierung strebenden menschen sein soll. ich denke dass dieser gemeinte typ mensch wahrscheinlich einiges wertvolles in einer therapie über sich erfahren könnte. hafermilch im kühlschrank hin oder her. und dass sport einen äußerst positiven effekt auch auf die psyche hat und wenn dieser nicht ausgeführt oder noch nicht als hilfreich erfahren wurde,
    schon schnell zur “inneren unruhe” aka unausgeglichenheit führen kann, liegt auf der hand. Und na klaro braucht man dafür nicht gleich eine psychoanalyse. es gibt nur sehr sehr viele menschen die ganz wenig über sich selbst wissen auch wenn sie oberflächlich gesehen brillieren mit ihren unsichtbaren Poren oder auch Freunde die mal mit einem überfordert sind und sich denken: las das doch mal bei jemanden ab, der dafür bezahlt wird, hilft und zahlt sogar die kasse. maybe!
    Was mich wahnsinnig macht ist dieser omnipräsente pseudo-therapeutische-achtsamkeits Selbsthilfe-Apell der mir überall entgegen schlägt und reihenweise Leute crashkurs mäßig “therapiert”, die insgeheim dringend mal ihre Vaterwut aufarbeiten müssten muhahaha

    (ist ein kleiner roman geworden)

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