Die beste Zeit meines Lebens? FOMO in den 20ern
Die 20er werden deine besten Jahre: Eine Aussage, die man schon als Teenager zur Genüge hört. Und auch, wenn man selbst nicht aktiv darauf hofft – so ein bisschen erwartet man schon, dass die 20ies zumindest ganz gut werden. Das war zumindest für mich der Fall. In der Realität sieht alles natürlich immer anders aus – und auch die „beste Zeit unseres Lebens“ fühlt sich manchmal eher wie die schlimmste an.
Nun habe ich meine kompletten 20er noch nicht durchlebt, und vielleicht kommt der Punkt noch, an dem es *besonders* gut wird. Realistisch gesehen wird das aber nicht passieren. Genau wie das gesamte Leben jenseits der 20er in jedem anderen Jahrzehnt ist auch diese super-gehypte Dekade in unserem Leben eher eine Achterbahnfahrt. Und das nicht nur, weil, wie sagt man so schön, auf jede gute Phase eine schlechte folgt. Sondern auch, weil sich innerhalb weniger Jahre so unglaublich viel in unserem Kopf verändert. Wenn ich jetzt auf mein 20-jähriges Ich zurückschaue, komme ich mir sehr kindisch vor. Wie viele andere meiner Altersgenoss*innen hatte ich viel Freiheit und wenig Verantwortung. Dementsprechend komische Dinge habe ich dann auch getan. Ich meine, we all did.
Mein Anfang-20-Ich glänzt mit besonders viel Peinlichkeit. Mein Mitte-20-Ich ist dafür vielleicht ein wenig langweilig geworden? Manchmal kommt es mir zumindest so vor. Die freien Abende, die ich aktuell zu Hause verbringe, übersteigen deutlich jene, die ich draußen verbringe. Häufig nutze ich Work-Events als Grund, um Freund*innen in anderen Städten zu besuchen. Einfach so mal vorbeizuschauen, wäre mir zu anstrengend. Auch auswärts Essen – eine meiner früheren Lieblingsbeschäftigungen – kommt mir so unvernünftig vor, dass ich es kaum noch tue. Ist das Erwachsensein?
Es ist nicht lange her, da war ich am liebsten nur mit anderen Menschen unterwegs. Inzwischen ist zu Hause sitzen und Serien schauen meine Lieblingsaktivität geworden. Vielleicht kommt es durch die Pandemie-Zeit, vielleicht ist es das Älterwerden oder eben das Leben der berufstätigen Person. Auch wenn mein Universität-Ich wahrscheinlich ein aufregenderes Leben hatte, bin ich im Moment eigentlich voll zufrieden – wenn da nicht diese eine Sache wäre. Diese Stimme, die mir sagt, ich solle doch mal wieder öfter herausgehen. Dieses unangenehme Gefühl, das ich kriege, wenn ich merke: andere Menschen erleben aufregende Dinge. Dinge, die aufregender sind, als zu Hause vor dem Fernseher zu sitzen. FOMO.
Ich habe das Gefühl, FOMO ist eins dieser Buzz-Wörter, mit denen man gerne um sich schmeißt, um alle möglichen Gefühlslagen zu beschreiben. So ein bisschen hat der Begriff dadurch an Ernsthaftigkeit verloren – das heißt aber nicht, dass FOMO nicht *belastend* ist.
FOMO: Ein zweischneidiges Schwert
Man könnte meinen, FOMO sei vielleicht ein Indikator dafür, dass man mal wieder etwas erleben sollte. Und dafür, dass das unangenehme Gefühl vielleicht nur temporär ist und sich verflüchtigt, wenn man die nötigen Änderungen im Leben herbeiführt.
Ob Leute das tatsächlich denken – keine Ahnung. Ich habe es aber gedacht. Meine FOMO hat sich quasi seit den Corona-Lockerungen immer krasser verstärkt. Auf ein Niveau, mit dem ich nicht mehr so richtig umgehen kann. Die einzige Möglichkeit, dieses unangenehme Gefühl zu umgehen, ist, entweder selbst etwas *Besonderes* zu unternehmen oder großen Abstand von sozialen Medien zu nehmen. Das Problem an der Sache ist, dass ich durch meinen Job konstant up to date bleiben muss und leider nichts verpasse – nicht nur was News angeht, sondern auch Social Media und Lifestyle Trends. Dadurch bleibt mir also nur noch eine Lösung: Immer Spaß haben.
Und wenn ich sage „Spaß“, dann meine ich leider die Dinge, die uns vermeintlich Spaß machen sollten, nicht die Dinge, die mir tatsächlich Spaß machen. Lasst es mich erklären. Ich liebe es, zu Hause zu bleiben. Aber mache ich das zu oft, wird meine FOMO so stark, dass es mir auch einfach keinen Spaß mehr macht. Ein Teufelskreis, der ehrlicherweise ziemlich albern klingt. Hilft mir FOMO, aus dem Alltagstrott herauszukommen? Ja, das tut sie schon. Aber meistens sind die Partys, die ich deshalb besuche, gar nicht so nice. Ich plane, ich gehe hin und versuche dann Spaß zu haben – und am Ende sitzt man auf irgendeiner Couch und merkt, dass man sich das auch hätte sparen können. Nicht, weil Partys besuchen und Ausgehen nicht schön wären, sondern, weil ich es aus einem Zwang heraus gemacht habe.
Vergleichen und verglichen werden: Comparison kills contentment
Social Media und der ständige Blick auf zahlreiche polierte Leben anderer Menschen beeinflussen unser Verständnis eines idealen Alltags. In meinem Fall habe ich ständig das Gefühl, meine 20er zu verschwenden. Dieses Gefühl entspringt aber nicht aus meinem inneren Bedürfnis nach Veränderung, sondern erst durch teils unbewusste Vergleiche, die ich quasi im Stundentakt mit Menschen betreibe, die ich nicht mal persönlich kenne. Die 20er sollen die besten Jahre unseres Lebens sein. Aber was sind schon die besten Jahre? Und was macht die 20er eigentlich so besonders?
Ich denke mal, was die 20er auszeichnet, ist die doch vergleichsweise geringe Verantwortung, die man mit sich trägt. Viele studieren einen Großteil ihrer 20er oder starten erst ins Berufsleben, mit Anfänger- und Junior-Jobs, die noch nicht so viel abverlangen wie leitende Positionen. Egal ob Ausbildung, Studium oder Berufsbeginn – die 20er stehen nicht gerade dafür, dass man schon sicher im Leben steht. Dementsprechend sind viele von uns noch nicht in der Position, auch Verantwortung für andere Menschen zu übernehmen. Das heißt: Wir haben die Möglichkeit, irgendwie erwachsen zu sein, ohne die Belastungen des Erwachsenenlebens so richtig zu spüren. Eine Phase, die viel Unsicherheit und Angst mit sich bringt, aber auch gewisse Freiheiten. Und aus dieser Freiheit sollen wir nun das Beste machen. Denn die Zeit kann man ja nicht zurückdrehen und so.
Natürlich sind diese Dinge nicht exklusiv für die 20er und treffen auch nicht bei jedem zu. Manche Menschen stecken schon mit Anfang 20 tief in Verpflichtungen und Verantwortung. Andere wiederum auch in ihren 30ern nicht. Wir haben ja alle das Glück, dass wir unser Leben ein Stück weit selbst gestalten können. Wie viel Verantwortung will ich übernehmen? Will ich einen flexiblen Job? Will ich Kinder? Wie wichtig ist mir Karriere? Wir sind heute nicht gezwungen, das eigene Leben nach Schema F zu bestreiten.
Und trotzdem gibt es eine Idealvorstellung davon, wie die 20er aussehen sollten.
In meinem Kopf sieht diese Idealvorstellung so aus: Man schließt eine Ausbildung ab, die einen irgendwie weiterbringt. Man macht wichtige und aufregende Karriere-Steps (damit man auch immer was zu erzählen hat). Und die immer kleiner werdende Freizeit nutzt man für Trips in andere Länder und Städte, in denen man dann seine 100 besten Freunde besucht. Und zwischendurch dürfen Partys nicht fehlen.
Ein Leben, das durch frühen Erfolg, der richtigen Prise Disziplin und einer jungen Energie gekennzeichnet ist. So stelle ich mir 20er vor, die richtig genutzt wurden. Dabei weiß ich eigentlich auch, dass das total albern ist. Denn wer entscheidet schon, was erstrebenswert ist? Was gute 20er, und was schlechte 20er sind? Wie viele Partys man wirklich besuchen sollte, wie viele besondere Freundschaften man braucht? Die Ziele und Wunschvorstellungen von Menschen waren schon immer von einem gesellschaftlichen Ideal geprägt. Das gilt auch für meine Idee der perfekten 20er. Denn wenn ich wirklich ganz tief in mich gehe, dann sind zahlreiche Dinge, die ich auf meiner To-Do-Liste stehen habe, nur da, weil andere Leute diese Dinge erreicht oder gemacht haben.
Und das löst diese unglaublich fiese Angst in mir aus. Was ist, wenn ich mit 30 auf meine 20er zurückschaue, und feststelle, dass ich sie nicht richtig genutzt habe? Was dann?
Eigentlich ist die Antwort darauf ganz einfach. Dann mache ich diese Dinge eben, wenn ich 30 bin. Easy. Aber die FOMO kommt trotzdem immer wieder. Dabei zeichnet die 20er doch insbesondere eine Sache aus: Selbstbestimmtheit.
Denn das ist es eigentlich, was die 20er zu einer so super-gehypten Dekaden unseres Lebens macht. Der Umstand, dass wir so selbstbestimmt sind. Und deshalb glaube ich auch, dass der Druck so hoch ist, diese Zeit gut zu nutzen. Vielleicht sind wir in der Zukunft etwas eingeschränkter in unseren Entscheidungen, müssen andere Menschen mitbedenken und stecken in so vielen Verpflichtungen, dass gar keine Kraft mehr für die Selbstbestimmtheit bleibt.
Was bedeutet es also, seine 20er gut genutzt zu haben? Wahrscheinlich schlichtweg, die Sachen gemacht zu haben, auf die man wirklich Lust hatte. Ohne Rücksicht auf die Erwartungen anderer. Was das dann genau ist, ist doch völlig egal. Partys oder Serienmarathon, who cares? Solange man sie nicht aus dem Zwang heraus tut, ein besonders interessantes Leben zu haben, ist doch eigentlich alles recht.
Und wenn wir stetig daran arbeiten, ehrlich zu uns selbst zu sein und uns nicht von anderen beeinflussen zu lassen, vielleicht, aber nur vielleicht, lässt die FOMO dann auch nach. Would be nice!
2 Antworten zu “Die beste Zeit meines Lebens? FOMO in den 20ern”
Ich denke, wir neigen dazu die Vergangenheit zu romantisieren und daher blicken wir in unseren 30igern mit nostalgischet Wehmut auf die ach so wilden 20ies zurück. Würde mir da nicht zu viel Stress machen.
[…] Genau da gehen die Wege der Twenty-Somethings nämlich weit auseinander. Klassisches Klischee der 20er: Alle hängen an unterschiedlichen Lebenspunkten fest und das spiegelt sich vor allem dann wider, […]