Dating-Status-Quo: Situationships aka Freunde mit emotionalen Benefits

18. Dezember 2023 von in

Drei Monate Berlin. Sechs Monate Hamburg. Wochenlang München. Irgendwas ohne Zukunft in Süddeutschland. Wenn ich so auf meine Dating-Historie zurückblicke, dann findet sich eine Parallele. Mein Hang dazu, mich immer wieder aufs Neue in einer intensiven Achterbahn mit tickenden Uhren zu verstricken. Sogenannten Situationships, die früher oder später ein Ablaufdatum haben – gewollt, beabsichtigt oder keins von beidem.

Festgelegt auf das unsicherste Vielleicht ever – mit Ablaufgarantie!

Ganz platt kann man dieses ungebundene Mindset als eine Art abgeklärtes Erwartungsmanagement bezeichnen. Der Deal ist: dass hier gemeinsame (Zukunfts-)Vorstellungen erst gar nicht existieren. Good Vibes Only. Zeitbegrenzt. Denn da, wo keine:r Ansprüche stellt, lässt sich auch weniger leicht scheitern. Da ist kein Druck zu performen, nur Erwartungen im Schonwaschgang, die am besten nur leise gedacht, aber nie laut ausgesprochen werden. Denn sobald das passiert, wird es Zeit, die Zelte abzubrechen und sich auf neue Abenteuer zu begeben. Auf in die nächste Situationship.

Situationships: Der Nonplusultra Dating-Trend der Neuzeit

Per se ist diese unverbindliche Liebe ja nichts Neues: Freunde mit gewissen Vorzügen, F+ oder One-Night-Stands spielen sich in einem ähnlichen Spektrum ab. Die grundsätzliche Idee bleibt gleich: keine Erwartungen und Unverbindlichkeit. Doch bei der Situationship geht es nicht nur um Sex, sondern auch um emotionale Verbindungen, die romantisch-freundschaftlicher Natur sind. Sich an Beziehungsdynamiken orientieren, nur ohne sich festzulegen – Friends with emotional Benefits nennt sich das dann. Aber zu emotional darf es dann auch nicht werden. Vorsicht, Bindungsgefahr. Und natürlich gibt es auch hier feine Unterschiede, die jede Situationship zu einem ganz individuell zu navigierenden Konstrukt machen, in dem vorab verhandelt wird, was geht und was nicht – bestenfalls.

Das ist also dieses moderne Dating – ganz ohne Labels und festgefahrene Narrative, die auf „Was sind wir eigentlich“ folgen. Doch ebenso geeicht scheint das kollektive Verständnis von „Wir wollen uns nicht binden, sondern lieber auf ewig in situativen Arrangements ausharren“. Die in vielen Fällen für unbeteiligte Beobachter:innen doch ganz schön stark nach Commitment aussehen. Beziehungsweise wirken sie sogar fast wie ein zu perfektes Schauspiel. Daher überrascht es wohl kaum, dass die Datenerhebung „Year in a Swipe 2022“ der Datingplattform Tinder bestätigt, dass Situationships mittlerweile oft als gleichwertige Beziehungen wahrgenommen werden. Am Ende wollen eben doch alle im Spiel der Liebe antreten. Gern auch in einer etwas verbindlich-unverbindlicheren Konstellation – die casual scheint, aber dennoch in einem bestimmten Rahmen stattfindet. Vorhang auf für Situationships.

Die Suche nach der Zweisamkeit, ganz situativ

Gen Z hat also Gefallen an der ‚angesagten‘ Dating-Gewohnheit gefunden, die perfekt in unsere unberechenbaren Zeiten passt. Natürlich mit einem Haufen Memes und Ratschlägen auf TikTok und Co. Denn, wenn du nicht weißt, was morgen ist, wo du selbst stehst und vor allem, wer du sein willst, wieso dann der Partner:innenwahl Schloss und Riegel vorsetzen? Das Gefühl von Zuneigung lässt sich dabei sehr wohl dosieren und in gut verdaulichen Portionen anbieten. Und das sogar so, dass wir nicht nur körperlich, sondern auch emotional auf unsere Kosten kommen. Von Situationship zu Situationship gibt es also unterschiedliche Intensitäten an Vertrauensbasis, nur eben ohne die Sicherheit eines schwerwiegenden „Für immer“.

Die Frage ist also mal wieder: Wollen wir uns alle einfach nicht binden? Sind wir, ähnlich wie die Millennials, eine weitere Generation Beziehungsunfähiger – und dazu noch notorisch Bindungsgestörter? Oder liegt es grundsätzlich daran, dass sich das Konzept ‚Zusammen‘ momentan so im Wandel befindet? So unvereinbar mit dem modernen Lifestyle und dem Chaos in der Welt scheint, dass wir erst wieder neu (er-)finden müssen, was emotionale Sicherheit und Geborgenheit für uns eigentlich bedeutet? Oder weil wir uns selbst beim Suchen nach dem Sinn neue Wege suchen müssen, weg von konventionellen Mustern, hin zu einer Auswahl an Möglichkeiten, die den Zeitgeist treffen?

 

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Konserviert und dosierte Summerlove: Romantisieren wir Situationships zu sehr?

Zeitgleich könnte man aber ebenfalls den Eindruck gewinnen, wir wissen nicht, was wir tun. Denn statt sich mal wieder der Selbstreflexion zu widmen, werden Situationships aufs Maximale romantisiert. Als die Verbindung, die ähnlich wie eine Sommerliebe brennt, nur eben rund ums Jahr funktioniert. All-inklusive: mit genügend Abstand und einem halben Bein in der Tür. Man weiß ja nie. Wie diese eine unverbindliche Zusage. Der Superlativ von Vielleicht. Ein nicht gemeintes Versprechen, das bei Bedarf ohne große Worte zurückgenommen werden kann. Einfach so.

Ebenso leicht, wie man also wieder rauskommt, verfängt man sich. Denn als logische Konsequenz aus mehreren erfolgreichen Dates, in denen niemand so wirklich angesprochen hat, wie es weitergeht, trifft man sich einfach so lange weiter, bis es zur Gewohnheit wird. In diesem Stadium ist man mehr als befreundet, aber weniger als zusammen. Sondern in der Grauzone gelandet. „Weniger als eine Beziehung, aber mehr als ein Booty Call, eine romantische Beziehung, die undefiniert bleiben wird“, stimmt auch das Urban Dictonary zu.

Lieben im Moment, again and again and again

And here we are again: Wollen ’nichts Festes‘, sondern nur den Moment. Was nicht bedeutet, dass die Situationship, also die situative Relationship, weniger intensiv oder zeitaufwendig ist als eine „echte Beziehung“. Fast ein klein wenig komplexer. Denn das Geschäft mit der Hoffnung, dem endlosen Warten auf ein nicht eintreffendes Happily-ever-After, das versucht, den Zustand der euphorischen Kennenlernphase und seine Leichtigkeit zu konservieren, ist ein hartes Business. Und trotz der verbreiteten Akzeptanz scheint die Situationship im allgemeinen Relationship-Geschehen keine wirkliche Daseinsberechtigung zu haben. Vor allem dann nicht, wenn sie auseinander geht oder mit einer richtigen Beziehung verglichen wird.

„Wo nichts war, darf auch nicht traurig, enttäuscht oder verletzt sein.“

Etwas, dass es unglaublich schwer macht, sich nach einer irreführenden Situationship zu lösen und damit abzuschließen. Denn es gibt und wird in vielen Fällen keinen endgültigen Schlussstrich geben. Kein finales Gespräch, nur ein Realisieren: Es ist so schnell vorbei, wie es angefangen hat. Vielleicht sogar noch schneller. Denn Situationships sind zwar flexibel, aber auch wahnsinnig instabil. Beschleunigt davon, je weniger (regelmäßige) Kommunikation stattfindet. Und wir wissen ja alle: Wer redet schon gern über Gefühle? Also folgt ein stilles Agreement, dass es einfach keinen Raum für alle damit verbundenen Emotionen gibt. Und ein gefühlstoter Raum kann gar nicht wiederbelebt werden.

 

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Was jetzt also: Liebeshölle, Zeitverschwendung oder Chance?

Doch was für die eine:n eine emotionale Tortur ist, ist für wieder andere ein wichtiges Learning, wie man mit anderen eine enge Bindung pflegt. Ganz situativ eben. Die Frage ist hierbei immer nur: Wie klar bist du dir über deine eigenen Gefühle? Und bist du bereit, im Fall der Fälle den Knopf für den Schleudersitz zu drücken? Denn sobald sich am (Gefühls-)Status einer der Beteiligten etwas ändert, muss ein Nachverhandeln stattfinden und sich mit den sich (nicht) anbahnenden Emotionen auseinandergesetzt werden. Unabhängig davon, wie ungern man das in dem Moment tun möchte. Denn egal wie abgeklärt wir uns auch meinen, das Konstrukt ist schon von vornherein emotional verwirrend.

Durch die emotional Benefits findet natürlich auch immer eine Art Emotional-Care-Arbeit statt, die, wenn sie nur einseitig gelebt wird, schnell sehr zehrend sein kann. Daher ist es wichtig, sich für die eigene mentale Situation von vornherein bewusst zu machen, was die eigenen Motive und die des:der andere:n sind. Ebenso wie folgende Tatsache: Eine Situationship findet oft losgelöst von einer festen Beziehung statt – und ist nicht zwangsläufig die Vorstufe dorthin! Auf der anderen Seite kann genau diese Art von Try-and-Error in einem festen Rahmen dabei helfen, herauszufinden, was man möchte. Die in Situationships groß gelebte Flexibilität erlaubt es nämlich weniger verkopft an Dinge heranzugehen. Man lebt im Moment und muss sich nicht auf die Zukunftsplanung konzentrieren.

Das Geschäft mit der Hoffnung ist das wohl unsicherste Vielleicht ever – bei der Suche nach einem möglichen ‚für immer‘

Was ich mir persönlich wünsche, ist mehr Akzeptanz dafür, dass jede zwischenmenschliche Beziehung, egal wie kurz, (un-)verbindlich oder nicht, mit validen Gefühlen und Emotionen verbunden ist. Und diese müssen auch unbedingt Raum bekommen. Nur weil es bei Situationships keine Erwartungshaltungen und diese ständig mitschwingende Unverbindlichkeit gibt, heißt es nicht, dass das Beenden leichtfällt. Denn Abschließen ist nie so einfach, wie es klingt. Von allem, an das man sich gewöhnt, muss man sich auch wieder entwöhnen. Das braucht Zeit und fühlt sich im ersten Moment immer wie eine Art Verlust an. Weswegen wir uns vielleicht auch ganz allgemein – am Anfang – überlegen sollten, in welche Leben wir temporär preschen und von wem wir uns kurzfristig den Boden unter den Füßen wegreißen lassen.
Immer im Hinterkopf: Das ist kein für immer, sondern das größte und unsicherste Vielleichte ever.
Ist es das wert und kann ich damit umgehen?

 

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