Dating: Die Pusher-Handy-Boys oder das Abbild der Generation Beziehungsunfähig

29. November 2021 von in

“Ich habe auch erst seit diesem Jahr ein Smartphone“, erzählt mir der Typ Mitte zwanzig, mit dem ich mich gerade auf einen Spaziergang treffe. Und bei mir klingelt ein Orchester an Alarmglocken. Denn meine Kompromissbereitschaft in Bezug auf Dating hat sich mit dem vermehrten Aufkommen eines bestimmten Phänomens gewandelt: den Pusher-Handy-Boys. Die egal wie sehr ich mir (und meinen Freund:innen) auch versucht habe, das Gegenteil zu beweisen, eine absolute Red Flag sind. Der Inbegriff von Unzuverlässigkeit mir Ghosting-Garantie und unklarer Kommunikation.

Und dennoch scheine ich genau diese Spezies an Typ immer wieder zu begegnen. Denke erneut: „Ach er ist nicht so einer, „Das ist genau der Ausgleich, den ich in meinem always online, fast-forward Leben brauche“. Memo an mich: Nein, ist es nicht. Denn die vermeintlichen Achtsamkeits-Avangardisten haben letzten Endes mehr Red Flag Potential als ein Warnblinker. Und meine Kontroverse Haltung zu dem Phänomen der charmanten Typen mit Offline-Lifestyle sorgt seither für Diskussionen am Küchentresen, die immer im Remis enden – Unentschieden, denn der struggle ist Real.

Aktuelle Popkultur oder zurück in die (digitale) Steinzeit?

Pusher Handys, das sind Mobiltelefone, die zwar als solche gelten, sich aber anfühlen wie in den Anfängen der modernen, drahtlosen Telekommunikation. Tasten, T-9 und Antennen. Nokia 8210 eben. Das Gerät, welches gemeinsam mit dem It-Phone Motorroller Razor, fast schon fast Kult-Status erreicht hat, ist aus der Popkultur kaum wegzudenken. Und wird nicht selten (daher die Namensherleitung) von Pushern so called Dealern verwendet – da es sich schwer zurückverfolgen lässt, robust und handlich ist.

Die Wortherkunft ist somit  ein nicht ganz außer Acht zu lassender Fakt oder vielleicht auch Frühwarnzeichen, wenn es um die Evaluation von Intention und Absichten geht. Das Pusher-Handy existiert also irgendwo zwischen It-Girls, Gangster-Rappern und selbst ernannten Individualisten, die sich von dem Hyper-Digitalen der heutigen Zeit freimachen wollen. Und sich mit der Wahl ihres Kommunikationsmittels gleichzeitig von allem distanzieren, was der Fortschritt so mit sich bringt. Fern ab von Verantwortung. Das Handy ist hierbei, die Inkarnation von einer Haltung, die durch den Prepaidcharakter des Gerätes versinnbildlicht wird – ohne Vertragsbindung, ohne Laufzeit. Wegwerfgesellschaft deluxe. Ähnlich wie viele der Dating-Erfahrungen, in die Pusher-Handy-Boys involviert sind: Kurz, dramatisch und dann ist auch schon wahlweise der Akku oder das Guthaben aufgebraucht.

Der Teilnehmer ist emotional und literally nicht erreichbar. You used to call him on his cellphone, aber jetzt hat er eine neue Nummer. `Ne niegelnagel neue Nummer für sein (vermutlich neues) Nokia 8210.

 

 

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Dating Dilemma: Technology Gap

Die Wahl des Telekommunikationsmittels spricht Bände und setzt von vornherein eine Distanz – die es neben den ganz grundlegenden Barrieren des Kennenlernens zu überwinden gilt. T-9, das ist aufwendig und umständlich. Der Sender wird praktisch dazu gezwungen, kurz angebunden zu sein und alle visuellen Komponenten fallen von vornherein weg. Addiert man dann die für Gen Z und Millennials so typische Angst vorm Telefonieren, ist der Weg in die Sackgasse vorprogrammiert. Zusätzlich glänzen die Pusher-Handy-Boys oft mit einer Abstinenz in den sozialen Medien. Was dazu führt, dass etwaige Unsicherheiten am Anfang eines Treffens mit einem Social-Check-Up nicht aus dem Weg geräumt werden können: Ist er wirklich der, für den er sich ausgibt und nicht Manfred50 oder ein Serienkiller?

Was einerseits ein Zeichen von Desinteresse oder vermeintlicher Achtsamkeit ist, hilft zwar dabei, den Mythos um die eigene Person aufrecht zu halten (um, sich ja nicht in die Karten schauen zu lassen), wirft aber ebenso berechtigte Fragen auf, ob es etwas zu verbergen gibt. Ebenfalls von nicht unbedeutendem Interesse ist die Tatsache, inwieweit der andere bereit ist, sich der technologischen Lücke zu widmen, die auf natürliche Weise im Dating Prozess entsteht:

Wie viel Kommunikation kann man erwarten und wo liegen die Grenzen von beiden Parteien? Lassen sich die beiden kontrastierenden Einstellungen überhaupt miteinander verbinden?

 

 

 

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Choose your (Dating)  fighter

Das Phänomen lässt sich wunderbar in die Kategorie „Generation beziehungsunfähig“ eingliedern. In der alle bloß keine Verantwortung übernehmen wollen, sich immer alle Optionen offenhalten und allgemein the bare Minimum investieren – been there, done that. Aber Dating im Allgemeinen und vor allem die Kennenlernphase ist oft mit einem hohen Zeitaufwand charakterisiert, der neben persönlichen Treffen auch weiterführende Kommunikation beinhaltet. Dank moderner Technologie gibt es dabei eigentlich ein Potpourri an Möglichkeiten. Gerät man jedoch an einen Pusher-Handy-Boy, sind die spätestens nach dem ersten Treffen limitiert. Und man findet sich in einer der beiden folgenden Positionen wieder:

Die Euphemist:innen. Finden es gut, dass jemand mal nicht ständig am Handy hängt und Zeit mit den wesentlichen Dinge verbringt. Sind verzaubert von dem mystischen Charme, der durch die online Non-Existenz versprüht wird. Denken: „Gegensätze ziehen sich an, ich glaube, er kann mich so richtig Erden“. Egal was der Rest sagt – meistens: Hallo Red Flag, er ist ein leftie Fuckboy. Natürlich sieht man das selbst nicht, ist zu involviert. Denn das Tolle an Dating Red Flags ist: Sie sind unsichtbar und werden erst dann zum Warnsignal, wenn der Schritt zu weit bereits gegangen wurde – da kann man draus lernen oder auch nicht.

Daher wissen die Realitäter:innen, bereits aus eigener Erfahrung, nur zu gut, dass alles, was Fraktion eins so euphemistisch hoffen lässt, eine absolute Illusion ist. Denn in diesem Dating-Setting herrscht Alarmstufe dunkelrot. In der das D für Distanz steht und eine fehlende Bereitschaft, sich vollkommen auf etwas einlassen zu wollen. Was per se kein Problem ist, wenn es denn auch so kommuniziert wird. Doch kurz und knapp, mit Abkürzungen auf T-9, ist es schwer jemanden richtig kennenzulernen. Spontanität und bestimmte Themen fallen weg und ein:er zieht am Ende immer den Kürzeren.

Die Ambivalenz vom Leben im Hier und jetzt

Die not-so E-(Culture)Affinen-Boys schwimmen unter dem Radar und haben von aktueller Popkultur und Online-Phänomenen genauso wenig Ahnung wie Boomer-Dads. Das alles in einer Kultur, die immer mehr aus der Schnittmenge von off- und online besteht. Ganz zu schweigen von der steigenden Bedeutung der Digitalität. Die vor allem durch die Pandemie selbst bei den größten Gegnern zu einem Umdenken geführt hat. Das Argument der zeitfressenden Smartphone-Kultur mag bis zu einem bestimmten Grad stimmen, aber wer wirklich interessiert daran ist, aus diesem Teufelskreis auszubrechen, kann auch ohne einen Ausflug in die digitale Steinzeit ans Ziel kommen.

Denn im Hier und jetzt zu leben, heißt eben auch, sich auf die wesentlichen Dinge zu konzentrieren – digital und analog gleichermaßen. In dieser Schnittmenge die perfekte Balance für sich selbst zu finden. Denn auch außerhalb des Smartphones steht das Leben mit Versuchungen, die einen davon abhalten, Dinge zu Ende zu bringen. Daher sollte die Abkehr von vereinfachter Kommunikation und Erreichbarkeit nicht als Entschuldigung dafür genommen werden, weniger präsent sein zu können. Wie alles ist auch das eine Entscheidung, die unabhängig von Technik gefällt wird.

Ninneties Nostalgie und Achtsamkeits-Avantgardisten

„Krass, dass du das so negativ siehst. Die meisten finden das voll cool. Man ist weniger am Handy und muss nicht die ganze Zeit auf alles antworten.“ Und genau da liegt auch das Problem. Ist die Abkehr von der Digitalisierung wirklich die Lösung für Online-Overload und Dauererreichbarkeit? Muss in dem Fall gleich zu so einem drastischen Hilfsmittel zurückgegriffen werden oder liegt die Wurzel des Problems nicht in ganz anderen Dingen? Denn wie alles im Leben ist die richtige Dosis und die eigene Entscheidungsmacht ein ausschlaggebender Faktor. Um Bildschirmzeiten zu regulieren und Scrollen aus Langeweile zu verhindern, gibt es (dank der Digitalisierung) einfache Anwendungen, die uns auch in diesem Bereich das Leben erleichtern können. Und wenn die alle nichts bringen, ist es womöglich auch eine Option, sein Handy in bestimmten Situationen oder Zeiten auf Flugmodus, den Mond oder Stand-by zu stellen.

„Sorry, ich glaub, ich kann das nicht“, kommunizierte Mr. Nokia mir vor etwa einem Jahr. Da wäre ich noch kompromissbereit gewesen. Aber mittlerweile kann ich das definitiv auch nicht mehr. Denn irgendwie scheint mir die Kombination dieser beiden Haltungen (Analoger-back-to-the-roots-Lifestyle vs Always-On-am-Puls-der-Zeit) wie ein unmöglicher Spagat zwischen den Welten. Die eigentlich ineinander übergehen. Schon komisch, dass bestimmte Lebensstile manchmal einfach zu konträr sind, um sich auf halber Linie zu treffen.

 

 

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Call me, bee me – aber, wenn du ein Pusher Handy hast, dann don’t @ me

Meine Datinghistorie mit den Pusher-Handy-Boys umfasst mehrere Testläufe, die den Crashtest meistens nicht bestanden haben. So gut es menschlich auch gepasst hat, im echten Leben, war es dann koch kein Treffer. Und ja, nicht jeder entspricht dem hier aufgezeichneten Klischee. Es wird mit Sicherheit genug lebende Beweise geben, die mir das Gegenteil beweisen können – #notall, ihr wisst schon. Aber die meine ich auch gar nicht. Ich habe für mich einfach festgestellt, dass ich kein schlechtes Gewissen haben möchte, wenn meine Bildschirmzeiten exorbitant sind und ich rund um die Uhr erreichbar. Möchte mein Kommunikationspotenzial nicht einschränken müssen und von analogen sowie digitalen Mitteln profitieren. Ich bin ein Fan vom World Wide Web, Technologie und finde Onlinetrends wahnsinnig faszinierend.

Ich will mich beim Daten nicht in Dauerabstinenz einspielen und mein eigenes Mitteilungsbedürfnis auf ein Minimum reduzieren. Sondern mich mitteilen, teilhaben und lassen. Eben wissen, dass ich im Fall der Fälle jemanden erreichen kann ­– wenn’s drauf ankommt. In Gesprächen nicht das Gefühl haben, ich muss jeden zweiten Satz oder Referenz erklären und in Bubbles zu leben, die so weit weg voneinander existieren, dass selbst Infrarot keine Chance hätte.

Und so ganz konsequent bin ich in bei Pusher-Handys natürlich auch nicht. Denn wenn es um Freundschaften geht, merke ich, wie ich sehr viel toleranter bin. Weniger groß das Risiko, dass Leute aus meinem Leben kommentarlos abtauchen oder unerreichbar in der Versenkung verschwinden. Weil hier ein Grundvertrauen herrscht und wir eingespielte Teams sind.

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3 Antworten zu “Dating: Die Pusher-Handy-Boys oder das Abbild der Generation Beziehungsunfähig”

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